Von Thomas von der Osten-Sacken
Als vergangene Woche Daraja kapitulierte, einer jener Vororte von Damaskus, in dem Menschen jahrelang Hungerblockaden, barrel bombs, Artillerieangriffen und anderen Bestialitäten des Assad Regimes und seinen Verbündeten getrotzt hatten, war dies den Medien kaum eine Meldung wert.
Daraja, das war einer der Orte, in denen sie jahrelang so demonstrierten und hofften, dass, wer so demonstriert, auch unterstützt wird.
Eine Hoffnung, die sich als falsch und trügerisch erwiesen hat. Daraja ist nicht mehr. Kristin Helberg schreibt voller Empathie über das Ende:
„Daraja liegt in Trümmern. Der einst 20.000 Einwohner zählende Ort symbolisiert wie kein anderer das menschliche Drama Syriens. Denn Daraja ist berühmt. Für seine Trauben und seine Revolutionäre, für Massaker und surreale TV-Reportagen, für zivilen Widerstand, oppositionelle Medienmacher, Fassbomben, Hungerblockaden und abgewiesene UN-Konvois. Jetzt steht der Ort im Umland von Damaskus für ein weiteres Kapitel dieses Konflikts: die Kapitulation. Die letzten 8.000 Bewohner – Zivilisten und Rebellen – haben Daraja verlassen, Assad hat gewonnen. (…)
Als sich die Revolution landesweit militarisiert, etabliert sich in Daraja die Freie Syrische Armee mit 3.000 Kämpfern, die den nahegelegenen Militärflughafen des Regimes in Mezze bedrohen – einer der Gründe, warum Assad den Ort um jeden Preis zurückerobern will. Unter Menschenrechtlern haben Darajas bewaffnete Gruppen einen guten Ruf, auch wenn manche zunehmend islamistisch auftreten.
Bassam Ahmad vom Violations Documentation Center (VDC) kann sich an keinen Fall von Kriegsverbrechen durch die dortigen Rebellen erinnern. Auch willkürliche Angriffe auf Zivilisten seien ihm von Daraja aus nicht bekannt, sagt der ehemalige Direktor des VDC, der seit 2011 die Gewalt aller Kriegsparteien dokumentiert.
Beeindruckend bleibt Darajas ziviler Widerstand. Im Januar 2012 veröffentlichen Aktivisten die erste Ausgabe der Wochenzeitung Enab Baladi (‚Heimische Trauben‘). Sie wird überwiegend von Frauen gemacht und erreicht jeden Sonntag digital und gedruckt mehrere Hunderttausend Leser, vor allem über die sozialen Netzwerke. Das einzige Mal, das Enab Baladi nicht erscheint, ist Ende August 2012. Damals rückt das Regime mit Soldaten und Shabiha-Milizen in den Ort ein. Sie gehen von Haus zu Haus und richten Bewohner hin, je nach Quelle sterben zwischen 270 und 320 Menschen.“
In Bussen wurden jetzt die letzten Bewohner nach Idlib abtransportiert, Assad und seine Verbündeten, der Iran und die Hizbollah, kontrollieren einen weiteren Ruinenhaufen in Syrien. Kurze Zeit später folgte Moadamiyeh, das 2013 zusätzlich noch mit Giftgas bombardiert worden war.
So sehen sie aus, die Siege des Assad-Regimes, das auch gleich zur Tat schreitet und offenbar plant, dort systematisch schiitische Familien aus dem Irak anzusiedeln:
„Iraqi families are allegedly being moved into the Damascus suburb of Darayya, which was taken over by the regime in late August, as part of a planned ‚demographic change,‘ according to media reports.
Asharq Alawsat on Monday cited a ‚well-informed source‘ as saying that Iraqi families, ‚particularly from the Shiite-[populated] southern provinces‘ of the country are being moved to Syria to repopulate a number of areas in the war-torn country.
The source told the Saudi daily that the Iraqis were settling in Darayya and Moadamiyat al-Sham, both formerly rebel-held suburbs of the capital which were evacuated in the past two weeks following deals with regime forces encircling the towns.“

Damaskus und sein Umland sollen nämlich von sunnitischen Arabern „gesäubert werden“ , für sie sind, sollten sie nicht in den Kämpfen umkommen oder verhungern, die Flucht ins Ausland oder die Trümmerwüsten Nordsyriens vorgesehen. Dazu schreibt Helberg:
„Das Regime säubert die zurückeroberten Gebiete, indem es kritische Bewohner in Regionen der Opposition transportiert und an ihrer Stelle Assad-Unterstützer ansiedelt. Weil die UN diese als humanitäre Evakuierung getarnte politische Säuberung mittragen, wird Assad sie andernorts wiederholen.“
Denn:
„Die Welt schaut zu, obwohl sie weiß, was in Daraja vor sich geht. Immer wieder wenden sich Frauen und Kinder mit Hilferufen im Internet an die Öffentlichkeit, zuletzt am 21. August mit einer Vermisstenanzeige: ‚Hat jemand die UN gesehen? Bitte helft uns sie zu finden!‘“

Als die UN dann kam, kam sie, um beim Abtransport zu helfen.
Während die USA und Europa weiter über die Notwendigkeit „diplomatischer Lösungen“ schwadronieren, werden in Syrien Fakten geschaffen. Die Kapitulation von Daraja und Moadamiyah nämlich ist nicht nur eine bittere Niederlage für all jene Syrer, die einst für eine bessere Zukunft auf die Straße gingen, sondern auch eine Totalkapitulation jenes Gebildes, das sich einst als Westen bezeichnete. Ein halbes Jahrzehnt lang beging das syrische Regime mit iranischer und russischer Unterstützung ein Kriegsverbrechen nach dem anderen – und kam damit am Ende nicht nur durch, sondern wurde sogar belohnt. Die aufsässige Bevölkerung aus den südlichen Vororten seiner Hauptstadt ist Assad nun los. Brutalität zahlt sich aus. Das ist die Botschaft. Wer dagegen friedlich für Veränderungen demonstriert, der hat einen hohen Preis zu zahlen und keinerlei Freunde mit politischem Einfluss oder Unterstützer, die diesen Namen verdient hätten.