Anfang September setzte die Türkei Schritte, die eine Konfrontation wahrscheinlicher machen, auch wenn beide Länder letztlich doch ein Interesse daran haben, ihre Konflikte friedlich zu lösen.
Shimon Sherman
Die Türkei hat am Anfang September ihre Konfrontation mit Israel verschärft, als der türkische Außenminister Hakan Fidan in einer Sondersitzung des Parlaments zum Thema Gazastreifen erklärte, Ankara habe »unseren Handel mit Israel vollständig eingestellt und unsere Häfen für israelische Schiffe gesperrt. Wir lassen keine Containerschiffe, die Waffen und Munition nach Israel transportieren, in unsere Häfen einlaufen und keine Flugzeuge in unseren Luftraum einfliegen.«
Fidans Erklärung sorgte sofort für Unsicherheit. Innerhalb weniger Stunden stellte eine türkische diplomatische Quelle klar, die Luftraumbeschränkungen würden nur für offizielle Flüge des israelischen Militärs oder der Regierung gelten, nicht aber für den kommerziellen Flugverkehr.
Israelische Fluggesellschaften bestätigten, dass ihre Unternehmen davon nicht betroffen seien. »Unsere Flüge finden wie geplant ohne Änderungen statt. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit der Zivilluftfahrtbehörde«, gab Israir Airlines bekannt, während Arkia Israeli Airlines gegenüber derTimes of Israel bestätigte, »keine operativen Anweisungen« von den türkischen Behörden erhalten zu haben.
Laut Hay Eytan Cohen Yanarocak, Türkei-Experten am Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies der Universität Tel Aviv, zeige diese Rücknahme den Mangel an Aufrichtigkeit seitens Ankaras in Bezug auf die neuen Beschränkungen: »Angesichts dieser bedeutenden Kehrtwende, die auf Englisch verkündet, aber bewusst nicht auf Türkisch angesprochen wurde, wird deutlich, dass Israel erneut als Instrument für PR-Zwecke benutzt wurde«, konstatierte Yanarocak gegenüber Jewish News Syndicate.
Kehrtwende
Trotz der Kehrtwende in der Luftverkehrspolitik hat die Türkei kürzlich die Seeverkehrsbeschränkungen für den israelischen Handel verschärft. Seit August verlangen die türkischen Hafenbehörden von Schifffahrtsagenturen Bescheinigungen, dass ihre Schiffe nicht mit Israel in Verbindung stehen und keine gefährlichen oder militärischen Güter befördern. Unter türkischer Flagge fahrende Schiffe dürfen nicht mehr in israelischen Häfen anlegen.
Der Bruch folgte auf eine Reihe von Konfliktpunkten, welche die Haltung Ankaras gegenüber Jerusalem verschärften. Die Ankündigung der Türkei erfolgte nur wenige Tage nachdem Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer unerwarteten Geste den Völkermord an den Armeniern öffentlich anerkannt hatte. In dem Podcast von Patrick Bet-David antwortete Netanjahu auf die Frage, ob er den Völkermord von 1915 anerkennen würde, mit den Worten: »Das habe ich gerade getan. Bitte sehr«, womit zum ersten Mal ein israelischer Staatschef die Massenmorde des Osmanischen Reichs als Völkermord bezeichnet hat.
Gleichzeitig haben die jüngsten israelischen Operationen in Syrien die Spannungen weiter verschärft. Laut syrischen und regionalen Berichten wurden kürzlich türkische Überwachungsgeräte, die in der Nähe von Damaskus installiert waren, von den israelischen Streitkräften demontiert sowie »geheime und sensible« Systeme beschlagnahmt. Die Operation wurde als direkte Herausforderung Ankaras angesehen. Syrische und saudische Quellen sprachen davon, dass Warnungen an die syrische Regierung gesendet wurden, »nicht mit dem Feuer zu spielen und auf türkische Befehle zu hören, denn die Türkei versucht, Israel näher zu kommen, als sie sollte«.
Der Zeitpunkt der türkischen Entscheidung, die Beziehungen zu Israel zu reduzieren, fiel mit der erklärten Absicht Israels zusammen, seine Offensive im Gazastreifen zu intensivieren – ein Schritt, der laut Analysten Ankara dazu veranlasste, die Sanktionen zu verschärfen. Die Türkei verfolge »eine Strategie der schrittweisen Bestrafung Israels«, meinte Yanarocak gegenüber der Jerusalem Post: »In dem Moment, als Israel sein Vorhaben bekannt gab, die Militäroperation im Gazastreifen auszuweiten, traf [Ankara] noch am selben Tag die Entscheidung, Seesanktionen zu verhängen.«
Lange Geschichte
Die Aussetzung des Handels hat angesichts des Umfangs der wirtschaftlichen Beziehungen erhebliches Gewicht. Der bilaterale Handel belief sich im Jahr 2023 auf rund sieben Milliarden Dollar, wobei die Türkei Israels fünftgrößter Importpartner war. Die israelischen Exporte in die Türkei bewegten sich um die 1,5 Milliarden Dollar, während türkische Waren rund sechs Prozent der gesamten Importe Israels betrugen.
Auch der Tourismus war ein Pfeiler der einst herzlichen Beziehungen. Istanbul war lange Zeit ein beliebtes Reiseziel für Israelis und ein wichtiger Knotenpunkt für Anschlussflüge nach Europa. Seit Beginn des Kriegs gegen die Hamas wurde der israelische Tourismus in der Türkei jedoch stark eingeschränkt; die israelische Regierung gab 2024 und 2025 sogar Reisewarnungen heraus.
Israel und die Türkei blicken auf eine lange Geschichte zurück, in der sich enge Zusammenarbeit und heftige Konfrontationen abwechselten. In den 1990er Jahren unterzeichneten die beiden Länder Militär- und Handelsabkommen, wodurch die Türkei zu einem der wichtigsten regionalen Partner Israels wurde.
Diese Beziehungen verschlechterten sich jedoch nach dem Vorfall mit dem Schiff Mavi Marmara im Jahr 2010, als türkische Aktivisten mit vermeintlichen Hilfslieferungen, die sich später als Waffen entpuppten, auf dem Weg in den Gazastreifen in Konfrontation mit der israelischen Marine traten.
Nach dem sogenannten Arabischen Frühling bewegte sich die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdogan entschlossen in Richtung einer Unterstützung der mit der Muslimbruderschaft verbundenen Bewegungen, was zu einer weiteren Belastung führte. Die Beziehungen wurden heruntergestuft, die Botschafter abgezogen.
In den letzten Jahren gab es dann wieder positive Anzeichen einer Annäherung wie die Treffen der beiden Regierungschefs, die von »verbesserten Beziehungen« sprachen. Doch seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich die Türkei zu einer führenden Stimme in der antiisraelischen Bewegung entwickelt. Ankara sprach sich vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) im August 2024 für eine Völkermordklage gegen Israel aus, während die türkische Führung immer wieder provokative Äußerungen wie den Vergleich Netanjahus mit Adolf Hitler Richtung Israel von sich gab. Diese aggressiven Aktionen führten zur erneuten beiderseitigen Abberufung der Botschafter.
Laut dem Türkei-Experten Yanarocak ist der jüngste Zusammenbruch der Beziehungen »beispiellos« und »wird in Zukunft nicht leicht rückgängig zu machen sein«. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen, diplomatischen und kulturellen Beziehungen nehme den Regierungen den Anreiz zur Konfliktvermeidung und mache eine Auseinandersetzung wahrscheinlicher.
Ein Land breche seine Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu einem anderen nur im Kriegsfall vollständig ab, ebenso wie es seinen Luftraum nur in einem solchen Fall für dessen Flugzeuge sperre. Das aktuelle türkische Schritt sei »beispiellos, beseitigt die gegenseitige Abhängigkeit und könnte zu einer strategischen Eskalation führen«, befürchtet er. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den beiden Ländern sei damit aufgehoben, »und sobald keine Abhängigkeit mehr besteht, wird es sehr gefährlich, weil es nichts mehr zu verlieren gibt. Gibt es jedoch Wirtschaft, gibt es Tourismus, gibt es Beziehungen – dann gibt es etwas zu verlieren, und so könnte jede Seite es sich letztendlich zweimal überlegen.«
Gaza-Krieg
Dass der Gaza-Krieg Erdogan sowohl einen innenpolitischen als auch einen regionalen Anreiz gegeben hat, die Spannungen mit Israel eskalieren zu lassen, sehen viele Analysten so. »Die Türkei hat ein Interesse daran, ihre antiisraelische Politik voranzutreiben, solange der Krieg im Gazastreifen andauert. Das ermöglicht es der Regierung, innenpolitische Unterstützung aufzubauen, da die palästinensische Sache in der Türkei sehr populär ist«, erklärte Gallia Lindenstrauss, Senior Research Fellow am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS), gegenüber Jewish News Syndicate.
Darüber hinaus habe Erdogan die Krise auch dazu genutzt, um sein Ansehen in der gesamten muslimischen Welt zu stärken: »Die Unterstützung für den Gazastreifen trägt wesentlich zu Erdogans Popularität unter Muslimen bei. Anhand der Umfragen lässt sich erkennen, dass seine Popularität in der arabischen Welt wächst«, meinte Lindenstrauss.
Auch für Yanarocak ist klar, dass Erdogan »aus dem Krieg im Gazastreifen großes politisches Kapital« schlägt. Der Konflikt führe zu »einer strukturellen Veränderung der Beziehungen, deren Folgen weit über das Ende des aktuellen Kriegs hinausreichen werden«.
Der Experte bringt die Politik der Türkei mit Erdogans neo-osmanischen Träumen in Verbindung, »den früheren Ruhm wiederherzustellen und die Türkei erneut zum stärksten muslimischen Staat zu machen. Und wenn es eine muslimische Entität wie den Gazastreifen gibt, die in ernsthaften Schwierigkeiten steckt, sieht sich der türkische Staatschef als Führer aller sunnitischen Muslime.« Diese weitreichende Ambition sei eng mit Ankaras konsequenter Unterstützung für die Hamas und ihrer Darstellung des Gaza-Konflikts als Test für die Solidarität der Muslime verbunden.
Die Türkei ist seit Beginn des Kriegs einer der stärksten internationalen Unterstützer der Hamas. Erdogan hat hochrangige Hamas-Führer in Ankara empfangen, und türkische Beamte haben trotz Ankaras Beharren, nur den politischen Flügel der Hamas anzuerkennen, die Beziehungen zur Gruppe aufrechterhalten. »Die Türkei ist seit Langem ein Unterstützer der Hamas, und blieb dies auch nach dem 7. Oktober 2023. Dies ist offensichtlich ein großes Problem für Israel und ein schlechtes Signal für die Beziehungen«, sieht Gallia Lindenstrauss die Lage.
Die Hamas ihrerseits begrüßte die Auflösung der wirtschaftlichen Beziehungen der Türkei zu Israel. Nach Fidans Ankündigungen zu Handel und Luftraum forderte die Terrororganisation »die Türkei sowie die arabischen und islamischen Länder und die freien Nationen der Welt auf, die Strafmaßnahmen [gegen Israel] zu verschärfen« und »alle Beziehungen zu ihm abzubrechen«.
Syrien
Und dann ist da noch Syrien, das zu einem zwar weniger sichtbaren, aber umso folgenreicheren Schauplatz der Uneinigkeit zwischen Israel und der Türkei geworden ist. Beide Regierungen betrachten die Zukunft des Landes als entscheidend für ihre Sicherheitsinteressen.
Israel ist bestrebt, den Einfluss des Irans einzudämmen und seine operative Freiheit gegenüber der Hisbollah zu wahren, während die Türkei massiv in die Schwächung der kurdischen Interessen in Syrien und in die Unterstützung der noch jungen al-Shaara-Regierung investiert hat. Laut Lindenstrauss »dient der Gazastreifen als Vorwand für den größten Teil des Konflikts, aber eine große Kluft zwischen den beiden Ländern besteht in Bezug auf die Zukunft Syriens, auch wenn dies weniger offen diskutiert wird«.
Anfang dieses Jahres tauchten Berichte auf, die beiden Staaten hätten die Schaffung eines »Konfliktvermeidungsmechanismus« geprüft, um direkte Konfrontationen zu vermeiden, da beide im syrischen Luftraum operieren. Doch das Vorhaben wurde nie umgesetzt. Sein Fehlen hat Syrien zu einer anhaltenden Bruchlinie in den Beziehungen gemacht und die Bemühungen um eine Stabilisierung auch außerhalb des Gaza-Kontexts erschwert.
Die wachsende Macht Ankaras verstärkt seine Konfrontation mit Israel. Die Türkei verfügt heute über eine Kombination aus militärischer, wirtschaftlicher und diplomatischer Macht, die sie zu einem der einflussreichsten Akteure in der Region macht. Sie ist eine G20-Wirtschaft mit einer tiefen Integration in die globalen Märkte, einer Verteidigungsindustrie, die Drohnen und Marinesysteme exportiert, und einer NATO-Armee, die durch eine groß angelegte heimische Produktion unterstützt wird. Ihre geografische Lage verschafft ihr zusätzlichen Einfluss: Kontrolle über die Dardanellen, Präsenz in Nordzypern und einen Stützpunkt sowohl im Nahen Osten als auch in Europa.
Ankara hat auch versucht, seinen Einfluss durch multilaterale Foren auszuweiten, zuletzt durch die Teilnahme am Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organization neben Russland und China. Die Entwicklung fortschrittlicher Luftabwehrsysteme durch die Türkei wie beispielsweise das neu eingeführte Steel Dome spiegelt ihr Bestreben wider, ihre Selbstständigkeit in Sicherheitsfragen zu stärken und ihre Macht in der Region auszubauen.
Keine Bedrohung
Dennoch »stellt die Türkei keine existenzielle Bedrohung für Israel dar«, erklärte Hay Eytan Cohen Yanarocak: »Trotz ihrer Differenzen wird die Türkei zumindest auf dem Papier immer noch als befreundetes Land angesehen. Tatsächlich gab es in der Geschichte der bilateralen Beziehungen noch nie eine Kriegserklärung.«
Gallia Lindenstrauss schloss sich dieser Einschätzung an und beschrieb die Türkei als »immer noch eine bloße Herausforderung für Israel, aber keine offene Bedrohung«. Beide Experten wiesen jedoch darauf hin, dass die Pro-Hamas-Politik Ankaras und die Spannungen mit Israel in Syrien und im östlichen Mittelmeerraum anhaltende Konfliktpunkte darstellen.
Yanarocak charakterisierte die Türkei als »Grauzone« und meinte, dass »es schwieriger ist, entschlossen zu reagieren, wenn ein Gegner einen nur in bestimmten Bereichen herausfordert«. Starke diplomatische Beziehungen der Türkei zu Israel und verbündeten Ländern würden einen starken Anreiz zur Vermeidung von Konflikten schaffen. »Dank der Unterstützung zuverlässiger Verbündeter wie den Vereinigten Staaten und Aserbaidschan glaube ich, dass beide Länder letztendlich in der Lage sein werden, die Spannungen abzubauen. Das ist möglich. Auch, wenn Ankara dies vielleicht leugnet, liegt eine Entspannung der Lage ebenso in seinem Interesse wie in dem Jerusalems.«
Für Lindenstrauss scheinen zwar beide Seiten »nach wie vor an einer Wiederherstellung der Beziehungen interessiert zu sein«, eine Eskalation des Konflikts würde jedoch eine »große Herausforderung« für Israel darstellen. »Die Türkei hat eine starke Wirtschaft und ein starkes Militär. Aber auch die Bündnisse der Türkei, darunter ihre Mitgliedschaft in der NATO, sind eine starke Kraft, die sie dazu bewegen könnte, die Probleme mit Israel zu lösen.«
Shimon Sherman ist Kolumnist und berichtet über globale Sicherheit, Angelegenheiten des Nahen Ostens und geopolitische Entwicklungen. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)






