Dieser Text versteht sich als Ergänzung des Beitrags Gaza oder gar nichts. Eine Abrechnung mit dem medialen Palästina-Aktivismus von Michaela Dudley.
Kazem Moussavi
Während Michaela Dudley die moralische Aufladung und die einseitige Empörung in der westlichen Nahost-Berichterstattung präzise analysiert, richtet der folgende Beitrag den Blick auf eine häufig übersehene Ebene, nämlich auf die geopolitische Instrumentalisierung solcher Diskurse durch autoritäre Regime wie den Iran und die Hamas. Er zeigt, wie westliche Medien sowie antizionistische und antiisraelische Pro-Palästina- und Friedensbewegungen – teils aus emotionalem Impuls, teils aus moralischer Vorsicht – direkt oder indirekt in strategische Einflussnahmen verwickelt werden können. Damit plädiert der Text für mehr analytische Nüchternheit, kritische Selbstreflexion und ein Bewusstsein für die Macht moralischer Empörung.
Die deutsche Berichterstattung über den Gaza-Israel-Krieg spiegelt nicht nur das Leid der Menschen, sondern auch die moralischen und politischen Projektionen des Westens wider. Während viele Medien die Komplexität des Konflikts auf emotionale Schlagzeilen reduzieren, bleibt meist unerwähnt, wie autoritäre Regime – allen voran das iranische – westliche Empörung gezielt als Resonanzraum nutzen. Durch Desinformation, ideologische Netzwerke und religiös aufgeladene Narrative entsteht ein globales Klima, in dem das Bild zur Waffe und das Mitgefühl zur politischen Ressource werden.
Diese Dynamik folgt einer wiederkehrenden Logik: Teheran instrumentalisiert westliche Pro-Palästina- und Friedensbewegungen, exportiert Antisemitismus als Revolution – und der Westen lässt sich von den islamistischen Tätern moralisch erpressen.
Die Macht der Bilder
In kaum einem Konflikt prallen Moral, Emotion und geopolitische Realität so heftig aufeinander wie im Krieg zwischen Israel und den Hamas-Terroristen im Gazastreifen. Während im Nahen Osten Raketen fallen, tobt in Deutschland die Schlacht um die Deutungshoheit. Auf den Straßen, in den sozialen Medien und in den Redaktionen formt sich ein Meinungsbild, das mehr über das Selbstverständnis des Westens verrät als über den Konflikt selbst.
Auffällig ist die Diskrepanz zwischen der faktischen Komplexität der Lage und der medialen Simplifizierung. Viele Berichte folgen einem emotionalen Reflex: Bilder aus dem Gazastreifen dominieren, Bilder aus Israel erklären. Die Opferhierarchie ist implizit eingeschrieben – je weiter entfernt von Israel, desto größer das Mitgefühl. Die mediale Grammatik funktioniert nach den Gesetzen des Schocks, nicht nach jenen der Analyse. So entsteht eine Dramaturgie, in der Empörung wichtiger wird als Erkenntnis.
Neu ist, dass diese Dynamik in ein geopolitisches Echo hineinspielt, das von Akteuren außerhalb Europas bewusst genutzt wird. Das Regime in Teheran hat längst verstanden, dass der Westen weniger durch Propaganda als durch moralische Spiegelung beeinflussbar ist. Es liefert die Bilder, die im Westen Empörung auslösen und lässt sie dort wirken, wo sie strategisch nützlich sind. So wird das Leid der Menschen im Gazastreifen nicht nur betrauert, sondern zugleich instrumentalisiert.
Die deutsche Presse, in ihrer moralischen Prägung zutiefst der Humanität und Empathie verpflichtet, reagiert darauf instinktiv und oft ohne zu erkennen, Teil einer größeren Inszenierung geworden zu sein. Kaum ein Konflikt wird so stark entlang moralischer Kategorien erzählt: Täter, Opfer, Ohnmacht, Verantwortung. Doch Moral ersetzt keine Analyse. Fallen strukturelle Ursachen, regionale Machtachsen und islamistische Ideologien aus der Betrachtung heraus, bleibt nur eine moralische Kulisse zurück, die auf westliche Selbstbilder zugeschnitten ist.
In den Redaktionen entsteht daraus eine Form moralischer Selbstzensur: Aus Sorge, in »falsche« ideologische Lager eingeordnet zu werden, scheuen viele Journalisten klare Worte gegenüber islamistischen oder iranischen Machtstrukturen und schweigen, wo Analyse geboten wäre.
Die paradoxe Allianz
Besonders deutlich zeigt sich das in der Berichterstattung über Demonstrationen in Deutschland. Viele Redaktionen berichten über Proteste gegen Israels Militäraktionen, aber selten über deren ideologische Hintergründe oder externen Vernetzungen. Dass auf denselben Kundgebungen Linke, Islamisten, Nationalisten, Antisemiten und das antizionistische Queer-Milieu marschieren, wird oft als Randnotiz behandelt. Die politische Paradoxie solcher Allianzen bleibt unerklärt – als würde man fürchten, die Moral der Empörung zu beschädigen, wenn man ihre Widersprüche benennt.
Dabei entstehen längst konkrete Gefährdungslagen: Jüdische Studierende und Betreiber proisraelischer Treffpunkte in Berlin-Neukölln berichten von Übergriffen und Drohungen, während antisemitische Parolen unter dem Deckmantel »antizionistischer Solidarität« erschallen. Diese Phänomene sind keine Randerscheinungen, sondern Ausdruck einer Dynamik, die Teheran in die Hände spielt: Es nutzt die westliche Affektlogik, ohne sie steuern zu müssen – eine Resonanz zwischen Propaganda und Projektion.
Gerade diese Blindstelle ist folgenreich. Denn die Straße wird zur Bühne eines globalen Narrativs, in dem Israel als Aggressor, der Gazastreifen als Opfer und der Westen als moralischer Beobachter erscheint – ein Narrativ, das sich nahtlos in die strategische Kommunikation des iranischen Regimes fügt. Dort hat man längst verstanden, dass Bilder mehr Macht haben als Diplomatie. Aus Teherans Perspektive ist der Gazastreifen kein Ziel, sondern ein Werkzeug; eine Projektionsfläche, mit der der Westen emotional beschäftigt, moralisch verunsichert und politisch gelähmt wird.
Wenn Moral zur Waffe wird
Die Konsequenz ist eine mediale Kurzschaltung: Komplexe geopolitische Konflikte werden auf emotional konsumierbare Schlagworte reduziert – »Genozid«, »Befreiung«, »Kolonialismus«. Der Diskurs wird moralisch aufgeladen, aber intellektuell entleert. Wo früher Analyse war, herrscht heute affektive Rhetorik; wo Differenzierung nötig wäre, regiert das Schlagwort.
»Wenn man tagtäglich Betroffenheitsbilder aus einem Kriegsgebiet sendet, ohne den Kontext zu erläutern«, schrieb eine Beobachterin jüngst, »wird die Berichterstattung selbst zur emotionalen Inszenierung, die den politischen Diskurs im Keim erstickt«. In dieser vereinfachten Wahrnehmung bleibt kaum Raum für Zwischentöne. Wer nicht laut »Free Gaza« ruft, gilt schnell als Komplize eines Völkermords. So entsteht eine moralische Dichotomie, in der – wie es von der Palästina-Solidarität so gern formuliert wird –, »man entweder Palästina unterstützt oder den Genozid befürwortet«. Diese Schwarz-Weiß-Logik ersetzt Denken durch Zugehörigkeit.
Kaum erwähnt wird dabei, dass die palästinensische Bevölkerung selbst unter der islamistischen Herrschaft der Hamas leidet: Unterdrückung politischer Gegner, Repression gegen Frauen, Indoktrinierung von Kindern. Das Elend im Gazastreifen ist nicht nur die Folge israelischer Verteidigungsmaßnahmen, sondern auch und vor allem eines totalitären Systems, das Menschen zu Symbolen macht, anstatt sie zu schützen.
Das Ergebnis ist eine paradoxe Situation: In der Absicht, humanitär zu sein, reproduziert ein Teil der westlichen Medienlandschaft ungewollt die Propagandalogik jener Kräfte, welche die Humanität verachten. Der Krieg wird zur moralischen Projektionsfläche, der Gazastreifen zum Symbol, Israel zur Chiffre. Zugleich geraten andere Konflikte – der Krieg im Sudan, die Unterdrückung im Iran, das Elend im Jemen – aus dem Blickfeld. Empörung wird selektiv, der moralische Kompass wird politisch kalibriert.
Während der Westen täglich vom Gazastreifen spricht, bleibt das Leiden in Teheran, Sanaa oder Khartum fast unsichtbar. Hunderttausende Tote, Folter, Hunger, Vertreibung – keine Bilder, keine Empörung. Nicht, weil das Leid dort geringer wäre, sondern weil es keine bequeme moralische Rolle anbietet.
Inzwischen treten auch prominente Musiker, Schauspieler, Kulturaktivisten, Influencer und Politiker auf diesen Demonstrationen auf – überzeugt, auf der Seite der Gerechtigkeit zu stehen. Doch ihre mediale Präsenz vervollständigt die Inszenierung: Sie verleihen der Bewegung jene moralische und kulturelle Aura, die ihr inhaltlich fehlt.
Wo einst kritische Distanz Voraussetzung von Öffentlichkeit war, wird heute Teilnahme zur Tugend erklärt. Wer auf Bühnen oder in sozialen Netzwerken Parolen wiederholt, ohne deren Ursprung oder ideologische Implikationen zu hinterfragen, verstärkt ungewollt genau jene Regie, die jenseits der öffentlichen Wahrnehmung längst die Themen und Symbole setzt. So entsteht eine neue Form von Propaganda – nicht durch Zensur, sondern durch Begeisterung.
Eine verantwortliche Presse müsste diesem Mechanismus widerstehen – nicht durch Parteinahme, sondern durch Kontext. Denn Aufklärung beginnt dort, wo man sich weigert, Empörung zum Ersatz von Erkenntnis zu machen. Nur wer den Mechanismus der Instrumentalisierung erkennt, kann sich ihm entziehen und jene Freiheit verteidigen, die in autoritären Regimen längst zur Waffe geworden ist.
Konsequenzen für Antisemitismus
Die Inszenierung von Empörung, verstärkt durch mediale Verkürzungen, soziale Netzwerke und prominente Stimmen, hat direkte Konsequenzen für die gesellschaftliche Realität in Deutschland. Antiisraelische Demonstrationen, die sich moralisch aufladen, tragen zu einer Normalisierung antisemitischer Haltungen bei. Jüdische Bürger erleben vermehrt Einschränkungen im öffentlichen Leben, tragen Symbole ihrer Identität nur noch unter Bedrohung, Kulturstätten und Synagogen werden Ziel von Drohungen.
Gleichzeitig verschafft die emotionale Mobilisierung islamistischen Kräften wie der Hamas und deren Sympathisanten eine ideologische Resonanzfläche im Westen, die ihre Agenda indirekt unterstützt. Wer die Parolen und Narrative kritiklos übernimmt, auch aus gut gemeinter Solidarität, reproduziert unbewusst eine politische Wirkung, die langfristig Radikalisierung fördert.
Das Zusammenspiel aus vereinfachter Berichterstattung, moralischer Selbstzensur, prominenter Verstärkung und emotionaler Mobilisierung erzeugt in Europa ein Klima, in dem Antisemitismus an Sichtbarkeit gewinnt, Islamismus ideologisch gestützt wird und die öffentliche Sicherheit bedroht ist. Die westliche Öffentlichkeit wird so selbst Teil einer Dynamik, die Gewalt und Unterdrückung im Nahen Osten verlängert – und in der eigenen Gesellschaft neue Gefahren schafft.
Der Artikel erschien zuerst bei Jungleblog.






