Wie sich der Mann anhörte, der von der obersten Autorität des Islam in der Türkei als »Quelle der Inspiration der Muslime« bezeichnet wird.
»Die Nachricht vom Tod von Prof. Dr. Yusuf al-Qaradawi, einem der renommiertesten Gelehrten der islamischen Welt, erfüllt mich mit tiefer Trauer.« Das gab Ali Erbaş bekannt, der als Präsident des türkischen Amts für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) als oberste islamische Autorität der Türkei gilt.
Das Amt, das direkt dem türkischen Präsidenten unterstellt ist, übt nicht nur im eigenen Land Einfluss aus, sondern über seine Niederlassungen im Ausland auch weit darüber hinaus. So sind in Deutschland mit der »Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion« (DITIB) und in Österreich mit der »Türkisch-islamischen Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich« (ATIB) die jeweils größten sunnitischen Islamverbände dem Diyanet unterstellt.
Dass der Präsident der türkischen Religionsbehörde über den Tod eines der wichtigsten islamistischen Vordenker betrübt ist, kann kaum noch überraschen. Das Amt vertrat einst zwar ein betont gemäßigtes Islamverständnis, doch unter der Herrschaft von Recep Tayyip Erdoğan und der AKP kann davon keine Rede mehr sein. So kommt es, dass der heutige Diyanet-Präsident Yusuf al-Qaradawi, den Chefideologen der Muslimbruderschaft, als »eine der Lichtgestalten unserer Zeit« und »herausragenden Gelehrten« rühmt.
Eine Inspiration?
Wofür der Mann stand, »der sein Leben dafür eingesetzt hat, dass die Bestimmungen, Grundsätze und Ideen des Islam verstanden und befolgt werden« (Erbaş über al-Qaradawi), lässt sich anhand eines seiner Bestseller erahnen, dem Buch Erlaubtes und Verbotenes im Islam, das jahrelang auch im islamischen Religionsunterricht an österreichischen Schulen verwendet wurde.
Al-Qaradawi propagiert darin die grundsätzliche Schlechterstellung von Frauen, die auch geschlagen werden dürften, wenn sie dem Mann gegenüber nicht gehorsam sind. Homosexualität war für al-Qaradawi eine »geschlechtliche Abartigkeit« und ein »entartetes Verhalten«, das mit dem Tod zu bestrafen sei, »um die Reinheit der islamischen Gesellschaft zu erhalten und sie von abartigen Elementen rein zu halten«. Darüber hinaus sei neben außerehelichem Geschlechtsverkehr und Mord auch die »Abkehr vom Islam« mit dem Tod zu bestrafen.
Bekannt wurde al-Qaradawi, der Selbstmordanschläge gegen Amerikaner im Irak und gegen Israel ausdrücklich befürwortete, auch für seinen tiefsitzenden Antisemitismus. Immer wieder in der Geschichte, so führte er auf dem katarischen Fernsehsender Al Jazeera aus, seien die Juden für ihre Untaten bestraft worden:
»Die letzte Bestrafung wurde von Hitler ausgeführt. Durch all die Dinge, die er ihnen angetan hat – auch wenn sie diese Sache übertrieben haben –, hat er es geschafft, sie in ihre Schranken zu weisen. Dies war eine göttliche Strafe für sie … So Allah will, wird [die Bestrafung] das nächste Mal durch die Hand der Gläubigen geschehen.«
So hörte sich der Mann an, der von der obersten Autorität des Islam in der Türkei als »Quelle der Inspiration der Muslime« bezeichnet wird.
Diesem Lob wollte Erbaş’ Chef nicht hintanstehen: In einem Telefonat mit al-Qaradawis Sohn bezeichnete Präsident Erdoğan, der selbst dem türkischen Pendant der Muslimbruderschaft entstammt, den verblichenen Islamisten als das »schönste Beispiel« dafür, wie ein Muslim leben sollte, und pries al-Qaradawi als jemanden, der sein ganzes Leben lang keine Kompromisse gemacht habe, wenn es um seine Überzeugungen ging.