Anlässlich der angekündigten palästinensischen Wahlen rät der Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) der EU in einem Papier, diesmal auch mit der Terrororganisation Hamas zu kooperieren, die Israel vernichten will. Der Autor des Textes hat schon in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Politik des jüdischen Staates für das größte Friedenshindernis hält, und ist für Sanktionen gegen Israel eingetreten. Die Palästinenser kommen bei ihm nur als Opfer vor.
Als fünfzig prominente Europäer im Jahr 2007 das European Council on Foreign Relations (ECFR) gründeten – darunter Regierungschefs und Minister, Parlamentarier und Publizisten, Diplomaten und Intellektuelle –, setzten sie sich zum Ziel, mit diesem Thinktank für eine stärkere Außen- und Sicherheitspolitik und eine wichtigere Rolle der Europäischen Union in der Welt einzutreten.
Dazu gehört es für das ECFR auch, einen Fokus auf den Nahen Osten und Nordafrika zu richten, also auf die MENA-Region. Dort will man nach eigenen Angaben „zu einer neuen Politik“ beitragen, die Krisen deeskaliert, friedensschaffende Lösungen vorantreibt und „die EU-Mitgliedsstaaten eine aktivere diplomatische Rolle bei der Lösung von Problemen spielen lässt“.
Alter Bekannter
Das klingt erst einmal konstruktiv und gut – doch wenn man sich ansieht, wie das ECFR in diesem Kontext auf den israelisch-palästinensischen Konflikt blickt, stößt man rasch auf fragwürdige Positionen und Stellungnahmen. Vertreten werden sie immer wieder vor allem von Hugh Lovatt, der sich als Politikwissenschaftler für das ECFR vornehmlich mit Israel und den palästinensischen Gebieten befasst.
So hielt er beispielsweise die Entführung und Ermordung von drei israelischen Jugendlichen im Westjordanland durch die Hamas im Sommer 2014 – die den Beginn des letzten großen Gazakrieges markierte – nicht etwa für einen Akt des Terrors, sondern verharmloste sie als „Symptom für tiefere Probleme, die durch Israels Besatzungspolitik verursacht werden“.
Diese „Besatzungspolitik“ sowie die israelischen Siedlungen und Ortschaften in der Westbank sind für Lovatt das zentrale Hindernis für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern; die Letztgenannten sieht er selten anders als in der Opferrolle.
Vom jüdischen Staat und dessen Bekenntnis zur Zweistaatenlösung hänge die Möglichkeit der EU ab, zumindest so etwas wie Konfliktmanagement zu betreiben, schrieb er im Mai 2015 gemeinsam mit Mattia Toaldo. Der palästinensischen Seite verlangt Lovatt ein solches Bekenntnis nicht ab.
Als die Europäische Kommission ein halbes Jahr später eine besondere Kennzeichnungspflicht für Produkte beschloss, die aus israelischen Ortschaften im Westjordanland, in Ostjerusalem und auf den Golanhöhen in die EU eingeführt werden, ging ihm das, wenig überraschend, nicht weit genug.
Die Vorschläge des ECFR zu Israel: Sanktionen, Ausschluss, Einfuhrverbot
Europa müsse sich in seinen Beziehungen zu Israel schärfer von der „Illegalität der schleichenden Annexion der besetzten palästinensischen Gebiete“ abgrenzen, forderte Hugh Lovatt, auf dass sich „reale finanzielle Konsequenzen für durchschnittliche Israelis“ ergeben mögen, „die dem israelischen Siedlungsprojekt gegenüber ambivalent bleiben“.
Sprich: Es sollen ökonomische Sanktionen vonseiten der EU ergriffen werden, die Israel und seine Bevölkerung merklich spüren. Von der israelischen Kritik an der Kennzeichnungspflicht und der Einschätzung, der Beschluss sei im Interesse der BDS-Bewegung, solle sich die Europäische Union nicht beeinflussen lassen. Der Druck auf den jüdischen Staat sei zu gering, schrieb Lovatt; bei der russischen Annexion der Krim sei die EU viel entschlossener aufgetreten.
Im Juni 2016 rief Lovatt den Weltfußballverband FIFA dazu auf, eine Handvoll unterklassiger Vereine aus israelischen Siedlungen im Westjordanland vom Spielbetrieb auszuschließen. Wenn in den palästinensischen Gebieten Sportwettbewerbe oder Sporteinrichtungen nach Terroristen benannt werden, was keine Seltenheit ist, zieht es der Politikwissenschaftler dagegen vor, sich nicht dazu zu äußern.
Ein Jahr später regte Lovatt gemeinsam mit Omar Dajani an, die EU möge ein Einfuhrverbot für Waren aus den israelischen Siedlungen verhängen und solle dort keinerlei Investitionen tätigen. Außerdem müssten gezielte Sanktionen gegen Personen und Organisationen ausgesprochen werden, „die Israels ungesetzliche Praktiken in den besetzten palästinensischen Gebieten unterstützen oder von ihnen profitieren“.
Täter sind immer nur die Israelis
Die „Anwendung von Gewalt durch Israel“ sei „unverhältnismäßig“, schrieb Hugh Lovatt im Mai 2018, und könne „zu einer größeren palästinensischen Unterstützung für eine Rückkehr zum bewaffneten Widerstand“ oder zumindest „zu mehr nihilistischer Gewalt gegen Israelis“ führen.
Auch hier ist das bekannte Muster zu erkennen: Täter sind immer nur die Israelis, die Palästinenser reagieren lediglich. Folgerichtig rühmte Lovatt im Februar 2020 auch die „schwarze Liste“ des notorisch antiisraelischen UN-Menschenrechtsrates mit einer Aufstellung von Unternehmen, die in israelischen Ortschaften im Westjordanland und in Ostjerusalem geschäftlich tätig sind. Europäische Regierungen und die Europäische Union sollten sie nutzen, empfahl er.
Und während mehrere arabische Staaten unter der Vermittlung der US-Regierung mit Israel zu Friedensverträgen kamen – eine Entwicklung, die jahrzehntelang völlig undenkbar war –, schrieb Lovatt: „Die europäische Politik hat in diesem Jahr bedeutende Erfolge in Israel-Palästina erzielt: Sie hat dazu beigetragen, Donald Trumps ‚Friedens‘-Plan zu blockieren und Israels De-jure-Annexion palästinensischer Gebiete zu verhindern.“
So klingt das, wenn man von wichtigen politischen Entwicklungen überrollt wird und das dann noch als Sieg verkaufen muss.
Nicht ohne die Hamas?
Unlängst hat Hugh Lovatt einen weiteren Text für das European Council on Foreign Relations vorgelegt; in ihm geht es um die angekündigten Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat (also dem Parlament in den palästinensischen Gebieten), zum Palästinensischen Nationalrat (also dem höchsten legislativen Organ der PLO) und des Präsidenten der Autonomiebehörde.
Sollten diese Wahlen tatsächlich stattfinden, wären sie die ersten auf nationaler Ebene seit über 15 Jahren. Die europäischen Regierungen müssten nun, wie Lovatt betont, „den Wahlprozess vorantreiben, ihr gesamtes politisches Gewicht einsetzen und mit allen palästinensischen Akteuren zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Wahlen erfolgreich verlaufen“.
„Mit allen palästinensischen Akteuren“ – das meint Lovatt wörtlich. Die Terrororganisation Hamas zählt er ausdrücklich dazu. Die Europäer hätten nun „die Chance, eine Wiederholung ihrer desaströsen Reaktion auf die letzten Parlamentswahlen im Jahr 2006 zu vermeiden“.
Damals habe sich die EU „geweigert, den überraschenden Sieg der Hamas anzuerkennen“, und die Gotteskriegerpartei „sanktioniert und unterminiert – faktisch, um sie dafür zu bestrafen, dass sie sich am demokratischen Prozess beteiligt hatte“. Das habe dazu beigetragen, die Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah zu entfachen, die dann im Sommer 2007 zu einem Bürgerkrieg geführt hätten. Seitdem kontrolliere die Hamas den Gazastreifen und die Fatah das Westjordanland.
Keine desaströse Reaktion, sondern legitimer politischer Druck
Dass die Europäische Union die Hamas dafür bestraft hat, dass diese sich an demokratischen Wahlen beteiligte, ist eine recht eigenwillige Sichtweise, um es zurückhaltend zu formulieren.
Die EU hatte seinerzeit die Zahlungen an die Autonomiebehörde ausgesetzt – wie es auch die Regierungen der USA und Kanadas taten – und angekündigt, sie wieder aufzunehmen, wenn die Hamas drei Bedingungen erfüllt:
- Gewaltverzicht
- die Anerkennung Israels
- und die Einhaltung der bisher getroffenen Vereinbarungen mit Israel.
Die Europäische Union werde den Palästinensern jedoch weiterhin bei Grundbedürfnissen wie Trinkwasser, Elektrizität und Nahrung helfen, hieß es damals. Der Schritt war keineswegs eine „desaströse Reaktion“, sondern erkennbar dem Schock darüber geschuldet, dass die Palästinenser eine islamistische und antisemitische Terrororganisation, die den jüdischen Staat vernichten will, zum Wahlsieger machten.
Die Bedingungen waren zwar de facto unerfüllbar, weil sie den Wesenskern der Hamas betrafen, aber natürlich eine Form von politischem Druck – und zwar vom legitimem politischen Druck. Die Hamas kann keine Ansprechpartnerin für die EU sein, und eine Befriedung des israelisch-palästinensischen Konflikts wird mit ihr niemals möglich sein. Ein besseres Leben für die Palästinenser gibt es nur ohne die Hamas.
Hugh Lovatt jedoch glaubt, die Haltung der Europäischen Union habe „nur die Hardliner innerhalb der Gruppe gestärkt, die sich gegen politische Kompromisse und für eine bewaffnete Konfrontation mit Israel aussprechen“. Damit hätten die Europäer „die Möglichkeit verloren, das Verhalten der Organisation positiv zu beeinflussen“.
Als ob es in der Hamas relevante Kräfte gäbe, die nicht am antisemitischen Maximalziel der jihadistischen Zerstörung Israel festhalten, sondern sich in irgendeiner Form mit der Existenz jüdischer Souveränität arrangieren könnten. Und als ob die vermeintlich Moderaten nicht allenfalls zu vorübergehenden (!) taktischen Zugeständnissen bereit wären, weil sie um ihre Schwäche wissen.
When in doubt, always ask the Europeans – then do the opposite
Dennoch ist Lovatt unbedingt der Ansicht, die EU müsse sich gegenüber den Palästinensern dazu verpflichten, „mit jeder Regierung zusammenzuarbeiten, die aus den Wahlen hervorgeht“ – also auch mit einer, an der die Hamas beteiligt ist. Denn es gelte, „dem Erbe vergangener Fehler zu entkommen“, den „gemäßigten Trend innerhalb der Hamas“ zu stärken und „das Entstehen einer einheitlichen, repräsentativen und rechenschaftspflichtigen palästinensischen Führung“ zu unterstützen. Das seien auch „wichtige Faktoren bei zukünftigen Verhandlungen mit Israel“.
Man ist geneigt zu fragen, worüber der jüdische Staat eigentlich mit der Terrortruppe verhandeln soll. Etwa über die Modalitäten des eigenen Untergangs?
So sehen sie aus, die Ideen und Vorschläge eines wichtigen europäischen Thinktanks für eine europäische Positionierung gegenüber Israel und den Palästinensern, für eine stärkere Außen- und Sicherheitspolitik und eine wichtigere Rolle der EU im Nahen Osten. Würden sie umgesetzt, dann hätte das eine weitere Verschärfung der europäischen Politik gegenüber dem jüdischen Staat zur Folge, die bereits jetzt wenig israelfreundlich ist.
Von Dan Schueftan, dem ehemaligen Berater des nationalen israelischen Sicherheitsrates, stammt das Bonmot: „When in doubt, always ask the Europeans – then do the opposite.“ Also: Im Zweifelsfall fragt man immer die Europäer um Rat und tut dann das Gegenteil. Auch und gerade mit Blick auf das ECFR ist das nicht die schlechteste Idee.