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Die Lobby, die wir alle kennen

Glaubt, die USA seien von einer jüdischen Lobby beherrscht: UNO-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese
Glaubt, die USA seien von einer jüdischen Lobby beherrscht: UNO-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese (© Imago Images / AAP)

Das antisemitische Vorurteil einer übermächtigen jüdischen Lobby samt globaler Verschwörung erweist sich als äußerst hartnäckig.

Das antisemitische Vorurteil einer globalen jüdischen Verschwörung lässt sich bis mindestens auf die Protokolle der Weisen von Zion von 1903, einem früheren Vorläufer moderner Desinformation und Verschwörungstheorien, zurückführen. Bis heute findet man Anhänger auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

Bei den Rechten hat das Vorurteil in seiner radikalsten Form aktuell in der Theorie vom »Großen Austausch« sein Zuhause gefunden. Diese sieht Juden als Drahtzieher, welche die weiße Bevölkerung in Europa und Nordamerika durch nicht-weiße, hauptsächlich hispanische und muslimische Migranten ersetzen wollen. Sie war der Grund dafür, dass Teilnehmer der rechtsextremen Unite the Right-Kundgebung im Jahr 2017 in Charlottesville, Virginia, »Jews will not replace us« skandierten und eine der Hauptbeweggründe für den Anschlag auf die Tree of Life-Synagoge in Pittsburgh in Jahr später.

Bei Linken hingegen begnügt man sich mit der Ansicht, eine kaum definierte »Israel-« oder »Zionistenlobby« beeinflusse den öffentlichen Diskurs und die Außenpolitik gegenüber dem Nahen Osten, insbesondere Israel. Es scheint für sie unvorstellbar, dass eine moralisch vernünftige Person – geschweige denn die US-Regierung – den »genozidalen«, »siedlerkolonialistischen«, »Apartheid-Ethnostaat« Israel unterstütze anstatt des »unterdrückten«, »säkularen«, »egalitären« »palästinensischen Volkes«, sofern sie nicht einer tiefgreifenden Manipulation unterliege.

Klingen die Narrative der Linken generell weniger extrem, dringen sie doch viel weiter in den Mainstream-Diskurs vor.

Francesca Albanese, die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, deren Berichte und öffentliche Stellungnahmen zu Israel und den Palästinensergebieten oft von Menschenrechtsgruppen und UN-Gremien einschließlich des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in seinen Urteilen zitiert werden, teilte 2014 die Aussage, die »jüdische Lobby« kontrolliere die USA. 

Einer ihrer Vorgänger, Richard Falk, postete eine ähnlich gesinnte antisemitische Karikatur eines die USA darstellenden Hundes, der eine Kippa trägt, auf blutigen Menschenknochen herumkaut und auf Justitia uriniert. Die damalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, lehnte die Aufforderung ab, Falk für die Karikatur zu verurteilen. Später diente sie als Richterin am IGH und leitet seit 2021 eine dreiköpfige UN-Untersuchungskommission zum Gaza-Krieg von 2014. Eines der Mitglieder der Kommission, Miloon Kothari, äußerte 2022 in einem Interview mit Mondoweiss, einer amerikanischen Website, Bedenken über die »jüdische Lobby«, welche die sozialen Medien kontrolliere.

Jüdische Medienmacht?

Die Vorstellung einer jüdischen Kontrolle der Medien ist eine die »Judenlobby« häufig begleitende Verschwörungstheorie. Doch fehlt dieser Behauptung nicht nur jede faktische Grundlage, sondern widersetzt sich auch jeder Vernunft. Die New York Times mag einen jüdischen Chefredakteur haben, zeichnet sich aber bekanntermaßen nicht gerade durch offenkundige pro-israelische Voreingenommenheit aus. 

Darüber hinaus hätten ihre Hauptkonkurrenten – das Wall Street Journal, das zum Medienkonglomerat der Murdoch-Familie zählt, und die Washington Post, die Jeff Bezos gehört – jeden Anreiz, eine solche Voreingenommenheit explizit darzustellen, so es denn eine gäbe. Entlang amerikanischer parteipolitischer Geschmäcker verlaufend, steht der vom Christen Murdoch kontrollierte, konservative TV-Sender Fox News Israel weitaus weniger kritisch gegenüber als das progressive MSNBC, das zum Medienkonglomerat des Juden Brian Roberts gehört.

Unter den zehn einflussreichsten Nachrichtenquellen der EU im Jahr 2023 wäre allein Bloomberg (Platz 7) die einzige, die ansatzweise verdächtigt werden könnte, Verbindungen zu einer »jüdischen Lobby« zu unterhalten, käme es bei den paranoiden Antisemiten auf Fakten an und nicht auf Ressentiments. Nicht nur aber existieren bei Bloomberg keine Indizien irgendeiner pro-israelischen Voreingenommenheit, sondern nicht weit hinter der Nachrichtenplattform liegt die BBC (Platz 9), die Israel offen feindlich gegenübersteht.

Auf Platz 6 liegt X, ehemals Twitter, das die stetig wachsende Bedeutung sozialer Medien als Nachrichtenquelle verkörpert. X gehört dem mehrfach Antisemitismusvorwürfen ausgesetzten südafrikanischen Milliardär Elon Musk und fungiert mittlerweile hauptsächlich als Plattform pro-russischer (und nicht etwa pro-israelischer) Propaganda. TikTok, eine der wichtigsten Nachrichtenquellen für jüngere Generationen, ist eine chinesische Social-Media-Plattform, auf der pro-palästinensische Inhalte gegenüber pro-israelischen in einem Verhältnis von zwanzig zu eins überwiegen.

Jüdische Politmacht?

Eine andere Version der Verschwörungstheorie wurde mir von einem palästinensischen Freund vorgetragen: Er glaube, Juden machten mehr als fünfzig Prozent der US-Regierung aus. Noch-Präsident Joe Biden mag sich als Zionist bezeichnen, ist aber so wie seine Vizepräsidentin Kamala Harris nicht jüdisch. Von den 26 Mitgliedern des Kabinetts sind sieben (27 Prozent) jüdisch, darunter der Stabschef des Weißen Hauses Jeff Zients, Außenminister Anthony Blinken, Justizminister Merrick Garland, Finanzministerin Janet Yellen und der Minister für Innere Sicherheit, Alejandro Mayorkas.

Vier von fünfzig Gouverneuren der US-Bundesstaaten (acht Prozent) sind ebenfalls jüdischer Herkunft: Josh Shapiro (Pennsylvania), J. B. Pritzker (Illinois), Jared Polis (Colorado) und Josh Green (Hawaii). Alle vier gehören der Demokratischen Partei an, die mindestens seit Barack Obamas Amtsantritt als amerikanischer Präsident weitaus kritischer gegenüber Israel ist als die Republikaner. 

Neun von hundert Senatoren (neun Prozent) und 26 von 435 Mitgliedern des Repräsentantenhauses (sechs Prozent) sind jüdisch. Abgesehen von zwei republikanischen Mitgliedern des Repräsentantenhauses sind alle Demokraten. Einer der neun Richter des Obersten Gerichtshofs (elf Prozent) ist jüdisch; Elena Kagan wurde von Barack Obama ernannt.

Diese Zahlen zeigen, dass amerikanische Juden in der Regierung sicherlich überrepräsentiert sind, da sie 2020 nur 2,4 Prozent der US-Bevölkerung betrugen. Eine harmlose Erklärung dafür könnte sein, dass hochrangige Politiker überdurchschnittlich oft aus Berufen rekrutiert werden, die eine universitäre Ausbildung erfordern: Bis zu siebzig Prozent der Kongressmitglieder arbeiteten zuvor als Anwälte, Geschäftsleute (Banken, Versicherungen, Finanzen, Immobilien) und Ärzte, also in Berufen, in denen Juden traditionell überrepräsentiert sind. 

Laut dem Pew Research Center machen amerikanische Juden im Vergleich zum Rest der Bevölkerung doppelt so häufig einen College-Abschluss und mehr als zweieinhalbmal so oft einen postgradualen Abschluss. Dennoch bedeuten die Zahlen auch, dass Juden in keinem der drei Regierungszweige annähernd eine Mehrheit besetzen.

Jüdische Geldmacht?

In ihrer häufigsten Erscheinungsform wird das Vorantreiben der jüdischen Verschwörung durch den Einsatz von Geld und Geschäftskontakten vermutet, um ungebührlichen Einfluss auf willige Entscheidungsträger auszuüben.

Im Jahr 2022 zählte Forbes 267 jüdische Milliardäre mit einem geschätzten Gesamtvermögen von rund 1,7 Billionen Dollar. Das mag nach viel klingen, aber im selben Jahr zählte Forbes weltweit 2.668 Milliardäre mit einem geschätzten Gesamtvermögen von 12,7 Billionen Dollar. (Das gesamte Privatvermögen weltweit wurde auf 454 Billionen Dollar geschätzt). Das bedeutet, dass Juden zehn Prozent der Milliardäre weltweit ausmachten und dreizehn Prozent des Milliardärvermögens kontrollierten, auch hier also weit entfernt von einer Mehrheit sind.

Während einige jüdische Milliardäre wie Oracle-Mitbegründer Larry Ellison konservative und pro-israelische Politik unterstützen, halten sich die meisten fern von jeder Art des politischen Aktivismus. Einige wie Google-Mitbegründer Larry Page und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg präsentieren sich betont apolitisch. Andere wie Nick Pritzker und George Soros – ironischerweise häufiges Ziel rechter antisemitischer Verschwörungstheorien – unterstützen progressive und sogar antizionistische Anliegen.

Mächtige Israel-Lobby?

Der Großteil der paranoiden Energie richtet sich jedoch gegen das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), eine pro-israelische Lobbyorganisation, die von Linken häufig für die Unterstützung der amerikanischen Regierung für Israel verantwortlich gemacht wird. Gemäß Erzählung des israel-kritischen Politikwissenschaftlers John Mearsheimer, des marxistischen Historikers Ilan Pappé oder der Präsidentschaftskandidatin der Grünen Partei Jill Stein könnte man leicht den Eindruck gewinnen, AIPAC allein sei für die letzten sechzig Jahre der US-Außenpolitik im Nahen Osten verantwortlich. (Und dennoch herrscht Uneinigkeit darüber, wer für den Irakkrieg 2003 verantwortlich war, für den Mearsheimer die Israel-Lobby und Pappé die Öl-Lobby verdächtigt.)

Das Bild von AIPAC als allmächtige politische Kraft wird wohl durch die jüngsten Siege der von AIPAC unterstützten pro-israelischen Kandidaten für die Kongresswahl, George Latimer und Wesley Bell, gegen die lautstark antizionistischen Amtsinhaber Jamaal Bowman und Cori Bush in zwei hart umkämpften demokratischen Vorwahlen verstärkt.

Von der AIPAC-Allmacht Überzeugte werden wahrscheinlich von dessen Versagen keines Besseren belehrt, andere antizionistische Kongressmitglieder zu stürzen, die entweder keiner Vorwahlherausforderung gegenüberstanden wie die palästinensisch-amerikanische Abgeordnete Rashida Tlaib, oder die keine realistische Chance hatten zu verlieren, wie die Abgeordnete Ilhan Omar, die jüdische, pro-israelische Studenten als »Genozidbefürworter« bezeichnete. 

Auch werden sie nicht durch AIPACs Versagen ins Bockshorn gejagt werden, den äußerst beliebten jüdischen Gouverneur des entscheidenden Swing-States Pennsylvania, Josh Shapiro, zum Running Mate vom Kamal Harris zu ernennen. Selbst bedeutende politische Niederlagen, von denen wohl das Iran-Atomabkommen von 2015 die relevanteste ist, scheinen keinen Einfluss auf die Vorstellung einer schier unendlichen mächtigen Lobby zu haben.

Doppelmoral

Doch wie üblich ist der am schwersten verdauliche Aspekt die Doppelmoral, die so offenkundig zur Schau gestellt wird, dass sie im Grunde nur bösartig sein kann. Dieselben linken und progressiven Personen, die geradezu hysterisch unbegründete Behauptungen einer jüdischen Medienkontrolle vorbringen, zeigen keinen Hauch von Besorgnis darüber, dass sich das von Katar finanzierte Al-Jazeera-Netzwerk nach einer entsprechenden Entscheidung des US-Justizministeriums von 2020 weigert, sich als ausländischer Agent Katars zu registrieren. Die Rechten wiederum sind viel zu gelassen gegenüber russischer Wahleinmischung

Al Jazeera, die bei Weitem am meisten konsumierte Nachrichtenquelle in der Region Naher Osten und Nordafrika, wurde Anfang dieses Jahres auch in Israel verboten. Entgegen den Versuchen der Israel-Kritiker, diese Entscheidung als Angriff auf die Meinungsfreiheit darzustellen, konnte dieses Verbot nicht einseitig von der israelischen Regierung aus Abneigung gegen unliebsame Berichterstattung verhängt werden, sondern muss von einer Empfehlung der Geheimdienste aus nationalen Sicherheitsgründen bestätigt und von einer alle 45 Tage zu erfolgenden Genehmigung eines unabhängigen Richters begleitet werden.

Tatsächlich stellte das Bezirksgericht Tel Aviv-Jaffa einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Al-Jazeera-Inhalten und Terroranschlägen in Israel sowie eine enge Verbindung zwischen Al Jazeera und der Hamas fest und ging sogar so weit zu behaupten, die Hamas betrachte Al Jazeera als ihre PR-Zweigstelle.

Und dennoch wird Al Jazeera immer noch als vertrauenswürdig betrachtet. So ist das katarische Nachrichtennetzwerk mit 77 von 526 Referenzen (fünfzehn Prozent) die am häufigsten zitierte Quelle im englischsprachigen Wikipedia-Eintrag Gaza Genozid (Stand: September 2024), wobei die Zahl auf einhundert Referenzen (neunzehn Prozent) steigt, wenn man andere von Katar finanzierte Medien wie Al-Araby Al-JadeedMiddle East Monitor und Middle East Eye einbezieht. 

Platz zwei und drei werden vom Journal of Genocide Research, dem einzigen akademischen Fachjournal, das im Wikipedia-Eintrag zitiert wird und dem Jahre vor dem aktuellen Gaza-Krieg anti-zionistische und antisemitische Voreingenommenheit vorgeworfen wurde, mit 67 Referenzen (dreizehn Prozent) und der anti-zionistischen britischen Tageszeitung The Guardian mit 32 Referenzen (sechs Prozent) belegt. Sämtliche israelischen Quellen kommen insgesamt nur auf 29 Referenzen (fünf Prozent); die Hälfte davon stammt von linken bis weit linksstehenden Organisationen wie Haaretz, der Online-Plattform +972 Magazine oder der NGO B’Tselem.

Im englischsprachigen Wikipedia-Eintrag Gaza Hungersnot (Stand: September 2024) macht Al Jazeera 148 von 415 Referenzen (36 Prozent) aus, weit mehr als die 24 Referenzen (sechs Prozent) zu israelischen Quellen und sogar mehr als die 145 Referenzen (35 Prozent) zu allen Quellen, die als unabhängig bezeichnet werden könnten: Reuters, CNN, Associated Press, Washington PostNew York Times usw.

Der Wikipedia-Eintrag ist de facto über weite Strecken eine Zusammenfassung der Al-Jazeera-Berichterstattung, während The Guardian mit dreißig Referenzen (sieben Prozent) erneut den zweiten Platz belegt. Die restlichen Belege stammen von anderen anti-israelischen oder pro-palästinensischen Quellen wie BBC und NPR oder sind Berichte und Pressemitteilungen von UN-Agenturen und humanitären Organisationen.

Dieselben Leute, die sich über AIPACs Lobbyarbeit echauffieren, zeigen keinerlei Besorgnis über iranische Versuche, indirekt die amerikanische Politik zu beeinflussen, sei es durch die Finanzierung von Campusprotesten oder durch Cyberangriffe auf beide Präsidentschaftskampagnen, um die bevorstehenden Wahlen zu beeinflussen. 

Katar wiederum förderte zwischen 2001 und 2021 US-Universitäten mit 4,7 Milliarden Dollar und investierte damit fast hundertmal mehr, als die AIPAC-Ausgaben für Lobbyarbeit und Wahlkampfbeiträge im gleichen Zeitraum betrugen – mit dem Ergebnis deutlich erhöhter illiberaler, antidemokratischer und antisemitischer Ansichten an den betroffenen Instituten.

Unermesslicher Reichtum

Dieselben Personen, die sich über 1,7 Billionen Dollar jüdischen Milliardärvermögens beschweren, sollten entsetzt sein zu erfahren, dass dies in etwa dem Wert von Aramco entspricht, dem staatlichen Ölkonzern Saudi-Arabiens, der vollständig von der saudischen Königsfamilie kontrolliert wird. Das Haus Saud kontrolliert zusätzlich den saudischen Public Investment Fund im Wert von einer weiteren Billion Dollar. 

Das Haus Nahyan und damit die herrschende Familie von Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate, VAE) verwaltet die Abu Dhabi Investment Authority im Wert von einer Billion Dollar, die Mubadala Investment Company im Wert von dreihundert Milliarden Dollar, die Abu Dhabi Developmental Holding Company im Wert von zweihundert Milliarden Dollar und die Emirates Investment Authority im Wert von 87 Milliarden Dollar. Gemeinsam mit dem dreihundert Milliarden schweren Privatvermögen macht das insgesamt 1,9 Billionen Dollar an verwalteten Vermögenswerten aus.

Die kuwaitische Königsfamilie Sabah kontrolliert eine Billion Dollar innerhalb der Kuwait Investment Authority sowie 360 Milliarden Dollar an Privatvermögen. Die Al-Thani-Königsfamilie von Katar verfügt über ein beeindruckendes Privatvermögen von 330 Milliarden Dollar sowie über 500 Milliarden Dollar in der Qatar Investment Authority. Insgesamt kontrollieren diese vier Familien fast sieben Billionen Dollar an Vermögenswerten – vermutlich mehr als alle Juden der Welt zusammen. Wenn es um konzentrierten Reichtum geht, gibt es einfach keinen Vergleich zu den Königsfamilien arabischer Golfstaaten.

Deutlicher Machtunterschied

Geopolitisch ist der Machtunterschied noch eklataner. Ein bedeutender Teil der Erklärung für die obsessive Antipathieder UNO gegenüber Israel ist sicherlich die Tatsache, dass Israel mit seiner Bevölkerung von weniger als zehn Millionen Menschen und einem jährlichen BIP von fünfhundert Milliarden Dollar lediglich 0,1 Prozent der Weltbevölkerung und nur 0,5 Prozent des globalen BIP verkörpert. 

Die 21 Mitgliedstaaten der Arabischen Liga hingegen zählen fast fünfhundert Millionen Menschen und damit sechs Prozent der Weltbevölkerung und repräsentieren zusammengenommen ein jährliches BIP von 3,5 Billionen Dollar und damit rund drei Prozent des globalen BIP. Diese Zahlen steigen auf zwei Milliarden Menschen und damit 25 Prozent der Weltbevölkerung sowie fast neun Billionen Dollar BIP, also mehr als acht Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, wenn man alle 56 Mitgliedstaaten – fast ein Drittel aller UN-Mitglieder – der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) einbezieht.

Wahrscheinlich am bedeutendsten ist jedoch, dass das, was Juden fälschlicherweise vorgeworfen wird, nämlich die Kontrolle über Medien oder die Finanzindustrie zu besitzen, tatsächlich (bis zu einem gewissen Grad) auf die islamischen Staaten in Bezug auf die Ölindustrie zutrifft. Arabische Länder, insbesondere Saudi-Arabien, der Irak, die VAE und Kuwait, sind für 40 bis 45 Prozent der globalen Rohölexporte verantwortlich, wobei die Zahl auf 50 bis 55 Prozent steigt, bezieht man alle OIC-Mitglieder, insbesondere Nigeria, Kasachstan und Iran, ein. Und die arabischen Erdölexportländer haben historisch betrachtet keine Scheu gezeigt, diese Macht zu nutzen.

Die wohl erfolgreichste Lobbykampagne im Nahen Osten war das von Saudi-Arabien geführte Ölembargo von Oktober 1973 bis März 1974 gegen westliche Länder, die Israel im Jom-Kippur-Krieg unterstützt hatten. Der Ölpreis vervierfachte sich fast über Nacht und löste eine weltweite Rezession aus, die eine dreißigjährige Nachkriegskonjunktur beendete und ein Jahrzehnt der Stagflation einleitete.

Zusammen mit sowjetischen Drohungen direkter militärischer Intervention beschleunigte das Embargo den Beschluss der UN-Sicherheitsratsresolution 338, die einen Waffenstillstand im Jom-Kippur-Krieg forderte und am 22. Oktober 1973, drei Tage nach Inkrafttreten des Embargos, verabschiedet wurde. 

Innerhalb von zwei Wochen gaben die Außenminister der damaligen Europäischen Gemeinschaft eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie eine Friedensregelung forderten, welche »die Notwendigkeit, Israels territoriale Besatzung zu beenden«, betonte und dass »den legitimen Rechten der Palästinenser Rechnung getragen werden muss«.

Obwohl die PLO bereits 1964 gegründet wurde, erlangte sie erst nach dem Ölembargo und nicht nach der Besetzung des Westjordanlands, des Gazastreifens und Ostjerusalems im Sechstagekrieg von 1967 breitere internationale Anerkennung. Innerhalb eines Jahres, im Oktober 1974, wurde Jassir Arafat eingeladen, vor der UNO-Generalversammlung zu sprechen. Israel und die Vereinigten Staaten stimmten dagegen, aber drei der neun EG-Mitglieder – Frankreich, Italien und Irland – dafür, der Rest enthielt sich. 

Kurz darauf erhielt die PLO Beobachterstatus in der UN-Generalversammlung. Zu dieser Zeit war die PLO international hauptsächlich für ihre Terroranschläge gegen den Staat Israel bekannt – zuletzt das Ma’alot-Massaker im Mai 1974 mit dreißig Toten (die meisten davon Kinder) und siebzig Verletzten. Die PLO hatte auch soeben ihr Zehn-Punkte-Programm beschlossen, welches versprach, »alle Mittel und vor allem den bewaffneten Widerstand einzusetzen, um palästinensisches Gebiet zu befreien«. 1975 verabschiedete die UNO-Generalversammlung die Resolution 3379, die Zionismus mit Rassismus gleichsetzte.

Die Macht des Öls

Im aufstrebenden Forschungsfeld der Narrative Economics befürwortet Wirtschaftsnobelpreisträger Bob Shiller die Beobachtung von Häufigkeiten, mit denen bestimmte Begriffe in Büchern und Zeitschriften vorkommen, um auf die Verbreitung kultureller Narrative schließen zu können.

Untersucht man die Häufigkeit, mit der mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern verbundene Ausdrücke wie »Occupied Arab Territories«, »Middle East Conflict«, »Palestinian Liberation Organization« (PLO) und »Zionism« in englischsprachigen Druckschriften vorkommen, stellt man fest, dass sie alle während oder unmittelbar nach dem Ölembargo ihren Höhepunkt erreichten. Auch dies deutet darauf hin, dass das Ölembargo ein wesentlich wirksameres Mittel zur Förderung der palästinensischen Anliegen war als die angeblich so verwerfliche Besatzung von 1967, die selbst weit weniger Aufmerksamkeit im Westen erregte.

Die Lobby, die wir alle kennen
Quelle: Google Ngram Viewer

Kein Bestreben der »jüdischen Lobby« hat je eine solche Wirkung erzielt. Und dennoch ist die Sorge über die »arabische« oder »muslimische Lobby« nirgends zu finden. Natürlich stehen sich in der OIC extrem diverse, sogar widersprüchliche geopolitische Interessen gegenüber. Saudi-Arabien, die VAE, Katar, die Türkei und der Iran sind selten auf einer Linie, aber in ihrer Verurteilung Israels oftmals weitgehend einig, zumindest öffentlich.

Die »jüdische Lobby« hingegen, nicht weniger heterogen als die OIC, inspiriert weiterhin fiktional Werke, die sich als historische zu tarnen versuchen und als solche auftreten. Zumindest sollten wir solche »Bedenken« über eine solche Lobby als entweder völlig fehlinformiert oder im Fall von Menschen, die es besser wissen müssten, wie politische Kommentatoren, erfahrene Historiker und langjährige Politiker, als außerordentlich böswillig entschieden zurückweisen.

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