Die Linke Kassel: Gedenken ja – aber bitte ohne Israel

Rathaus in Kassel
Rathaus in Kassel (© Imago Images / Rüdiger Wölk)

Nach dem antisemitisch motivierten Terroranschlag von Halle an der Saale hisste die Stadt Kassel die israelische Flagge vor dem Rathaus. Daran entzündete sich ein in der Öffentlichkeit ausgetragener politischer Streit – ein Stadtratsabgeordneter der Linken nahm daran Anstoß und verlangte vom Oberbürgermeister eine Erklärung.

Am 9. Oktober hatte in Halle ein erklärter Judenhasser versucht, während des Jom-Kippur-Gottesdienstes in eine Synagoge einzudringen, um dort ein Blutbad anzurichten. Sein Plan scheiterte daran, dass er die abgeschlossene Tür nicht aufbrechen konnte; so ermordete er statt der Juden in der Synagoge zwei Menschen (beide nichtjüdisch), die ihm zufällig über den Weg liefen.

Kasseler Anteilnahme

Gleich am folgenden Tag, den 10. Oktober, hisste die Stadt Kassel als Zeichen der Anteilnahme und Solidarität die israelische Fahne vor dem Rathaus. Kassel unterhält eine Städtepartnerschaft mit der israelischen Stadt Ramat Gan bei Tel Aviv und hat aus diesem Grund immer eine solche Flagge in ihren Beständen, sagte ein Sprecher der Stadtverwaltung auf Anfrage von Mena-Watch. Er erläuterte, dass es neben der Flagge ein Banner mit dem Slogan und Twitter-Hashtag „#ZusammenSindWirStark!“ gegeben habe. Das sei bereits das Motto einer Großdemonstration nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni gewesen.

In einer Erklärung, die Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle nach dem Anschlag veröffentlichte, schrieb er, die Stadt Kassel sei „tief erschüttert und schockiert über den mörderischen Angriff auf Menschen und den feigen Anschlag auf die Jüdische Gemeinde in Halle an der Saale.“

Den Angehörigen der Opfer drückte er sein Mitgefühl aus, der betroffenen jüdischen Gemeinde seine Anteilnahme und Solidarität. „Antisemitismus, Menschen- und Fremdenhass haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Dem treten wir entschieden entgegen. Wir müssen jetzt noch fester gegen jeden Versuch zusammenstehen, unsere Gesellschaft durch Hetze, Hass, Extremismus und Gewalt zu spalten.“ Als „Zeichen der Betroffenheit und Solidarität“, so die Erklärung, „wurde vor dem Rathaus in Kassel die Israel-Flagge gehisst.“

Empörung der Linken

Wie die Lokalzeitung Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA) Anfang November berichtete, missfiel die Aktion dem Linken-Stadtratsabgeordneten Simon Aulepp, der seiner Wut bei der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 4. November Luft machte. An den Oberbürgermeister richtete er die Frage: „Würde die Kasseler Stadtverwaltung am Rathaus die Flagge von Saudi-Arabien hissen, wenn bei einem Anschlag in Deutschland Muslime getötet würden?“ Der Anschlag, so Aulepp weiter, sei „kein Anschlag auf den Staat Israel, sondern auf eine Glaubensgemeinschaft“ gewesen. „Der Bezug zum Nationalstaat leuchtet mir nicht ein.“

Saudi-Arabien ist bekannt als Staat, in dem die Bürger zu absolutem Gehorsam gegenüber dem Monarchen verpflichtet sind, die Menschenrechte keine Geltung haben und willkürlich drakonische Strafen bis hin zu Auspeitschung und Todesstrafe verhängt werden. Saudi-Arabiens Flagge wurde schon Anfang des 20. Jahrhunderts als Kriegsflagge der wahhabitischen Armeen unter Ibn Saud benutzt. Sie steht mithin für Glaubenskrieg, Tyrannei, Mord und Totschlag.

Es war sicherlich kein Versehen, dass der Linken-Abgeordnete die israelische Flagge ausgerechnet mit ihr in Verbindung brachte: So kritisierte er nicht nur einen ihm angeblich unverständlichen Verwaltungsakt, sondern brachte gleichzeitig seine Verachtung des jüdischen Staates zum Ausdruck. Aulepp machte auch einen Vorschlag: Als Reaktion auf den Terroranschlag von Halle hätte man in Kassel „die deutsche Flagge auf halbmast setzen“ oder „einen siebenarmigen Messing-Leuchter prominent ausstellen“ können.

„Ein richtiges und wichtiges Signal“

Markus Hartmann, der Vorsitzende der Kasseler Arbeitsgemeinschaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, nannte gegenüber Mena-Watch das Hissen der israelischen Flagge vor dem Rathaus „ein richtiges und wichtiges Signal“. Der Anschlag habe sich „gegen alle Juden in Deutschland“ gerichtet. „Da Israel das einzige Land ist, wo jüdische Religion und das jüdische Volk dasselbe sind, steht die israelische Flagge stellvertretend zum einen für den Staat Israel, die jüdische Religion aber auch für alle Juden weltweit.“

Die rhetorische Frage des Linken-Abgeordneten Aulepp – „Würde die Kasseler Stadtverwaltung am Rathaus die Flagge von Saudi-Arabien hissen, wenn bei einem Anschlag in Deutschland Muslime getötet würden? – findet Hartmann „einfach nicht passend, es sei denn die Muslime wären auch Saudis gewesen“.

Im Hinblick auf Aulepps Einwand, man hätte ja auch die deutsche Flagge auf halbmast setzen können, weist Hartmann auf die verwaltungsrechtliche Lage hin: „Die Stadt Kassel darf die deutsche Flagge von sich aus gar nicht auf Halbmast setzen, denn dies muss durch den hessischen Innenminister angeordnet werden.“

Keine Reaktion Aulepps

Um die Gefahr auszuschließen, Aulepps Argumente falsch oder verkürzt darzustellen, bat Mena-Watch Aulepp per E-Mail um eine Stellungnahme für diesen Artikel, erhielt aber die ganze Woche über keine Antwort. In einem Redebeitrag, dessen Text Mena-Watch vorliegt, antwortete Oberbürgermeister Geselle in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung auf Aulepps Kritik, indem er noch einmal sein Anliegen darstellte:

„Mit dem Hissen der israelischen Flagge vor dem Rathaus und dem Anbringen des Banners ‚#Zusammen sind wir stark!’ hat die Stadt Kassel ihre Anteilnahme mit den Opfern des offenbar rechtsextremistischen Täters ausgedrückt. Zugleich war dies ein deutliches Zeichen der Solidarität mit den Menschen jüdischen Glaubens. Dieses ist von der Jüdischen Gemeinde in Kassel als solches dankbar begrüßt worden.“

Antisemitismus breite sich in Deutschland wieder aus:

„Neben rechtsextremen Ansichten und in bestimmten Kulturkreisen oft anerzogener Judenfeindlichkeit gibt es auch den auf Israel bezogenen Judenhass. Jede antisemitische Aktion ist deshalb auch immer ein Angriff auf den Staat Israel. In Zeiten wie diesen, in denen Juden wieder offen diskriminiert und angegriffen werden, gilt es deshalb, klare Kante zu zeigen – vor allem gegen rechts aber auch gegen jede andere Form von Extremismus.

Im historischen Bewusstsein um den Völkermord an sechs Millionen Juden, stehen unser Land und unsere Gesellschaft unverbrüchlich an der Seite Israels – unabhängig von der israelischen Tagespolitik. Das gehört zu unserer Staatsräson. Wir alle müssen Verantwortung übernehmen und antisemitischen Tendenzen vehement entgegenwirken. Das erwarte ich insbesondere von allen politisch Aktiven.“

Esther Haß, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Kassel, sagte der HNA: „Die Flagge war eine Solidaritätsbekundung für Juden. Ich habe mich gefreut, dass sie vor dem Rathaus hing.“

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