
„Eine Reihe von Faktoren hat dazu geführt, dass in Tunesien inzwischen von den 110.000 Juden, die dort vor 1970 lebten, kaum noch welche übrig sind. Dazu gehört auch die staatlich tolerierte Gewalt gegen die Juden nach dem israelischen Sieg über seine Nachbarn im Sechstagekrieg von 1967. Einige Dutzend Familien verließen das Land nach der Revolution von 2011, die kurzzeitig eine islamistische und antiisraelische Partei an die Macht brachte. Diese Phase der Instabilität stellte das jüngste Kapitel in einer Geschichte dar, die durch Feindseligkeit und Verarmung zum nahezu vollständigen Verschwinden des jahrhundertealten jüdischen Lebens aus der arabischen Welt geführt hat. Die Juden in Djerba sind auch mit diesen Problemen konfrontiert gewesen, nicht zuletzt durch den Anschlag, den Angehörige von Al-Qaeda 2002 auf die El Ghriba-Synagoge verübten. Dabei wurden 20 Menschen getötet, darunter 14 deutsche Touristen. Die Explosion fand drei Wochen vor dem jüdischen Feiertag Lag b’Omer statt, an dem Hunderte Touristen, darunter auch Israelis, sich an der unter Juden mit tunesischen Vorfahren besonders beliebten El Ghriba-Synagoge zu einer Wallfahrt versammeln (…)
In Tunesien kommt es weiterhin zu antisemitischen Äußerungen, die oft mit wüsten Beschimpfungen Israels einhergehen. So werden die verbleibenden 1700 Juden des Landes daran erinnert, ‚dass der Araber leicht aufzustacheln ist’, so [der Yeshiva-Dozent Ben Zion] Dee’ie. So schloss sich Tunesien jüngst mehreren Ländern an und verbot den Film ‚Wonder Women’, offenbar weil die Hauptfigur vom israelischen Filmstar Gal Gadot dargestellt wird. Als der französische Philosoph Bernhard-Henri Levy, der Jude aber kein Israeli ist, 2014 nach Tunesien reiste, wurde er von Dutzenden Islamisten mit Plakaten empfangen, die ‚Levy den Zionisten’ aufforderten, das Land zu verlassen. Die Einladung des jüdischen Komikers Michael Boujenah zu einem tunesischen Filmfestival im Juli löste in Tunesien Proteste aus, von denen örtliche Antirassismus-Aktivisten erklärten, sie seien antisemitisch. In Tunesien sind mehrere von Islamisten und säkularen Nationalisten eingebrachte Gesetzesentwürfe anhängig, die einen umfassenden Boykott Israels und ein ausnahmsloses Einreiseverbot für Israelis fordern.
Gleichwohl hebt die tunesische Regierung die jüdischen Kulturstätten des Landes hervor, darunter auch Djerba. Die alte Synagoge dort steht auf der Liste jener Stätten, die Tunesien dieses Jahr mit der Bitte um Anerkennung als Teil des Weltkulturerbes bei den Vereinten Nationen eingereicht hat. Die Regierung hat mehrere Erklärungen über die positive Rolle abgegeben, die die jüdische Bevölkerung des Landes spielt, und hat erhebliche Ressourcen in die Renovierung ihrer Gebetsstätten gesteckt. Zudem denkt sie darüber nach, zwei Sitze im Parlament für Vertreter der jüdischen Gemeinde zu reservieren.“ (Cnaan Liphshiz: „In Tunisia, an ancient Jewish community braves uncertain future“)