Ein zentraler Teil der israelischen Kriegsanstrengungen war es, auch der Hisbollah im Libanon die Botschaft zukommen zu lassen, dass eine Eskalation sie teuer zu stehen kommen würde.
Haviv Rettig Gur, Times of Israel
Die taktischen Fehler der Hamas verblassen im Vergleich zu ihrer grundlegenderen Fehleinschätzung, die sich im stetigen Strom der Waffenstillstandsforderungen zeigte, die die Terrororganisation bereits am zweiten Tag der Kämpfe zu erheben begann. Die Hamas scheint geglaubt zu haben, dass Israel eine schnelle Deeskalation anstreben würde. Das war ein Irrtum. Die israelische politische und militärische Führung konnte es sich nicht leisten, der Hamas jene Ruhe zu gewähren, auf die sie gesetzt hatte.
Dafür gibt es viele Gründe, von der israelischen öffentlichen Meinung, die durch den Raketenbeschuss am Montagabend aufgebracht war, bis hin zum – nach fast einem Jahrzehnt relativer Ruhe verwurzelten – Glauben der israelischen Strategen, dass die Hamas über Jahre hinweg abgeschreckt werden kann, wenn ihr in jeder Kampfesrunde genug Schaden zugefügt werde.
Aber es gibt noch einen anderen Grund: einen grundlegenderen, der in der Berichterstattung über die Kämpfe nur am Rande erwähnt wurde, und der ein israelisches Kalkül betrifft, das weit über die Grenzen des Gazastreifens hinausreicht. Der Nahe Osten beobachtet genau, wie sich die Ereignisse in Gaza entwickeln. Einige der schärfsten Beobachter, das weiß Israel, sind Feinde, die weit gefährlicher sind als die Hamas.
An Israels nördlicher Grenze sitzt die vom Iran bewaffnete Hisbollah auf einem Vorrat an Raketen und Raketen, der in den Städten und Dörfern des Südlibanon eingegraben ist und das Arsenal der Hamas um ein Vielfaches übertrifft – eine strategische Bedrohung, die durch die nicht enden wollenden Lieferungen von immer tödlicheren Raketen aus Teheran verstärkt wird.
Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen der Gaza-Operation und der libanesischen Front, eine Verbindung, die zwischen den beiden Schauplätzen mindestens seit dem Sommer 2006 besteht, als ein grenzüberschreitender Angriff der Hamas auf IDF-Soldaten – die Entführung des Gefreiten Gilad Shalit – zu einer israelischen Operation in der Stadt Khan Younis in Süd-Gaza eskalierte.
Zwei Wochen später, am 12. Juli, als die israelischen Streitkräfte immer noch im Gazastreifen operierten, startete die Hisbollah ihren eigenen tödlichen Angriff auf eine israelische Militärpatrouille an der Nordgrenze und löste damit das aus, was die Israelis später den zweiten Libanonkrieg nennen würden.
Israel glaubt, dass die energische Antwort der Olmert-Regierung im Jahr 2006 der Grund dafür war, dass die Hisbollah die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) seither nicht mehr in einem nennenswerten Waffengang herausgefordert hat. Aber beide Seiten haben die letzten 15 Jahre damit verbracht, ihre Fähigkeiten zu verbessern, und die von Israel hart erkämpfte Abschreckungskraft könnte schwinden.
Die Hamas hat die israelische Antwort auf ihren anfänglichen Raketenbeschuss zum Teil deshalb falsch eingeschätzt, weil sie nicht erkannte, dass die israelische Antwort auch darauf ausgerichtet sein würde, sicherzustellen, dass die Hisbollah nicht die gleiche Fehlkalkulation macht. (…)
In den Kämpfen in Gaza hat die IDF nicht nur eine Botschaft an die Hamas gesendet, indem sie die Häuser ihrer Anführer ins Visier genommen hat. Sie hat auch dafür gesorgt, dass die Welt erfährt, dass sie das getan hat – sodass ein bestimmtes Publikum außerhalb von Gaza es nicht übersehen konnte.
Sie hat nicht nur Gebäude zerstört, in denen einige der wohlhabendsten und mächtigsten Personen des Gazastreifens wohnten (und sich, wie die Armee versichert, auch Einrichtungen der Hamas befanden), sondern sie hat vor jedem Angriff eine Vorwarnung gegeben, um sicherzustellen, dass sowohl die Zivilbevölkerung den Ort verlässt als auch die Palästinenser den Angriff auf Kamera festhalten, damit andere jenseits der Grenzen dies zu Gesicht bekommen können.
Israel kündigte an, das unterirdische Bunkersystem der Hamas ins Visier zu nehmen, und veröffentlichte Filmmaterial von der Zerstörung der Hamas-Raketenabteilungen. Die öffentliche Bekanntmachung der Fähigkeiten der IDF war ein zentraler Bestandteil der Kriegsanstrengungen.
Die langsame, aber unerbittliche Eskalation der israelischen Angriffe stellte dabei eine Botschaft dar, die man so umschreiben könnte: „Wir können das für eine lange Zeit tun. Ihr könnt euch aussuchen, wann ein Krieg beginnt, aber ihr könnt nicht entscheiden, wann er zu Ende ist. Und ihr werdet an diesem ungewissen Ende einen höheren Preis zahlen als am Anfang.“
Die Hamas hat in der vergangenen Woche wahrscheinlich de facto die Kontrolle über die palästinensische Nationalbewegung gewonnen. Sie hat gezeigt, dass sie Unruhen im Westjordanland und innerhalb der israelischen Gesellschaft auslösen kann. Aber sie hat dies um den Preis getan, dass sie den Gazastreifen auch in ein stellvertretendes Testgelände für den nächsten Israel-Hisbollah-Krieg verwandelt hat.
(Aus dem Artikel „While all eyes are on Gaza, Gaza is only half the story“, der in der Times of Israel erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)