Mit Potentaten kooperieren?

Von David Kirsch

Der Publizist und Politologe Eric Frey hat in den letzten Wochen durch zweifelhafte Lobgesänge auf islamistische Autokraten von sich hören gemacht: Durch den Ausbau der Zusammenarbeit mit Potentaten und Diktatoren denkt Frey, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit in Europa dauerhaft durchsetzen und gewährleisten zu können. Dass autokratische Regime nicht nur keine Vorbilder, sondern auch keine Partner sein können, da sie selbst Teil des Problems sind, spielt in seinen Überlegungen keine Rolle – im Gegenteil.

Im Standard vom 05. April erschien zuletzt Freys Kommentar zum EU-Türkei-Deal. Darin bekundete er Folgendes:

„Und gerade in diesen Tagen steht die EU-Asylpolitik vor einer konkreten Herausforderung: Sie muss das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei auf eine Weise umsetzen, die Grundrechte bewahrt und das bewirkt, was sich jeder in Europa wünscht – dass der illegale Schlauchboot-Exodus über die Ägäis aufhört und nicht durch noch gefährlichere Überfahrten nach Libyen nach Italien ersetzt wird.

Das Abkommen mit der Türkei … bietet dafür eine Chance, die genutzt werden muss. … Wer wirklich Asyl verdient, soll nicht im armen Griechenland bleiben müssen. Für alle anderen muss die Türkei trotz aller rechtsstaatlichen Mängel als sicherer Drittstaat gelten; schließlich bietet das Land 2,7 Millionen Flüchtlingen wirksamen Schutz.“

In den letzten Tagen wurde bekannt, dass die österreichische Bundesregierung an einer drastischen Verschärfung des Asylrechts arbeitet, welche die faktische Außerkraftsetzung des internationalen Asylrechts mit sich bringen würde. Auf Basis eines Notstandsgesetzes soll ermöglicht werden, dass Österreich Asylanträge in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen zulassen muss. Die österreichische Bundesregierung scheint jedenfalls zu ahnen, dass nicht jeder der geplanten österreichischen Asylpolitik so verbunden ist: Die „Asylrechtsnovelle“ soll mittels Abänderungsantrag im Innenausschuss eingebracht werden – ein Eilverfahren, das der Opposition lediglich eine verkürzte Begutachtungsfrist von einer Woche einräumt.


Kontinuität des Schreckens

Der – wie Frey es zynisch nennt – „illegale Schlauchboot-Exodus“ ist jedoch auch eine Konsequenz unverantwortlicher Passivität Europas gegenüber islamistischen Autokraten. Gerade diese sind es jedoch, die in Eric Freys Kolumnen regelmäßig Rückendeckung bekommen.

Seit sich im März 2011 in den Vorstädten Syriens erstmals Proteste gegen die Brutalität und Korruption des Regimes Bashar Al-Assads entwickelten, wurden die Protestierenden sowohl von Brüssel als auch von den USA gänzlich alleine gelassen. Das Assad-Regime trieb von Beginn an die Militarisierung der Proteste voran, indem es seine Schergen ohne Rücksicht auf Verluste in die Masse der Demonstrierenden schießen ließ. Der Telegraph berichtete erst kürzlich, dass die Commission for International Justice and Accountability eindeutige Beweise dafür besitze, dass sich Bashar Al-Assad selbst unzähliger Kriegsverbrechen schuldig gemacht habe.

Bereits ein Jahr nach dem Beginn der Proteste schien das Regime Assads kurz vor dem Fall zu stehen. Zu diesem Zeitpunkt hatten syrische Rebellengruppen die Stadt Aleppo und östliche Vorstädte von Damaskus bereits erobert, das Ende Assads schien so nur noch eine Frage der Zeit. Um den Fall seines Verbündeten in Damaskus abzuwenden, stationierte das iranische Regime Anfang 2013 deshalb tausende Einsatzkräfte der schiitisch-libanesischen Terrormiliz Hisbollah in Syrien. Sie sollten neben anderen schiitischen Milizen und den übrig gebliebenen Einheiten der regulären syrischen Armee eine Schlüsselrolle in der Aufstandsbekämpfung spielen.

hisbollah syrienSeit ihrer Entsendung nach Syrien haben auch schiitische Milizen nachweisbar Kriegsverbrechen begangen, wie Amnesty International bereits 2014 berichtete: Unter dem Vorwand sunnitische Unterstützer des „Islamischen Staates“ (IS) zu bekämpfen, führten schiitische Milizionäre regelmäßig extralegale Hinrichtungen durch die in ihrer Grausamkeit denen des IS in nichts nachstehen.

Hassan Hassan, Co-Autor des Buches „ISIS – Inside the Army of Terror“, stellte erst kürzlich in einem Beitrag für The National fest, dass das Überleben des Assad-Regimes seit 2013 nicht mehr in syrischer Hand liegt: Durch den jüngst erfolgten Teilabzug russischer Bodentruppen aus Syrien wird immer offensichtlicher, dass Assad ohne die Unterstützung schiitischer Milizionäre aus u. a. dem Iran und Afghanistan längst zum Rücktritt gezwungen wäre. Da diese seit den Anfängen des syrischen Aufstands gemeinsam mit Assads Armee das Land in Schutt und Asche legen, blieb vielen Syrern und Syrerinnen keine andere Chance mehr als zu fliehen.

Hassan Rohani, seit 2013 der Präsident der Islamischen Republik Iran und damit Mitverantwortlicher an der syrischen Katastrophe, ist für Eric Frey nichtsdestotrotz – so schrieb er in einem im Standard erschienen Kommentar vom 29. März – ein „Hoffnungsträger“. Für die syrischen Geflohenen jedenfalls spiegeln Rohani und die Islamische Republik Iran, die er repräsentiert, eher einen Albtraum wider, als nur einen Hauch der Hoffnung.

Doch Hassan Rohani ist nicht der einzige Autokrat, der dieser Tage den Segen Freys zugesprochen bekommt: Auch Recep Tayyip Erdogan, der Präsident der türkischen Republik, solle – so Frey in seinem Kommentar – als der momentan wichtigste Ansprechpartner der Europäischen Union anerkannt werden. Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei sei eine „Chance, die genutzt werden muss“.


Die Türkei als sicherer Drittstaat?

Just jener Erdogan hat kürzlich angekündigt, mutmaßlichen Unterstützern der kurdischen Untergrundorganisation PKK die Staatsbürgerschaft entziehen zu wollen. Nicht erst seit der gewaltsamen Enteignung AKP-kritischer Zeitungen wie der „Today’s Zaman“ oder den Hinrichtungen kurdischer Oppositioneller in Cizre sollte klar sein, wie es um die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei bestellt ist. Die Methode der Ausbürgerung ungeliebter Oppositioneller kennt man bereits aus Syrien: Schon mehrmals in der Geschichte des Assad-Regimes wurde hunderttausenden Kurden die Staatsbürgerschaft entzogen – womit diese für vogelfrei erklärt wurden.

cizre
Nicht Homs oder Aleppo, sondern Cizre

Auch sunnitische Syrer, die dem Krieg in die Türkei entkommen konnten, leben dort weitestgehend ohne Rechte. Wie der Guardian am 11. April berichtete, haben lediglich knapp 2.000 von 2,7 Millionen syrischen Geflohenen die Möglichkeit, in der Türkei zu arbeiten, was noch nicht einmal ein Prozent ausmacht. Die überwiegende Mehrheit der Geflohenen wird damit in die Illegalität gedrängt und ist gezwungen, sich auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Wie das Centre for Middle Eastern Strategic Studies herausgefunden hat, ist Kinderarbeit bei syrischen Flüchtlingen in der Türkei längst zur traurigen Notwendigkeit geworden.

In Anbetracht all dieser Fakten scheint es mehr als unklar, für wen die Türkei denn mittlerweile noch als „sicherer Drittstaat“ gelten solle, wie Eric Frey sie bezeichnet. Für kurdische Oppositionelle etwa? Oder für Frauenrechtlerinnen, deren Proteste anlässlich des Weltfrauentages mit Gummigeschossen beantwortet wurden? Oder etwa für kritische Journalisten wie den Türkei-Korrespondenten der Tageszeitung Die Welt, Deniz Yücel, der jüngst durch Agenten des türkischen Regimes bedroht wurde, sollte er seine kritische Berichterstattung nicht einstellen?

Der rechtsstaatlich mehr als fragliche Umgang mit kritischer Berichterstattung beschränkt sich jedoch nicht nur auf Journalisten, die innerhalb der Türkei arbeiten. Momentan soll es dem deutschen Satiriker Jan Böhmermann an den Kragen gehen, weil dieser es wagte, sich über den narzisstischen Autokraten Erdogan lustig zu machen. Unter den 200 Privatpersonen, die Strafanzeige gegen Böhmermann gestellt haben, befindet sich auch der türkische Präsident selbst.


Mehr als nur Mängel

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel befindet sich nun in der Zwickmühle: Sollte sie dem Druck Erdogans nachgeben, opfert sie das Recht auf Meinungsfreiheit – gegenüber dem Diktat eines nahöstlichen Autokraten. Stellt sie sich jedoch hinter Böhmermann, ist der Türkei-EU-Deal in Gefahr. Erdogan drohte erst kürzlich damit, den Deal platzen zu lassen, sollte die EU nicht baldigst allen Forderungen inklusive Wiederaufnahme der Gespräche über einen möglichen EU-Beitritt schleunigst nachkommen. Christian Ehring, Moderator der deutschen Satiresendung Extra 3, bemerkte kürzlich: „Europa begibt sich komplett in Erdogans Hand. Kein Wunder, dass er größenwahnsinnig wird.“

Angesichts all dessen stellt sich die Frage, ob es sich als Journalist dieser Tage wirklich geziemt, einem Regime, welches seine Kollegen bedroht, derart nach dem Mund reden, wie Eric Frey dies in seinem in Frage stehenden Kommentar tut.

Wer, wie Frey, die täglichen Kriegsverbrechen in der Türkei und Syrien als „Mängel“ verharmlost und die Verantwortlichen dieser Schandtaten zu Garanten von Rechtsstaatlichkeit erklären möchte, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, als Steigbügelhalter islamistischer Autokraten zu agieren. Ebenso wenig wie mit totalitären Regimen Grundrechte durchzusetzen sind, wird der syrische Bürgerkrieg, der nun in sein sechstes Jahr geht, ein baldiges Ende finden, solange Hauptverantwortliche für Terror und Unterdrückung – ganz gleich ob sie Rohani, Assad oder Erdogan heißen – hofiert, anstatt zur Rechenschaft gezogen werden.

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