Obwohl diese Gewaltepisoden zwischen Israel und der Hamas zu allgemeinem Bedauern keine ungewöhnlichen Ereignisse sind, kommt diese Auseinandersetzung zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Hamas besonders viele Konzessionen von Seiten Israels erwartet. Die Hamas ist sich dessen bewusst, dass das Timing für Israel besonders empfindlich ist, da nicht nur der Gedenktag für die gefallenen Israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus (Jom haSikaron) sowie der Tag der Unabhängigkeit auf diese Woche fallen, sondern auch der Eurovision Song Contest ab 14. Mai in Tel Aviv stattfindet.
Unter diesen Umständen erhofft sich die Hamas weitreichende Zugeständnisse von Seiten Israels in Bezug auf die Aufhebung bzw. Lockerung der Blockade, die 2007 als Reaktion auf die Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen verhängt wurde. In den vergangenen Monaten haben Israel und die Hamas, mit Hilfe Ägyptens, über einen langfristigen Waffenstillstand verhandelt, in Zuge dessen Israel zustimmte, den Transport von Waren in den Gazastreifen zu erleichtern und großräumige Infrastrukturprojekte zu erlauben. Der Hamas ging die Umsetzung dieses Waffenstillstandes zu langsam, wodurch sie die derzeitige Eskalation rechtfertigt.
Premierminister Benjamin Netanjahu hat Sonntagmorgen angekündigt, dass Israel den Raketenbeschuss weiterhin mit „massiven Anschlägen gegen Terrorelemente im Gazastreifen“ erwidern wird. Dementsprechend griff Israel im Laufe des Sonntags 320 Stützpunkte der Hamas und des Islamischen Dschihad an, darunter unterirdische Tunnel, Waffenproduktionsstätten und Raketenstartplätze. Netanjahu kam jedoch in den vergangenen Jahren immer wieder unter Kritik dafür, den Gemeinden im Süden Israels nicht ausreichend Schutz bieten zu können. Vor den Wahlen am 9. April haben dutzende Bewohner des Südens am Rothschild Boulevard in Tel Aviv aus Protest gegen Netanjahus Politik Zelte aufgeschlagen um eine einfache, jedoch klare Nachricht zu senden: „Uns reicht’s!“
Netanjahus Kritiker warfen ihm auch diesmal vor, die Situation nicht ausreichend im Griff zu haben. Oppositionsführer und früherer Generalstabschef der israelischen Armee, Benny Gantz, betonte in einem Interview mit Fernsehsender Reshet 13, dass Israel im Gazastreifen kompromisslos handeln muss, um die, laut ihm, verlorene Macht der Abschreckung wiederzuerlangen. Knesset-Abgeordneter der Blau-Weißen Fraktion, Ofer Shelah, warf Netanjahu vor, die Gemeinden des Südens im Stich zu lassen.
Den Raketenbeschuss dieses Wochenende bezog die Hamas auch auf den Eurovision Songcontest, der ab Mitte Mai in Tel Aviv stattfinden soll: „Der Eurovision Songcontest darf nicht in Tel Aviv stattfinden, so lange in Gaza keine Linderung der Blockade stattgefunden hat (…) Es kann nicht sein das sie in Tel Aviv singen und Spaß haben, während wir hier leiden“. Ohne Zweifel erhofft sich die Hamas mit einer Eskalation zu diesem Zeitpunkt besonders viele Zugeständnisse von Seiten Israels, da nun die Augen der internationalen Gemeinschaft insbesondere auf letztere gerichtet sind.
Waffenstillstand in den frühen Morgenstunden
Was dieser Waffenstillstand zeigt ist, dass weder Israel noch die Hamas derzeit ein Interesse daran haben, Krieg zu führen. Die Hamas wählte den Zeitpunkt dieser Eskalation strategisch, da Israel so kurz vor dem Eurovision Songcontest kaum eine weitgreifende Gewaltwelle zugelassen hätte und offener für eine Kompromissfindung war. Zugespitzt könnte man sagen, dass die Hamas mit dieser Eskalation schlicht und einfach die Einhaltung eines bereits bestehenden Waffenstillstandsabkommens erreicht hat, was jedoch sowohl Israelis und Palästinenser mit ihrem Leben bezahlen mussten.
Die Frage, die sich stellt, ist, ob man diese Ausschreitungen verhindern hätte können, da im Endeffekt nur der davor bestehende Status-Quo wiederhergestellt wurde. Stimmen aus dem israelischen Militärestablishment hatten bereits letzte Woche gewarnt, dass eine Eskalation wahrscheinlich sei, sollte Israel keine Konzessionen gegenüber der Hamas machen. Während man Israel hier Untätigkeit vorwerfen könnte, oder argumentieren könnte, dass Israel eine Chance verpasst hat, den Waffenstillstand aufrechtzuerhalten, darf man nicht in die Falle tappen, skrupellose Gewalt gegen Zivilisten von Seiten einer anerkannten Terrororganisation zu rechtfertigen.
Bis zum nächsten Mal
Nicht zu vernachlässigen ist außerdem die Tatsache, dass Hamas schlicht und einfach nicht an einer nachhaltigen Lösung interessiert ist. Hamas sowie andere militante Gruppierungen im Gazastreifen hegen einen tiefsitzenden Hass gegenüber Israel und solange der jüdische Staat existiert, werden diese Gruppen seine Bekämpfung mit allen Mitteln anstreben. Dies zeigt sich darin, dass sich die Hamas in der Vergangenheit nie als vertrauenswürdiger Partner erwiesen hat und humanitäre Hilfe immer wieder für Terrorzwecke ausgenutzt hat. Die prekäre humanitäre Lage der eigenen Bevölkerung ist dabei keineswegs eine Motivation, Frieden mit Israel anzustreben – oder auch nur den Bau einer Hochspannungsleitung durch den verhassten jüdischen Staat zu akzeptieren.
Wie sich dieses Wochenende gezeigt hat, versuchen Hamas & Co. Konzessionen mit brutalen Raketenbeschüssen zu erzielen. Solange der Gazastreifen von einer militanten Terrororganisation kontrolliert wird, deren einzige Machtlegitimation das periodische Kräftemessen mit Israel ist, werden nicht nur die dramatische humanitäre Situation der lokalen Bevölkerung, sondern auch weitere gewalttätige Auseinandersetzungen mit Israel in der Zukunft Schlagzeilen in internationalen Medien machen. Wer den Gordischen Knoten, der sich aus diesen Umständen ergibt, durchschlagen wird können, ist zu diesem Zeitpunkt unklar.