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Eigendynamik des Erdbebens: Beilegung türkisch-griechischer Differenzen?

Griechische Erdbebenhilfe für die Türkei
Griechische Erdbebenhilfe für die Türkei (© Imago Images / ANE Edition)

Das jüngste Erdbeben in der Türkei hat eine ungewöhnliche Welle freundschaftlicher Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei ausgelöst, die Fragen über die Möglichkeit einer Beilegung der Differenzen aufwirft.

Die Beziehungen zwischen den beiden NATO-Mitgliedern Türkei und Griechenland sind seit Jahren aufgrund von Streitigkeiten über Seegrenzen, über Energiequellen im östlichen Mittelmeer und über Zypern angespannt. Nachdem jedoch Anfang Februar ein verheerendes Erdbeben, bei dem knapp 50.000 Menschen ums Leben kamen und ganze Wohngebiete zerstört wurden, die türkischen Gebiete nahe der syrischen Grenze erschütterte, schien dies einen Durchbruch in den Beziehungen zwischen Athen und Ankara zu bedeuten.

Der griechische Außenminister Nikos Dendias war der erste europäische Minister, der nach dem Erdbeben die Türkei besuchte. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis telefonierte mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, sprach den Opfern sein Beileid aus und bot »sofortige Hilfe« bei der Bewältigung des Erdbebens an.

Außerdem haben Griechenland und die Türkei – beide Länder liegen auf seismischen Verwerfungen – eine lange Tradition der gegenseitigen Hilfe bei dieser Art von Naturkatastrophen. Sogar ein griechisches Hilfsteam war sofort in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten tätig und rettete Dutzende von Türken aus den Trümmern.

Am vergangenen Donnerstag brachte der griechische Ministerpräsident seine Überzeugung zum Ausdruck, die positive Atmosphäre in den Beziehungen zwischen seinem Land und der Türkei werde die bilateralen Beziehungen verbessern und äußerte sein »Vertrauen in die emotionalen Bande, die durch die Erdbebenkatastrophe zwischen den Völkern beider Länder entstanden sind«. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu meinte ebenfalls, es gebe Möglichkeiten zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten und fügte hinzu: »Die Beziehungen zu Griechenland müssen normalisiert werden. Wer ein guter Nachbar ist, das zeigt sich in schwierigen Tagen.«

US-Aufforderung zur Kommunikation

In den Vereinigten Staaten forderte Außenminister Antony Blinken am Montag sowohl Griechenland als auch die Türkei auf, miteinander zu kommunizieren, um ihre Differenzen zu lösen und einseitige Maßnahmen zu vermeiden, die die Spannungen verschärfen könnten: »Es liegt im Interesse sowohl Griechenlands als auch der Türkei, Wege zu finden, um die seit Langem bestehenden Differenzen zwischen ihnen durch Dialog und diplomatische Mittel zu lösen.«

Diese politischen Schritte werfen die Frage auf, ob Ankara und Athen angesichts der derzeitigen Dynamik ihre Differenzen überwinden können. Der ägyptische Autor Imad Anan meint, »theoretisch könnte die Atmosphäre den Weg für eine fast vollständige Normalisierung und die Etablierung herzlicher Beziehungen zwischen den beiden Staaten ebnen, basierend auf der aktuellen humanitären Situation, welche der Uneinigkeit vorübergehend ein Ende setzen kann.« Die noch bestehenden Differenzen zwischen beiden Seiten seien jedoch nach wie vor hochsensibel und stellten ein potenzielles Hindernis dar.

Der ehemalige türkische Diplomat Aydin Sezer ist hingegen überzeugt davon, das Erdbeben werde »keine entscheidende Rolle bei der Normalisierung zwischen den beiden Ländern spielen« wird. So könne man sehen, »dass das, was jetzt passiert, eine sehr kurze und vorübergehende Normalisierung ist.« Sezer ist der Ansicht, die Lösung der strukturellen Probleme erfordere bilaterale Anstrengungen, die über die derzeitige Konvergenz hinausgehen, und es gebe Hindernisse für solch eine Lösung. 

Sezer betonte, dass die unterschiedlichen Ansichten »über das östliche Mittelmeer und die Ägäis kaum eine Chance für eine Versöhnung bieten« und fügte hinzu: »Es ist technisch unmöglich, die Streitigkeiten beizulegen.« Dieser Meinung ist auch der ehemalige türkische Diplomat Engin Solak:, der ebenfalls keine Möglichkeit sieht, »die Differenzen beizulegen, nicht zuletzt weil beide Staaten auf die Parlamentswahlen im Mai und Juli zusteuern.«

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