Die Auseinandersetzung in Sheikh Jarrah ist auch ein Kampf um die Zukunft Jerusalems

Demonstration in Jerusalem gegen die möglichen Zwangsräumungen in Sheikh Jarrah
Demonstration in Jerusalem gegen die möglichen Zwangsräumungen in Sheikh Jarrah(© Imago Images / ZUMA Wire)

Wo Israel die Kontrolle hat, ist die Angelegenheit des im Zuges des Konflikts seit 1948 verlorengegangenen Eigentums Gegenstand von Diskussionen sowie von – wenn auch unvollkommenen, aber immerhin existenten – rechtlichen Verfahren.

Jonathan Spyer, Jerusalem Post

Zieht man in Betracht, dass Israel das einzige Land der Region ist, in dem solche Fragen überhaupt auch nur angesprochen werden, spiegelt das scheinbare Ungleichgewicht also ein größeres Gleichgewicht wider. Die Mieter von Shimon Hatzadik, zum Beispiel, mögen es unfair oder ungerecht finden, dass sie Miete an die Eigentümer des Hauses zahlen müssen. Aber sollten sie sich dazu bereit erklären, wird ihr Wohnrecht durch das Gesetz geschützt.

Davon ist auf der anderen Seite nichts zu spüren, wo automatisch angenommen wird, die arabisch-muslimische Position sei der Ausdruck absoluter Rechtmäßigkeit, was zu einer ebenso automatischen Ablehnung jeglicher Rechtsverfahren für Personen führt, die mit dem feindlichen Lager verbunden sind. Das ist die harte, meist unausgesprochene Folge eines ethno-religiösen Konflikts.

Wie auch immer die der Streits um Sheikh Jarrah letztlich ausgehen wird, Verteidigungsminister Benny Gantz hat kürzlich die Verschiebung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs angemahnt und war damit erfolgreich. Seine Argumentation war vermutlich, dass in einem ohnehin schon sehr angespannten Jerusalem ein Urteil zuungunsten der arabischen Mieter, den Effekt gehabt hätte, Öl ins Feuer zu gießen. Die Angelegenheit harrt also weiterhin einer Lösung.

In einem weiteren Sinne spiegelt der Streit um Sheikh Jarrah die Tatsache wider, dass die Stadt Jerusalem der Brennpunkt eines historischen und ungelösten Streits bleibt: Auf der einen Seite der israelisch-jüdische Versuch, die Souveränität zu konsolidieren und die Vorstellung einer vereinigten Stadt unter israelischer Herrschaft zu normalisieren. Auf der anderen Seite die anhaltenden Bemühungen einer Vielzahl arabisch-muslimischer (und muslimischer, aber nicht-arabischer) Akteure, diesen Prozess aufzuhalten und umzukehren.

So haben Organisation wie Nahalat Shimon International einen Widerpart, der als Gegenspieler auftritt. Insbesondere die türkische Regierung ist bestrebt, hinter den Kulissen ihren Einfluss in Jerusalem zu vergrößern. Durch ihren TIKA-Entwicklungsfonds und durch lokale, mit der Muslimbruderschaft assoziierte Gremien versucht Ankara, seine eigene Macht und die Macht des von ihm favorisierten sunnitischen politischen Islams in den arabischen Gemeinden Jerusalems zu stärken und auszuweiten.

Ähnliche Fonds und Stiftungen werden von Katar, Marokko, Jordanien und Saudi-Arabien unterhalten und finanziert. Palästinensische Millionäre wie Munib al-Masri und der verstorbene Abd al-Majid Shuman setzen sich aktiv für den Erwerb von Grundstücken und die Unterstützung von Bauvorhaben für die Araber in Jerusalem ein.

Dieser stille Krieg, der seit Jahrzehnten andauert und noch lange nicht zu Ende ist, folgt einer Logik, die sich von den normalerweise akzeptierten Regeln der Souveränität und den rechtlichen und politischen Normen unterscheidet. Bestehende Machtverhältnisse werden als fließend und vorübergehend angesehen, abhängig von der Macht zur Ausübung seines Willens.

Die Unterstützer und Befürworter der Mieter in Sheikh Jarrah auf der einen und die Akteure, die Shimon Hatzadik und Nahalat Shimon wieder aufbauen wollen, auf der anderen Seite werden ihren Kampf fortsetzen, auch wenn die gegenwärtige angespannte Periode in der Stadt vorüber ist.

Man könnte könnte druchaus argumentieren, dass dieselben Kräfte, die vor 150 Jahren zur Errichtung von unterschiedlichen und rivalisierenden Siedlungen rund um die Gräber von Shimon Hatzadik und Hussam al-Din al-Jarrahi führten, auch heute noch in der Stadt präsent sind und in Konflikt miteinander stehen.

(Aus dem Artikel „Sheikh Jarrah, Shimon Hatzadik: A tale of two gravesites in Jerusalem, der in der Jerusalem Post erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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