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Die arabische Rezeption der Shoah

Bereist man die arabische Welt, so kann man mühelos Geschäfte finden, in denen Bücher wie „Mein Kampf“ oder die „Protokolle der Weisen von Zion“ verkauft werden. Auch stößt man auf Läden, die den Namen „Hitler“ tragen – selbst wenn darin lediglich Alltagskleidung verkauft wird und im Grunde also eigentlich kein Bezug zum namensgebenden Massenmörder besteht. Einer dieser Läden befindet sich zum Beispiel in Gaza. Dort befragte man im Jahr 2015 Palästinenser, wie ihre Meinung zu dem Geschäft und dessen Namen wäre. Einer von ihnen antwortete: „Der Name des Shops ist ‚Hitler‘ und ich mag ihn, weil er der größte Judenhasser war.“

Warum scheint in der arabischen Welt eine angemessene Rezeption der Shoah so gänzlich zu fehlen? Während diese Frage auch in der Wissenschaft lange Zeit außen vor blieb, wurde sie in jüngerer Zeit doch wenigstens von einigen Wissenschaftlern aufgegriffen. Der Antisemitismus, die Holocaustleugnung in arabischen Ländern und die Kooperation arabischer Nationalisten mit dem Nazi Regime, prototypisch verkörpert durch die historische Figur des Antisemiten und Nazi-Kollaborateurs Amin-al-Hussaini, des ehemaligen Großmuftis von Jerusalem, sind mittlerweile zu Gegenständen einer Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen geworden. Anhand von drei Werken lassen sich der Um- und Aufbruch der Forschung zu diesen Themen zeigen.


Von der Empathie zur Leugnung

Im Jahr 2009 legten Esther Webman und Meir Litvak, beides bekannte Orientalisten der Tel Aviv University, eine erste umfassende Studie vor, die nicht nur die arabische Kooperation mit den Nationalsozialisten untersucht, sondern vor allem auch den arabischen Holocaust-Diskurs im Zusammenhang mit Ereignissen in der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den Blick nimmt: dem Eichmann Prozess, dem Reparationsabkommen zwischen Israel und Deutschland (1951-1953), den Auswirkungen des II. Vatikanischen Konzils (in den 1960er Jahren) und dem Oslo Friedensprozess (ab 1993). In „From Empathy to Denial. Arab Responses to the Holocaust“ arbeiten Webman und Litvak heraus, dass die westlichen Debatten über diese Themen durchaus großen Einfluss auf den arabischen Raum hatten.

Die Rezeption der Shoah reichte hierbei von der Leugnung des Massenmords über dessen Rechtfertigung bis hin zum Gleichsetzen des Nationalsozialismus mit dem Zionismus. Auch der Vorwurf der Kollaboration von Juden mit dem Nazi-Regime und die Gleichsetzung der Shoah mit der als „Nakba“ bezeichneten Flucht Hunderttausender Araber während des israelischen Unabhängigkeitskriegs sind als Topoi zu finden. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt haben Verschwörungstheorien, wie sie zum Beispiel in den berüchtigten „Protokollen der Weisen von Zion“ zu finden sind, Einzug in arabische Debatten gehalten und als Erklärung für die die Staatsgründung Israels fungiert.

Der arabische Blick auf die Shoah wurde vor allem durch den israelisch-arabischen/palästinensischen Konflikt verstellt: Der Fokus lag nie auf dem Verstehen und Verarbeiten der Judenvernichtung, sondern darum, wie der Verweis auf die Verbrechen der Nazis dazu verwendet werden kann, um vor der Weltöffentlichkeit angeblich wesensgleiche Verbrechen der Israelis zu verurteilen.

Webman und Litvak zeigen in ihrer bahnbrechenden und neue Maßstäbe setzenden Arbeit, wie die Shoah im arabischen Diskurs zu verschiedenen Zeitpunkten für je aktuelle Zwecke instrumentalisiert wurde – allen voran zur Unterstützung der arabischen Seite im Konflikt mit Israel.


Die Araber und der Holocaust

Im Jahr 2012 legt der Politologe Gilbert Achcar sein Buch „Die Araber und der Holocaust. Der Arabisch-Israelische Krieg der Geschichtsschreibung“ vor, das gleichermaßen die Fortschritte wie Fallstricke der arabischen Auseinandersetzung mit der Shoah verdeutlicht.

Achcar kontastriert die beiden Hauptteile seiner Arbeit nach zwei geschichtlichen Zeiträumen: die „Zeit der Shoah“, in der es um arabische Reaktionen auf Antisemitismus und den Holocaust geht, und die „Zeit der Nakba“, in der er die arabische Einstellungen zu Juden und dem Holocaust in der Zeit nach 1948 untersucht. Dabei betont er, dass sowohl Israelis als auch Palästinenser dem Schicksal der Gegenseite gegenüber Ignoranz und Verblendung an den Tag legen.

Das Ergebnis ist zwiespältig: Wie Matthias Küntzel feststellt, leugnet Achcar im Gegensatz zu vielen anderen Stimmen nicht die ideologische Verwandtschaft zwischen dem Nationalsozialismus und dem Pan-Islamismus der dreißiger und vierziger Jahre. Und er lässt auch keinen Zweifel daran, dass der heutige Kampf gegen Israel von islamistischen Gruppen getragen wird, deren Judenhass jenem der Nazis nicht unähnlich ist.

Gleichzeitig wird Achcars wissenschaftliche Analyse stark von seiner antizionistischen Israelfeindschaft beeinträchtigt. Er relativiert antisemitische Aussagen von arabischen Intellektuellen und Politikern und verbucht sie unter die Rubriken kulturelle Rückständigkeit und Frustration. Israel wird in typischer antizionistischer Rhetorik als „Kolonialmacht“ bezeichnet und sein Existenzrecht bestritten. Doch er belässt es nicht nur bei der Delegitimierung des jüdischen Staates, sondern dämonisiert ihn auch, wenn er beispielsweise behauptet, dass Israel heilige Stätten zerstöre, die Palästinenser verarmen lasse, ihre Landwirtschaft zerstöre etc .

Dass Achcar auf diese Art und Weise ein schwarz-weiß Bild malt, indem Israel als böse und die Palästinenser als gut darstellt werden, schmälert den allgemeinen Wert des Buches leider dermaßen, dass man es nur einer Leserschaft empfehlen kann, die über ein solides Vorwissen über den israelisch-arabischen Konflikt aufweist und Unwahrheiten, Verzerrungen und Polemik einfach zu erkennen vermag.

Achcar lehnt zwar den arabischen Antisemitismus ab – das aber nur aus gewissermaßen pragmatischen Gründen, weil er den Kampf gegen Israel erschweren würde. Achcars Arbeit weist eine klar politische Schlagseite auf, die auch deren wissenschaftliche Qualität nicht unbeeinflusst lässt. Webman und Litvak bieten nicht zuletzt durch ihre gleichermaßen unpolitische wie nichtpolemische Herangehensweise die eindeutig tiefgründigere Analyse der arabischen Rezeption der Shoah, auch wenn Achcar durchaus einige wichtige Erkenntnisse zur Diskussion hinzuzufügen vermag und durch den Umfang seines Quellenkorpus beeindruckt.


„Sartre in Kairo“

Ebenfalls 2012 erschien Omar Kamils „Der Holocaust im arabischen Gedächtnis. Eine Diskursgeschichte 1945-1967“, das noch einmal eine völlig neue Betrachtung des Sachverhaltes lieferte. Kamil arbeitet ideengeschichtlich und mit einem punktuell diskursiven Ansatz. Er legt seinen Fokus auf drei europäischen Wissenschaftler – Arnold Toynbee, Jean-Paul Sartre und Maxime Rodinson –, die einen großen Einfluss auf arabische Akademiker und deren Diskussion über die Shoah hatten.

Kamil untersucht, wie die Arbeiten der drei Autoren im arabischen Raum aufgenommen und ihre Idee verarbeitet wurden. Dabei betont er, dass die „koloniale“ Erfahrung der Gründung des Staates Israel ab den sechziger Jahren in Konkurrenz mit der arabischen Erinnerungskultur an die Shoah gestanden sei, wobei der arabischen Niederlage im Sechs-Tage-Krieg 1967 eine bedeutende Rolle spielte. Kamil arbeitet heraus, wie die arabische Rezeption seiner drei Hauptprotagonisten maßgeblich zur Leugnung und Marginalisierung der Shoah im arabischen Bewusstsein beigetragen habe.

Kamli überzeugt durch die Vielzahl seiner Quellen und den Einblick, den er in die Vielfalt an Meinungen, Aussagen und Diskussionen unter arabischen Intellektuellen in dem von ihm untersuchten Zeitraum zu geben vermag. Vor allem die Nutzung zahlreicher arabischsprachiger Werke ist hierbei hervorzuheben. Zu hoffen bleibt, dass Kamils am Ende seines Buches formulierte Einladung an arabische Gelehrte, sich genauer mit dem Holocaust zu befassen, Gehör finden wird.

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