„Man braucht im Iran mehrere Gesichter, um zu überleben: Ein Gesicht für die Familie, eins für die Freunde, ein anderes für die Arbeit und viele mehr. Das Gesicht, das man vor der Familie zeigt, ist eins, das Tabuthemen meidet. Ich war relativ jung, als ich da rausgekommen bin, aber wir haben in der Familie zum Beispiel nie über Sexualität gesprochen. (…) I
ch war immer ein stiller Beobachter und habe in meiner Zeit im Iran viele Frauen mit solchen Geschichten kennengelernt. Deswegen musste ich nicht zwingend selbst eine Frau sein, um zu erkennen, welche Probleme sie in der Gesellschaft haben. (…) [N]atürlich leiden unter der sexuellen Einschränkung im Iran auch Männer. Was sich bei Frauen und Männern unterscheidet, ist der gesellschaftliche Druck. Frauen sind für die Ehre der Familie verantwortlich, Männer nicht.
Das ist auch der Unterschied zwischen der teilweisen Tabuisierung von Sexualität in Deutschland und der im Iran: Frauen können im Iran der Ehre ihrer Familie schaden, wenn sie außerehelichen Sex haben oder heiraten, ohne Jungfrau zu sein. Leider geben viele Frauen ihren Kindern dieselben Werte weiter, die schon ihr eigenes Leben eingeschränkt haben und noch immer einschränken. So werden Tabus von Generation zu Generation weitergegeben. (…) I
ch würde nicht sagen, dass [das Nachtleben mit seiner Clubszene] eine Revolution ist – eher ein Ausweg aus dem Alltag. Im Nachtleben können einige Menschen zumindest einen Teil ihrer Bedürfnisse ausleben. Die Clubszene ist frei von Gesetzen und frei von Kontrolle. Man nimmt Drogen und lebt seine Sexualität frei aus. Die Leute versuchen all das, was sie verpasst haben, nachzuholen und haben trotzdem immer das Gefühl, dass es morgen nicht mehr möglich sein wird. Die Angst, von der Sittenpolizei verhaftet zu werden und im Gefängnis zu landen, ist immer da.“
(Interview mit Ali Soozandeh: „Sex, das ultimative Tabu: Wie iranische Frauen um ihre Freiheit kämpfen“)