Von Thomas Eppinger
Der wahre Islam ist eine Religion des Friedens, heißt es. Doch in der islamischen Welt ist davon wenig zu bemerken. Und die kulturellen Leistungen der islamischen Kultur liegen weit zurück.
Im Iran wurden im Juli dieses Jahres innerhalb von nur 12 Tagen 56 Menschen hingerichtet. Alle vier Stunden eine Hinrichtung. 2016 sank die Zahl der jährlichen Hinrichtungen von knapp 1.000 auf mindestens 530, darunter Frauen und Minderjährige. Nicht nur im Iran, in so gut wie allen islamischen Staaten sind exzessiv grausame Strafen an der Tagesordnung. Es wird gehängt, geköpft und ausgepeitscht. Dieben wird die Hand und abgehackt, auch wenn sie nur ein wenig Schokolade und Kakao gestohlen haben. Ehebrecherinnen werden gesteinigt, vor allem in Afghanistan, Nigeria, Iran, Irak, Jemen, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte verzichtet bei ihrer Schilderung einer Steinigung auf drastische Formulierungen, trotzdem wird einem beim Lesen übel.
Die Proteste der hiesigen Islamverbände gegen islamische Terroristen und islamische Regime, die Homosexuelle an Kränen aufknüpfen, von Dächern stürzen und regimekritische Blogger auspeitschen, bleiben unterhalb der Wahrnehmungsschwelle – sofern sie überhaupt vorhanden sind. Mehr als pflichtschuldige Distanzierungsfloskeln hört man kaum. Ein krasser Gegensatz zu der Dauerempörtheit, mit der auf islamkritische Stimmen reagiert wird. Die täglichen Morde im Namen ihrer Religion scheinen die meisten Muslime weniger zu stören als Kritiker wie Hamed Abdel-Samad oder Seran Ates – beide leben wegen der ständigen Morddrohungen unter Polizeischutz.
Noch irritierender als die innerislamische Solidarität ist die Toleranz vieler Linker gegenüber einer erzreaktionären Kultur und deren religiösem Überbau. Wer sich leidenschaftlich an der Katholischen Kirche abarbeitet aber zum Islam schweigt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit zweierlei Maß zu messen. Der Blick auf historische Kulturleistungen darf die Sicht auf gegenwärtige Zivilisationsbrüche nicht verstellen.
Das Goldene Zeitalter des Islam
Nach der islamischen Expansion bis Mitte des achten Jahrhunderts reichte das arabische Reich von Spanien über Nordafrika, die arabische Halbinsel und Persien bis Pakistan. In der darauf folgenden Blütezeit des Islam erbrachte der islamische Kulturkreis herausragende Leistungen und war dem Abendland in so gut wie allen Geistes- und Naturwissenschaften überlegen. Während der Herrschaft der Abbasiden 750 bis 1258 n. Chr. wuchs das erst 762 gegründete Bagdad zum Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung heran. In Al-Andalus, dem von den Mauren beherrschten Teil der iberischen Halbinsel, blühten im Mittelalter die Emirate von Cordoba und Granada zu kulturellen und wissenschaftlichen Zentren auf.
Es war die Zeit der großen islamischen Universalgelehrten. Geistesgrößen wie Avicenna, Johannitius oder Averroës gingen in die Geschichte ein. Die islamische Welt erbrachte herausragende Leistungen in Medizin, Mathematik, Astronomie, Chemie, Geographie, Literatur und Philosophie. Das Goldene Zeitalter des Islam fand mit der Hinrichtung des letzten Kalifen der Abbasiden im Jahr 1258 ein Ende. Unter der osmanischen Herrschaft begann der ständige Abstieg der muslimischen Welt in allen Belangen.
Wie tief die arabische Zivilisation gefallen ist, lässt sich an einem Detail des Arab Human Development Reports von 2002 veranschaulichen: jedes Jahr werden ins Arabische nur 330 Bücher übersetzt. Das entspricht einem Fünftel der jährlichen Übersetzungen ins Griechische. Während des gesamten letzten Jahrtausends (!) wurden insgesamt nur 100.000 Bücher ins Arabische übersetzt. So viel wie jedes Jahr ins Spanische. Heute ist die islamische Welt geprägt von Gewalt und Unterdrückung, in fast allen islamischen Ländern regieren autoritäre Regime. Der Islam mag zu Deutschland und Österreich gehören oder nicht, seine gegenwärtigen zivilisatorischen Leistungen bleiben jedenfalls im Dunkeln. Die islamischen Staaten bereichern die Kultur vor allem mit jenen Künstlern, die aus ihnen flüchten müssen.

Wenn der Islam tatsächlich die Religion des Friedens ist, wird es Zeit, dass die Muslime diese Deutung gegenüber ihren kriegerischen Glaubensbrüdern durchsetzen. Wenn katholische Geistliche ihre Schutzbefohlenen sexuell missbrauchen, treten Katholiken weltweit in Scharen aus der Kirche aus und eine – berechtigte – Welle der Empörung flutet durch die Medien. Wo sind die Scharen gläubiger Muslime, die sich gegen die Scheußlichkeiten im Namen ihrer Religion empören? Die paar die es gibt, stehen unter Polizeischutz, weil sie Angst haben müssen, von ihren eigenen Glaubensbrüdern ermordet zu werden. Freiheit und Menschenrechte können nur gedeihen, wo die Rechte des Einzelnen gegenüber religiösen Autoritäten schwerer wiegen als umgekehrt. Solange die islamische Kultur das Wohl der Umma, des Kollektivs der Gläubigen, über das Wohl des Individuums stellt, ist der Islam mit einer aufgeklärten Gesellschaft nur schwer vereinbar.
Der wahre Islam ist der real existierende, und der ist in keinem einzigen islamischen Land verlockend. Und solange sich Muslime durch Gewaltexzesse, Terror und Unterdrückung im Namen ihrer Religion nicht mehr beleidigt fühlen als durch ein paar Karikaturen, solange bleibt das auch der wahre Islam.