Im Mena-Talk erklärt der Theologe Mouhanad Khorchide, warum der Islam ohne jüdische Quellen nicht denkbar ist und es gegen Antisemitismus eine neue Erzählung aus der Lehre braucht.
Mouhanad Khorchides neues Buch provoziert. Am Cover von Ohne Judentum kein Islam – die verleugnete Quelle ist ein Davidstern und das Wort Islam abgebildet. Für viele Muslime bedeutet das einen Affront. Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, hat sich aber bewusst für dieses Sujet entschieden: »Manchmal muss man provozieren, damit sich etwas verändert«, sagt er im Gespräch. Zumal ist der Buchtitel das Resultat seiner Forschungen, dass sich der Islam ohne die Berufung Mohammeds auf Moses und die jüdischen Traditionen niemals durchgesetzt hätte.
»Das Buch habe ich lange vor dem 7. Oktober 2023 begonnen«, betont Khorchide. Doch seit dem Massaker der Hamas und den antisemitischen und hasserfüllten Parolen gegen Juden und den Staat Israel auf europäischen Straßen ist es aktueller und wichtiger denn je. Antijüdische Haltungen, sagt er, hätten sich längst zu einer mächtigen Großerzählung aufgebaut, die von Generation zu Generation weitergetragen werde. Empirisch sei längst bewiesen, dass der Antisemitismus unter Muslimen überrepräsentiert sei, egal, ob in Europa oder in der islamischen Welt.
Kampf gegen Hass und Hetze
Natürlich gäbe es im Koran Verse, die antijüdisch gelesen werden könnten, würde man sie aus dem historischen Kontext lösen, und genau das geschehe bis heute. Doch im Koran fänden sich auch projüdische Botschaften: So war die erste Gebetsrichtung der Muslime Jerusalem, und die Speisevorschriften stammen weitgehend aus der jüdischen Tradition. Mohammed habe seine eigene Verkündigung durchgehend an Moses angelehnt. Sogar Verse, die Juden das Paradies verheißen, seien vorhanden. Nur wolle das fast niemand wahrhaben.
Deshalb möchte der Theologe mit seinem Buch eine positive Gegenerzählung schaffen, »um so den Hass zu brechen. Wir brauchen ein anderes Narrativ, das sich aus den islamischen Quellen selbst schöpft.« Nur so sei eine nachhaltige Veränderung möglich. Der 7. Oktober habe laut Khorchide gezeigt, wie brandgefährlich die alten judenfeindlichen Erzählungen sind, wenn sie von Islamisten genutzt werden. Gerade deshalb sei es umso wichtiger, die verdrängten Wurzeln ins Bewusstsein zu rufen.
Dass Veränderungen möglich sind, zeigt für ihn auch ein Blick auf die Abraham-Abkommen. Arabische Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Marokko hätten den Staat Israel anerkannt und sogar ihre Schulbücher von antijüdischen Inhalten bereinigt.
Die Reaktionen auf sein Buch seien gespalten, erzählt Khorchide. Viele Lehrer würden ihm schreiben, dass sie durch sein Buch endlich theologische Beweise gegen den Antisemitismus glaubhaft im Unterricht verwenden können. In Moscheegemeinden dagegen werde jede Debatte sofort vom Nahostkonflikt überlagert. Selbst sachliche theologische Argumente würden politisch aufgeladen. In seiner eigenen palästinensischen Familie sei ihm Verrat vorgeworfen worden – und zwar nicht nur wegen des Davidsterns auf dem Cover.
Doch Mouhanad Khorchide lässt sich davon nicht beirren. Für ihn steht fest: Muslime müssen ihre Identität neu definieren, nicht über Abgrenzung und Hass, sondern über die aktive Förderung jüdischen Lebens. Nur so könne der Islam glaubwürdig bleiben.






