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Mangels guter Optionen für den »Tag danach«: Netanjahu spielt auf Zeit

Israels Verteidigungsminister Gallant (re.) drängt Premier Netanjahu, einen Lösung für den »Tag danach« zu finden
Israels Verteidigungsminister Gallant (re.) drängt Premier Netanjahu, einen Lösung für den »Tag danach« zu finden (© Imago Images / ZUMA wire)

Israels Premier Netanjahu steht vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe, während konkurrierende Kräfte von allen Seiten auf das drängen, was sie für den besten Weg in Gaza halten.

Troy Osher Fritzhand 

Trotz des zunehmenden Drucks vonseiten der Koalitionsmitglieder hat der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu noch keinen Plan für die Zukunft des Gazastreifens nach dem Sieg über die Hamas bekannt gegeben – und scheint dies auch nicht für nötig zu halten. Einem hochrangigen Regierungsbeamten zufolge gibt es »öffentlichen Druck, die Geiseln nach Hause zu bringen und die Hamas zu zerstören … aber die Öffentlichkeit drängt nicht darauf, dass die Palästinensische Autonomiebehörde den Gazastreifen übernimmt«.

Gallants Intervention …

Der Beamte sprach mit dem Jewish News Syndicate, nachdem der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant in einer am Mittwoch ausgestrahlten Videobotschaft Netanjahu aufgefordert hatte, seinen Plan für den Gazastreifen nach der Hamas zu präsentieren und die Option auszuschließen, das Gebiet könnte von Israel verwaltet werden. 

»Seit Oktober habe ich dieses Thema im Kabinett immer wieder zur Sprache gebracht und keine Antwort erhalten. Das Ende der militärischen Kampagne muss mit politischen Maßnahmen einhergehen. Der ›Tag eins nach der Hamas‹ wird nur erreicht werden, wenn palästinensischen Entitäten die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen, begleitet von internationalen Akteuren«, sagte Gallant. 

»Hier keine Entscheidung zu treffen, ist im Grunde genommen auch eine Entscheidung. Sie führt auf einen gefährlichen Weg, der die Idee einer israelischen Militär- und Zivilregierung in Gaza fördert. Dies ist eine negative und gefährliche Option für den Staat Israel – strategisch, militärisch und vom Standpunkt der Sicherheit aus. … Der Preis, der dafür zu zahlen wäre, wären Blutvergießen und Opfer sowie ein hoher wirtschaftlicher Preis. Ich muss es noch einmal wiederholen: Ich werde der Errichtung einer israelischen Militärherrschaft in Gaza nicht zustimmen. Israel darf keine zivile Herrschaft in Gaza errichten.«

Gallant forderte den Premierminister auf, »eine Entscheidung zu treffen und zu erklären, dass Israel keine zivile Kontrolle über den Gazastreifen errichten wird, dass Israel keine militärische Verwaltung im Gazastreifen errichten wird, und dass unverzüglich eine Regierungsalternative zur Hamas im Gazastreifen geschaffen wird.«

… und die Reaktionen darauf

Während Gallants Rede in Washington wohlwollend aufgenommen wurde, schlugen Netanjahu, Mitglieder der Koalition und einige aus Gallants eigener Partei sofort zurück. »Ich bin nicht bereit, Hamastan gegen Fatahstan einzutauschen«, sagte Israels Premier in einer Videobotschaft und bezog sich dabei auf die regierende Fatah-Partei von Palästinenserchef Mahmud Abbas. 

Der Premierminister hat während des gesamten Kriegs Erklärungen wie diese abgegeben und dabei Umfragen zitiert, die zeigen, dass eine überwältigende Mehrheit der Palästinenser sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland das Massaker der Hamas vom 7. Oktober unterstützt. Dabei wies Netanjahu auch auf die Weigerung der Palästinensischen Autonomiebehörde hin, den Angriff zu verurteilen.

Auch der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich meldete sich zu Wort und erklärte gegenüber Ynet: »Minister Gallant hat heute seine Unterstützung für die Errichtung eines palästinensischen Terrorstaats als Belohnung der Hamas für das schrecklichste Massaker am jüdischen Volk seit dem Holocaust angekündigt.« Smotrich forderte Netanjahu auf, Gallant ein Ultimatum zu stellen: entweder die Regierungspolitik umzusetzen oder zurückzutreten.

Sowohl Smotrich als auch der israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, haben eine vollständige zivile und militärische Kontrolle des Gazastreifens durch Israel, die Wiedererrichtung israelischer Siedlungen dort und die Förderung der »freiwilligen Auswanderung« der Bewohner des Gazastreifens gefordert.

Debatten um Zukunft

Am Unabhängigkeitstag dieser Woche demonstrierten Tausende Israelis in Sderot und forderten die Wiederbesiedlung des Gazastreifens. Die Demonstration wurde von der Nachala-Siedlungsbewegung gemeinsam mit anderen rechten zionistischen Gruppen, darunter die Souveränitätsbewegung und Torat Lehima, organisiert. In seiner Ansprache an die Demonstranten sagte Ben-Gvir: »Zwei Dinge müssen getan werden: Erstens: Rückkehr nach Gaza jetzt, Rückkehr nach Hause, Rückkehr in unser heiliges Land. Und zweitens: Ermutigung zur Auswanderung. Die freiwillige Ausreise der Bewohner des Gazastreifens muss gefördert werden. Das ist moralisch, das ist rational, das ist richtig, das ist die Wahrheit. Das ist die Thora, und das ist der einzige Weg – ja, es ist auch humanitär.«

Die Regierung der Vereinigten Staaten auf der anderen Seite ist strikt gegen diese Idee. Außenminister Antony Blinken sagte im November während des G7-Gipfels, es sei klar,» dass Israel den Gazastreifen nicht besetzen kann«, obwohl er einräumte, die Realität sehe so aus, »dass es am Ende des Konflikts eine gewisse Übergangszeit geben könnte«. Auf einer Pressekonferenz in Kiew am Mittwoch sagte Blinken erneut, die USA unterstütze »keine israelische Besetzung und werden sie auch in Zukunft nicht unterstützen. Wir unterstützen natürlich auch nicht die Hamas-Regierung in Gaza.«

Die Vereinigten Staaten wünschen sich eine Situation, in der eine Koalition arabischer Staaten den Gazastreifen nach der Hamas verwaltet, was schließlich zu einer Zwei-Staaten-Lösung führen würde, wobei der zweite Teil dieses Plans wiederum von Israel abgelehnt wurde. Netanjahu sagte, er werde die Gründung eines palästinensischen Staats »als Belohnung für den Terror« nicht unterstützen.

Die arabischen Staaten ihrerseits haben die Idee, einer Koalition zur Verwaltung des Gazastreifens beizutreten, ohne dass ein klarer Weg zu palästinensischer Staatlichkeit existiert, rundweg abgelehnt. 

So erklärte der Premierminister der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Scheich Abdullah bin Zayed Al Nahyan, am 11. Mai, die VAE »lehnen es ab, sich an einem Plan zu beteiligen, der darauf abzielt, der israelischen Präsenz im Gazastreifen Deckung zu geben«. Al Nahyan, der auch Außenminister der VAE ist, betonte, dass, »wird eine palästinensische Regierung gebildet, die den Hoffnungen und Bestrebungen des brüderlichen palästinensischen Volks entspricht und sich durch Integrität, Kompetenz und Unabhängigkeit auszeichnet, werden die VAE voll und ganz bereit sein, diese Regierung in jeder Form zu unterstützen«.

Ein dem saudischen Königshaus nahestehender Beamter erklärte gegenüber dem israelischen Nachrichtensender Channel 12 News, dass Riad sich ebenfalls weigern werde, der Regierung in Gaza zu helfen. »Wir sind in dieser Sache auf der Seite der VAE. Wir fordern ein Ende der Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlands und eine dauerhafte politische Lösung für das palästinensische Volk, um diesen langanhaltenden Konflikt zu beenden«, so die Quelle. Ägypten, das eine gemeinsame Grenze mit Gaza hat, ist ebenfalls nicht interessiert. 

Und Netanjahu?

Netanjahu hat während des Kriegs mehrfach jegliche zivile Präsenz Israels im Gazastreifen ausgeschlossen, obwohl er sagte, das israelische Militär müsse für einen unbestimmten Zeitraum die Operationsfreiheit in dem Gebiet behalten. In einem Interview mit dem Fernsehsender CNBC sagte er am Mittwoch, er sähe im Gazastreifen »gerne eine zivile Verwaltung, die nicht zur Hamas gehört und für die das israelische Militär die Verantwortung trägt, die militärische Gesamtverantwortung. Das ist das Einzige, das funktionieren würde.«

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers an der Hebräischen Universität Jerusalem und Senior Fellow am Israel Democracy Institute, Gideon Rahat, ist Netanjahus Weigerung, einen festen Plan vorzulegen, Teil seiner »Strategie, auf Zeit zu spielen. Es geht ihm nicht darum, Entscheidungen zu treffen, sondern darum, Entscheidungen hinauszuzögern.«

Netanjahu warte darauf, so Rahat weiter, dass ihm eine Lösung in die Hände falle, anstatt aktiv nach einer zu suchen. »Es ist wichtig, daran zu denken, dass, während man Zeit verstreichen lässt, Geiseln sterben und Menschen im Norden in kleinen Hotelzimmern statt in ihren Häusern leben. Die Menschen zahlen einen hohen Preis für diese Strategie.«

Benjamin Netanjahu steht vor einer schwierigen Aufgabe, denn von allen Seiten drängen konkurrierende Kräfte auf das, was sie für den besten Weg im Gazastreifen halten, wobei jede der geäußerten Ideen mit den anderen in Konflikt zu geraten scheint.

Troy Osher Fritzhand ist Jerusalem-Korrespondent bei Jewish News Syndicate und berichtet über die Hauptstadt, das Büro des Premierministers und die Knesset. Zuvor war er Politik- und Knesset-Reporter bei der Jerusalem Post und hat für das Algemeiner Journal und The Media Line geschrieben. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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