Für seinen Text über zwei jüdische respektive proisraelische Vereine, die angeblich entscheidend die deutsche Nahostpolitik beeinflussen, hat der Spiegel reichlich Kritik geerntet. Die Chefredaktion des Magazins hat daraufhin eine Entgegnung veröffentlicht, die allerdings nur noch mehr Fragen aufgeworfen und Ungereimtheiten ans Tageslicht gebracht hat. Kleine Bilanz eines journalistischen Trauerspiels.
Für reichlich Wirbel hat jener Spiegel-Artikel gesorgt, dem zufolge eine aus zwei kleinen Vereinen bestehende, von der israelischen Regierung und dem Mossad gesteuerte jüdische Lobby mit Geld und allerlei Tricks entscheidenden Einfluss auf die deutsche Nahostpolitik nimmt. Neben Mena Watch kritisierten auch der Historiker Michael Wolffsohn, die ARD-Redakteurin Esther Schapira, der frühere Bundestagsabgeordnete Volker Beck, der frühere Chefredakteur der Deutschen Welle, Alexander Kudascheff, die Journalistin Mirjam Fischer, der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, das American Jewish Committee in Berlin, die Bild-Zeitung, das liberale Portal Salonkolumnisten und viele andere die vermeintliche Enthüllungsgeschichte des Hamburger Wochenmagazins mit deutlichen Worten. Der Tenor der Kritik lautete: Der Text ist eine Form der Verdachtsberichterstattung, er beruht auf Spekulation und Insinuation, liefert keine Belege und bedient antisemitische Klischees. Drei Tage nach seinem Erscheinen meldete sich die Chefredaktion des Spiegel schließlich mit einer Erklärung zu Wort – doch die taugte nicht zur Beschwichtigung, im Gegenteil.
Man berichte „oft über fragwürdige Praktiken von Lobbygruppen“, heißt es darin, deshalb sei es „nicht nur legitim, sondern journalistisch geboten, auf die Lobbyarbeit von NAFFO bzw. WerteInitiative denselben kritischen Blick zu werfen, den wir auf alle Lobbyisten werfen“. Durch „kritische Anmerkungen mehrerer Bundestagsabgeordneter uns gegenüber“ sei man auf die beiden Vereine aufmerksam worden; man habe aber nicht behauptet, dass deren Spendenpraxis illegal sei, und die politische Bedeutung der Vereine auch nicht höher gewichtet, als diese selbst es täten. Die sechs Autoren hätten sich an die Fakten gehalten und „weder das Bild einer ‚jüdischen Lobby‘ noch einer ‚jüdischen Weltverschwörung‘“ gezeichnet. Auch sei „an keiner Stelle“ behauptet worden, dass die beiden deutschen Vereine vom Mossad gesteuert werden. Es gehe vielmehr „um Lobbyismus und seine Methoden“. An den Ergebnissen der Recherche halte man fest.
Auch nach dieser Erklärung ist nicht ersichtlich, worin das Besondere, gar das besonders Verwerfliche des Vorgehens von WerteInitiative und NAFFO bestehen soll, das einen Text wie den des Spiegel rechtfertigen würde – zumal das Blatt so oft dann auch wieder nicht über andere Lobbyaktivitäten berichtet. Die Zitate der Abgeordneten belegen ebenfalls keine besondere Qualität der Aktivitäten der beiden Vereine. Positionspapiere, Spenden und Spendenangebote, Gesprächsrunden, Einladungen – all das bewegt sich im normalen, üblichen und legitimen Rahmen. Überdies hatten nach der Veröffentlichung des Beitrags mehrere Parlamentarier und Politiker erklärt, Entscheidungen wie etwa jene für den Anti-BDS-Beschluss des Bundestages im Mai selbstverständlich aus Überzeugung getroffen zu haben und nicht auf Druck oder Einfluss von außen.
Einen Popanz zur Diskreditierung aufgebaut
Schuldig geblieben ist der Spiegel zudem jeden Beleg für seine Behauptung, NAFFO und WerteInitiative hätten einen „bemerkenswert großen Einfluss“ auf die deutsche Nahostpolitik. Dass ein Verein behauptet oder suggeriert, Entscheidungen beeinflusst zu haben, ist jedenfalls keiner. NGOs verbuchen ihre Tätigkeiten häufig als Erfolg, daran ist nichts Ungewöhnliches. Und wenn beispielsweise das NAFFO schreibt, seine Positionen in den Reden seiner „Kontakt-MdBs“ wiederzufinden, ist daraus keineswegs automatisch der Schluss zu ziehen, dass diese Abgeordneten ohne den Kontakt anders geredet oder gehandelt hätten. Deshalb ist es einigermaßen albern, wenn sich der Spiegel darauf zurückzieht, die Vereine „beim Wort genommen“ zu haben. Wie das politische Gewicht eines Vereins einzuschätzen ist, bemisst sich schließlich nicht daran, wie dieser es selbst einschätzt.
Doch augenscheinlich wollten die Autoren dieses Gewicht überhöhen – ansonsten hätte ihrem Text nämlich eine wesentliche Grundlage gefehlt. Zwar stimmt es, dass sie nicht behauptet haben, die beiden Vereine würden vom Mossad gesteuert. Sie haben es aber insinuiert, indem sie geschrieben haben, es bestehe der „Verdacht“, dass sie zu seinen „Frontorganisationen“ gehören könnten. Damit haben sie ein Gerücht zum Zwecke der Dämonisierung geschürt. Kurzum: Die Erklärung des Spiegel vermag den Eindruck nicht zu korrigieren, dass ganz bewusst ein Popanz aufgebaut wurde, der mit dem Hintergrund, den Inhalten und Zielen der beiden Vereine zusammenhängt. Diese engagieren sich bekanntlich gegen israelbezogenen Antisemitismus und für Israel. Was sie also leisten, ist sinnvolle zivilgesellschaftliche Arbeit. Ob beabsichtigt oder nicht: Der Spiegel-Text stellt eine Diskreditierung dar. Es ging den Autoren mitnichten nur „um Lobbyismus und seine Methoden“. Es ging ihnen speziell um den aktiven Einsatz von NAFFO und WerteInitiative für den jüdischen Staat.
Dabei kamen im Nachhinein noch einige Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten ans Tageslicht, die der Erklärung bedürfen. So existiert beispielsweise seit Januar dieses Jahres ein „Sachstand“-Dokument des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum NAFFO, das fast ausschließlich auf Informationen des Vereins basiert und öffentlich zugänglich ist. In Aufrag gegeben werden solche Arbeiten von Abgeordneten, ohne dass im Dokument vermerkt wird, wer sie bestellt hat. Nach Auskunft der Autorin Ann-Katrin Müller war dem Spiegel das Papier bekannt, doch erwähnt wird es im Text nicht. Man habe „selbst bei NAFFO nachgefragt und NAFFO auch entsprechend zitiert“, schrieb Müller zur Begründung. Dabei fielen einige aufschlussreiche Informationen aus dem Dokument unter den Tisch, etwa die Tatsache, dass der Verein über gerade einmal 1,9 Planstellen für drei Mitarbeiter verfügt und Parlamentarier, die in Israel oder den palästinensischen Gebieten an Programmpunkten des NAFFO teilnehmen, ihre Reisen dorthin selbst bezahlen. Der Verein kommt nach eigenen Angaben lediglich „für die restlichen Ausgaben für das Programm vor Ort auf“.
Irreführende Insinuationen
Im Spiegel heißt es dagegen, die „Lobbyisten“ lüden im Zuge ihrer „strategischen Einflussnahme auf die Politik“ die Abgeordneten „auch zu Reisen nach Israel ein“ – was mindestens irreführend formuliert ist. Das Gleiche gilt für die Behauptung, „in den Tagen rund um die Einladung“ zu einem Spendendinner im Juni 2017 hätten sich auf Twitter „einige der Gäste in auffallend ähnlichem Wortlaut“ zur Antisemitismus-Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ geäußert, die Arte und der WDR zunächst nicht zeigen wollten. Das Spendendinner zeige, „wie subtil die Einflussnahme wirken kann“. Die Tweets datierten allerdings von Anfang Juni, während das Essen erst mehr als zwei Wochen später stattfand. Zwar hat der Spiegel mit seiner Formulierung „in den Tagen rund um die Einladung“ nicht behauptet, dass die Tweets auf das Dinner gefolgt seien. Aber er dürfte diese Lesart, so viel darf man wohl behaupten, kaum zufällig begünstigt haben.
Abgesehen davon ist die behauptete „subtile Einflussnahme“ wie so vieles nicht belegt, sondern eine Wertung von Spiegel-Autoren, die sich offenbar nicht vorstellen können, dass es Politiker gibt, die aus Überzeugung für Israel eintreten oder sich für die Ausstrahlung eines Films einsetzen, der den israelbezogenen Antisemitismus in den Mittelpunkt der Kritik rückt. Nebenbei bemerkt: Was wäre gegen eine starke und einflussreiche Israel-Lobby in Deutschland einzuwenden? Der einzige jüdische Staat auf dieser Welt könnte sie gebrauchen. Aber sie ist in Wirklichkeit sehr überschaubar – was der Spiegel-Artikel, bei Lichte betrachtet, unfreiwillig zeigt. Denn: Ein paar Spenden, insgesamt vielleicht gerade mal im fünfstelligen Bereich, sind Peanuts. Ein paar Gespräche, ein Abendessen, alles nichts wirklich Besonderes. Und sollten sich einige Abgeordnete dabei tatsächlich von guten Argumenten überzeugen lassen haben, wäre daran nichts Verwerfliches, im Gegenteil.
Im Übrigen ist der Anti-BDS-Beschluss, wie ihn das deutsche Parlament verabschiedet hat, eine recht seltene proisraelische Ausnahme. Zur Erinnerung: Im März war im Bundestag der Antrag abgelehnt worden, das antiisraelische deutsche Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen zu ändern. Wo war da der Einfluss der angeblich so umtriebigen Israel-Lobby? Wo war er vor neun Jahren, als der Bundestag in einer anmaßenden Resolution einstimmig (!) das Vorgehen der israelischen Marine gegen die „Gaza-Flotte“ verurteilte und damit für einen absoluten Tiefpunkt in den deutsch-israelischen Beziehungen sorgte? Nun hat das Hohe Haus zur Abwechslung einmal einen Beschluss gefasst, der dem jüdischen Staat nützt, und prompt haben sich Journalisten auf die Suche nach den „Hintermännern“ gemacht. So, als wäre es undenkbar, dass deutsche Parlamentarier freiwillig für Israel stimmen, und als könnten nur „Frontorganisationen“ des Mossad dahinter stecken. Was für ein Trauerspiel.