Das politische Haifischbecken der Islamischen Republik

„Bei einer seiner Kundgebungen griff Rohani seinen konservativen Gegner Ebrahim Raisi mit dem Hinweis an, dass ‚das Volk sich denen verweigern wird, die im Laufe von 38 Jahren nichts getan haben, als Menschen hinzurichten und einzusperren‘. Rohani spielte damit indirekt auf eine der umstrittensten Maßnahmen des Regimes an. Im Sommer des Jahres 1988 ordnete das greise Gründungsoberhaupt der Islamischen Republik Ayatollah Ruhollah Khomeini in einem letzten Akt der Rache gegen seine säkularen Gegner die Massenhinrichtung politischer Gefangener an.

Die Justiz kam dieser Aufgabe nach und setzte zur Abwicklung der Tötungen ein Richtergremium ein, das bald als die ‚Todeskommission’ bekannt wurde. Raisi erlangte zuerst als Mitglied dieser Kommission, die in kürzester Zeit Tausende Gefangene hinrichten ließ, internationale Bekanntheit. Den meisten Hingerichteten wurde eine angemessene Beerdigung verweigert und ihre Leichen wurden in geheime Massengräber geworden. Im grausamen Wortschatz der Islamischen Republik wurden diese ‚Friedhöfe der Verdammten’ genannt.

Dies war Raisis Vorstellung von Gerechtigkeit. Doch liegt die Schuld nicht bei ihm allein. Der Massenmord in den Gefängnissen wurde von zwei Führungskräften beaufsichtigt – dem damaligen Präsidenten des Iran Ali Khamenei und dem inzwischen verstorbenen damaligen Parlamentssprecher Hashemi Rafsanjani. Rohani gehörte damals dem Parlament an und wusste daher sehr genau, was sich in den Gefängnissen zutrug. Er hat dazu geschwiegen.

Seit drei Jahrzehnten versucht das Regime seine Vergangenheit schönzureden, indem es die öffentliche Diskussion dieser Episode tabuisiert. Doch gibt es jede Menge Gerüchte und jener wahnwitzige Sommer ist im kollektiven Gedächtnis fest verankert. Indem er diese Episode ansprach, stellte Rohani das Selbstverständnis eines theokratischen Staats grundsätzlich in Frage, der sich auf seine religiöse Legitimation und Gerechtigkeitsliebe beruft.

Angesichts ihres Anteils an dem Massaker werden Khameini und die herrschende Elite kaum geneigt sein, dem gerade wiedergewählten Präsidenten diesen Opportunismus allzu schnell zu verzeihen. Rohani muss nicht nur damals selbst von dieser Episode gewusst haben, sein politischer Verbündeter, der gegenwärtige Justizminister Mostafa Pourmohammadi war einer der aggressivsten Richter in der Todeskommission. (…)

Allerdings bietet Rohani dem Regime auch manche Vorteile. Als Politiker, der jahrzehntelang als Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats fungierte, ist er mit Terrorapparat des Regimes intim vertraut. Dass er sich im Sommer 2009 nicht äußerte, als die Anführer der Grünen Bewegung unter fadenscheinigen Vorwänden inhaftiert wurden, hat der Wächterrat ihm hoch angerechnet. Und seine erste Amtszeit als Präsident widmete er nicht den Menschenrechten oder wirtschaftlichen Reformen. Stattdessen bezirzte er die Vereinigten Staaten, bis diese einem Waffenkontrollabkommen zustimmten, das dem Iran einen kontinuierlichen und legalen Weg zur atomaren Bewaffnung bereitet hat.

Das sind keine geringen Errungenschaften aber im rachsüchtigen politischen Getümmel der Islamischen Republik mögen diese nicht ausreichen, um ihn zu retten.“

(Ray Takeyh: „Iran’s President Isn’t a Reformer. He’s an Enabler“)

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