In einer Sichtweise, die allein Israel und die Palästinenser in den Blick nimmt und alle anderen regionalen Komponenten ausklammert, mag ein israelischer Rückzug aus der Westbank als gute Idee erscheinen – als ein Immobiliengeschäft, wie Präsident Donald Trump es wohl nennen würde –, wenn nicht gar eine moralische Notwendigkeit darstellen. Und wenn im regionalen Umfeld Frieden herrschen würde wie in Nordirland, könnte ein Machtvakuum vielleicht wirklich mit Ruhe gefüllt werden.
Aber jeder, der einen umfassenderen Blick vornimmt, wird sehen, dass der eigentliche Kontext hier ein komplexer, vielschichtiger Krieg oder eine Reihe miteinander verbundener Kriege ist, die diesen Teil der Welt verwüsten. Das Ausmaß dieses Konflikts ist durch die fragmentarische Berichterstattung in den Nachrichten nur schwer zu erkennen, es ist aber leicht zu verstehen, wenn man eine Landkarte zur Hand nimmt und die Länder betrachtet, die Israel umgeben: von Libyen über Syrien und den Irak bis hinein in den Jemen.
Die Bruchlinien haben wenig mit Israel zu tun. Sie verlaufen zwischen Diktatoren und der Bevölkerung, die sie seit Generationen unterdrücken; zwischen Fortschrittlichen und aufs Mittelalter Rückwärtsgewandten; zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Mehrheitsbevölkerungen und Minderheiten. Wenn unser kleiner Sub-Krieg irgendwie gelöst wäre oder Israel gar von heute auf morgen verschwinden würde, wäre der Nahe Osten noch immer dieselbe brisante explosive Region, die sie jetzt schon ist. (…)
Der Abschied von einem verlockenden, weil simplen Narrativ, zugunsten der verwirrenden Realität des Gesamtbildes, ist emotional gesehen äußerst unbefriedigend. Dem Beobachter kommt dadurch die Identifizierung eines eindeutigen Bösewichts oder einer einfachen Lösung abhanden. Er macht jedoch die Ereignisse hier verständlicher und wird westliche Politiker dazu ermutigen, fantastische Visionen zugunsten eines realistischen Verständnisses dessen aufzugeben, was tatsächlich möglich ist. Und das könnte wiederrum zu einigen greifbaren Verbesserungen in einer Welt führen, die weniger Illusionen und mehr kluge Führer durchaus nötig hat.“ (Matti Friedman: „There Is No ‚Israeli-Palestinian Conflict‘”)