Diffamierungen Israels werden auch dadurch nicht wahrer, dass man sich auf mehrere prominente Namen berufen kann.
»Albert Einstein gilt als Inbegriff des Forschers und Genies«, ist dem Wikipedia-Eintrag über den theoretischen Physiker zu entnehmen. Die Spezielle Relativitätstheorie (1905) und die Allgemeine Relativitätstheorie (1915) waren bahnbrechende Arbeiten, und für die Entdeckung des Gesetzes des photoelektrischen Effekts wurde Einstein der Nobelpreis für Physik des Jahres 1921 verliehen. Julius Robert Oppenheimer, während des Zweiten Weltkriegs wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts zur Entwicklung der Atombombe und später Kollege und Chef Einsteins am Institute for Advanced Study in Princeton, soll den gebürtigen Schweizer als »lebenden Schutzpatron der Heiligen der Physik« betrachtet haben.
Fachlich standen die beiden im Streit um die fortgeschrittenste Physik ihrer Zeit allerdings auf gegensätzlichen Seiten. Obwohl Einstein einige der Grundlagen der Quantentheorie erarbeitet hatte, konnte er mit deren Weiterentwicklung, die er für inkonsistent hielt, wenig anfangen. »Niemand hätte einfallsreicher sein können«, bemerkte Oppenheimer, »wenn es darum ging, sich unerwartete und kluge Beispiele [für die Inkonsistenz der Quantentheorie] auszudenken; aber es stellte sich heraus, dass die Ungereimtheiten nicht da waren; und oft konnte ihre Lösung in seinem eigenen Werk gefunden werden.« Aus Oppenheimers Sicht habe Einstein die Theorie, der er selbst den Weg geebnet hatte, »gehasst«.
Heute hat sich der Streit, den Einstein unter anderem prominent mit Niels Bohr ausfocht, erledigt: Was die Quantentheorie betrifft, lag der geniale Physiker und Nobelpreisträger Einstein falsch.
Autoritärer Gestus
Der Fall demonstriert, dass auch fachliche Koryphäen sich in ziemlich grundlegenden Fragen ihres eigenen Forschungsgebiets irren können. Mag Einsteins Name auch noch so groß gewesen sein, in der Debatte zählte das letztlich nicht, denn im offenen Wettstreit mit seinen Kontrahenten kam es nicht auf den Namen, sondern auf die vorgebrachten Argumente an.
Mit Sicherheit gab es auch im damaligen Disput Parteigänger, die statt auf überzeugende Argumente auf den großen Namen setzten: »Wenn sogar Einstein sagt, dass …«. Bei dieser Berufung auf Autorität handelt es sich um einen der klassischen Fehlschlüsse des Denkens: Nur weil jemand Fachexpertise beanspruchen kann, bedeutet dies nicht automatisch, dass er inhaltlich richtig liegen muss – nicht auf seinem eigenen Gebiet und erst recht nicht, wenn er sich zu fachfremden Fragen äußert.
Die Berufung auf Autorität ist kein Beitrag zu einer offenen Debatte, sondern soll dieser ein Ende setzen. Mit dem angerufenen Namen soll die inhaltliche Auseinandersetzung nicht gefördert, sondern beendet werden, indem konträre Positionen als Ausdruck von Inkompetenz dargestellt werden. Der autoritäre Gestus mahnt Ehrfurcht ein, soll einschüchtern und zum Schweigen bringen: »Wenn die Professoren X und Y so etwas sagen, wie können Sie sich anmaßen, etwas anderes zu behaupten!«
Der Elefant im Raum
Genau dieser autoritäre Gestus liegt der Freude zugrunde, die deutsche »Israelkritiker« und -hasser angesichts eines »offenen Briefs« namens »The Elephant in the Room« empfinden, der kürzlich veröffentlicht wurde.
»Akademiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Israel/Palästina und dem Ausland« ziehen darin eine Verbindung zwischen dem innerisraelischen Streit um die von der Regierung vorangetriebenen Justizreform und der »illegalen Besatzung« der »palästinensischen Gebiete«. Sie formulieren scharfe Anklagen gegen Israel, wie man sie sonst aus antizionistischen Propagandapamphleten kennt, und richten schließlich einige Forderungen speziell an Juden in Amerika, die unter anderem darauf hinwirken müssten, dass die USA auf dem internationalen Parkett Israel seinen Feinden zum Fraß vorwerfen. »Kein Schweigen mehr«, proklamiert der kurze Text, »die Zeit zum Handeln ist jetzt gekommen«.
Die üblichen Verdächtigen
Unterzeichnet wurde der Brief bislang (Stand Freitagmittag) von knapp 1.800 Personen. Ob sie alle auch wirklich unterschrieben haben, ist allerdings nicht klar, denn zumindest Volker Beck, der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, war offenbar sehr überrascht, dass auch sein Name unter jenen der Unterzeichnern zu finden war. Die von Patrick Bahners, einem für seine Ablehnung Israels und Verharmlosung des Antisemitismus berüchtigten FAZ-Redakteur, in die Welt gesetzte Behauptung, Beck habe zuerst unterschrieben, seine Unterschrift dann aber zurückgezogen, bezeichnet Beck als Verleumdung.
Die Liste der angeführten Unterzeichner liest sich teils wie ein Who’s Who ausgesprochener Israelhasser, Antizionisten und Befürworter der antisemitischen Boykottbewegung BDS, von Ilan Pappe über Omri Boehm, Moshe Zuckermann, Peter Beinart und Michael Rothberg bis zu Dirk Moses und Judith Butler, sekundiert von aus Debatten im deutschsprachigen Raum bekannten »Israelkritikern« wie Hanno Loewy, Meron Mendel und Susan Neiman. Wäre es dabeigeblieben, hätte man den Text als lediglich einen weiteren der in den vergangenen Jahren immer häufiger verbreiteten »offenen Briefe« der stets gleichen Blase zur Kenntnis nehmen können, die Israel an den Pranger stellen und Antisemitismus leugnen bzw. verharmlosen.
»Sogar Saul Friedländer hat unterzeichnet«
Der Jubel deutscher »Israelkritiker« rührt allerdings daher, dass sich unter den Unterzeichnern auch Namen finden, die sich bisher nicht mit dem antizionistischen Sumpf gemein gemacht haben, darunter renommierte Historiker wie Omer Bartov, Yehuda Bauer [der allerdings im Laufe des Freitagnachmittags seine Unterschrift zurückzog; Anm. Mena-Watch], Benny Morris, Christopher Browning oder Dan Diner.
»Sogar Saul Friedländer hat unterzeichnet«, frohlockte Charlotte Wiedemann in der taz und setzte auf X (ehemals Twitter) fort: »Nachdem ein so eminenter Erforscher der Shoah wie Saul Friedländer eine Erklärung unterzeichnet hat, die die Besetzung der Westbank als Apartheid bezeichnet und vor einer ethn. Säuberung warnt, wird der Vorwurf, dies delegitimiere Israel, hoffentlich verstummen.« Sie hofft, dass »etwas in Bewegung« gerate, denn: »Die 1500 Leute, die da jetzt drunten stehen, inklusive echter Überraschungen, lassen sich nicht wegdiffamieren.«
Suchte man sich ein anschauliches Beispiel für den Fehlschluss der autoritären Berufung auf große Namen, man könnte kaum ein besseres finden als Wiedemanns Tweets, die sogar offen aussprechen, worum es ihr geht: darum, Kritik an Anklagen Israels zum Verstummen zu bringen. Dass auch »eminente Forscher« sich irren können wie weiland Einstein in Sachen Quantentheorie, auf den Gedanken kommt Wiedemann nicht, genauso wie sie selbstverständlich unterschlägt, dass es nicht minder »eminente Forscher« gibt, die den Brief nicht unterzeichnet haben und auch nie auf die Idee kommen würden, dies zu tun.
Genauso gut könnte man im Übrigen auch sagen, dass eine Erklärung zu Israel, die von Leuten wie Pappe und Moses unterzeichnet und von Claqueuren wie Bahners begeistert verbreitet wird, Müll sein müsse. Auch das wäre eine Berufung auf Autorität, nur eben ins Negative gewendet. Nun würde wenn das zwar höchstwahrscheinlich stimmen, weil die Positionen der Erwähnten zu Israel bestens bekannt sind, aber auch in diesem Fall wäre die bloße Nennung von Namen kein Ersatz für Argumente, die sich als richtig oder falsch erweisen können.
Autorität statt Argumente
Die Überzeugungskraft eines Statements speist sich nicht aus den Namen derer, die es unterstützen, sondern aus der Qualität der vorgebrachten Argumente. Und um die ist es bei »The Elephant in the Room« schlecht bestellt. Die Behauptung etwa, dass Israel ein Apartheidregime gegenüber den Palästinensern unterhalte, wird nicht dadurch wahrer, dass auch Saul Friedländer seinen Namen unter diesen Unsinn gesetzt hat.
Ohne jegliche Erwähnung des gerade in den letzten rund eineinhalb Jahren massiv verstärkten palästinensischen Terrors lediglich auf die Zahl getöteter Palästinenser zu verweisen und nicht dazuzusagen, dass es sich beim überwältigenden Großteil von ihnen um bewaffnete Mitglieder von Terrorgruppen handelte, die entweder Anschläge auf Israelis durchführten oder israelische Soldaten bei Sicherheitsoperationen im Westjordanland attackierten, bleibt einseitig, verzerrend und unredlich, auch wenn sich der Name von Benny Morris unter dem Text findet.
Und wer fordert, dass die USA die »Straffreiheit Israels in der UNO und anderen internationalen Organisationen« beenden und »die Verwendung amerikanischer Militärhilfe in den besetzten palästinensischen Gebieten einschränken« müssten, der fordert nicht weniger als eine Schädigung Israels und eine Beeinträchtigung seiner Fähigkeit, sich gegen seine Todfeinde zur Wehr zu setzen, auch wenn dies im Namen von Dan Diner geschieht.
Beschämung
Warum Benny Morris und andere sich mit ihren Unterschriften in den Kreis von Israelfeinden wie Pappe und Moses begeben, ist vermutlich vor allem mit der innenpolitischen Situation in Israel zu erklären; ein Zusammenhang, der in dem Text selbst ja mehrfach hergestellt wird.
Wie es scheint, führen die Ängste vor den Vorhaben der aktuellen Regierung und der berechtigte Abscheu gegenüber Personen wie dem rechtsextremen Minister Itamar Ben-Gvir bei einigen dazu, plötzlich Positionen zu unterstützen, vor denen sie selbst noch vor nicht allzu langer Zeit gewarnt haben. In der aktuellen politischen Situation in Israel dürften unter Linken, Linksliberalen und einem Teil des akademischen Betriebs auch Groupthink und eine Art intellektueller Panik eine Rolle spielen, denen die Besonnenheit zum Opfer fällt.
Es wäre nicht verwunderlich, würden einige der Unterzeichner in hoffentlich bald ruhigeren Zeiten einmal mit Beschämung auf das zurückblicken, was sie hier unterstützt haben. Die Sorge um die Zukunft Israels, die sie quält, ist etwas anderes als der Hass auf den jüdischen Staat der Israelfeinde, mit denen sie sich hier zusammengetan haben. Manche werden dereinst bedauern, den Unterschied eingeebnet und sich der Instrumentalisierung durch Wiedemann, Bahners & Co zur Verfügung gestellt zu haben.