Der Ex-Leiter des Geheimdienstes und Abbas-Kritiker, Tawfik Tirawi, steht im Mittelpunkt einer Datenleck-Affäre, die die Palästinensische Autonomiebehörde erschüttert hat.
Dana Ben-Shimon
Anfang November wurden Hunderte von Zeugenaussagen und Dokumenten aus den palästinensischen Ermittlungen zu den Todesumständen von Jassir Arafat in den sozialen Medien und palästinensischen Presseorganen veröffentlicht. Täglich kamen neue Zeugenaussagen von Personen ans Licht der Öffentlichkeit, die damals vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt hatte.
Dadurch wurde bekannt, dass hochrangige palästinensische Beamte erklärt hatten, Arafat habe Mahmud Abbas, den heutigen Leiter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), als Kollaborateur mit Israel und den USA betrachtet. Darüber hinaus habe Arafat befürchtet, dass während der israelischen Belagerung der Muqata’a (der palästinensischen Präsidentenresidenz in Ramallah) im Zuge der Zweiten Intifada eine Verschwörung gegen ihn geschmiedet wird, bevor er schließlich im November 2004 unter mysteriösen Umständen in einem französischen Krankenhaus starb.
Nachfolgekämpfe
Die undichten Stellen, die nie geschlossene die Arafat-Akte nun erneut ans Licht der Öffentlichkeit brachten, sind dabei nur ein Teil der Geschichte. Ein weiterer betrifft aktuelle die internen Konflikte innerhalb der palästinensischen Führung sowie den Kampf um die Nachfolge von Präsident Mahmud Abbas.
Es ist nicht klar, wer dafür verantwortlich ist, dass die Dokumente, die Abbas in ein schlechtes Licht rücken, nun geleakt wurden. So beschuldigt Abbas’ Lager den ehemaligen Leiter des palästinensischen Geheimdienstes (GIS), General Tawfik Tiraw. Andere Fraktionen in der PLO hingegen meinen, interessierte Kreise aus Abbas’ Lager oder sogar Kräfte, die mit einer dritten Partei in Verbindung stehen, könnten versuchen, eine Spaltung zwischen dem PA-Präsidenten und Tirawi herbeizuführen. Die Beziehungen zwischen den beiden Männern waren bereits vor den undichten Stellen angespannt.
Tirawi bestreitet die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen und hat die palästinensischen Sicherheitsdienste aufgefordert, zu untersuchen, wie es zu dem Datenleck kam und auf welche Art und Weise die Dokumente gestohlen und veröffentlicht wurden.
»Sie haben die Möglichkeit, denjenigen zu finden, der das getan hat. Zunächst einmal müssen sie herausfinden, wer das Dokument weitergegeben und dann untersuchen, wer es veröffentlicht hat«, so Tirawi. »Wie ist es möglich, dass etwas so Wichtiges und Sensibles gehackt worden ist? Es liegt in der Verantwortung der Sicherheitsdienste, die Wahrheit herauszufinden.«
In einem Interview mit der Tageszeitung Israel Hayom behauptete Tirawi, das Ziel der Datenlecks sei es, seinem guten Namen zu schaden und die Arbeit der Untersuchung von Arafats Tod zu behindern. »Seit dreizehn Jahren untersuche ich den Tod von Arafat. Plötzlich stellen sich alle gegen mich. Bis jetzt hat man diesbezüglich kein Wort gehört, und jetzt dieser totale Angriff«, sagt er.
»Es begann im Jahr 2016. Als ich in einem Interview gefragt wurde, wer Mahmud Abbas nachfolgen wird, habe ich gesagt, dass es entweder der Befehlshaber der Revolution oder jemand von den Dorfligen sein wird.« Die Dorfligen wurden in den 1980er Jahren unter der Schirmherrschaft des israelischen Sicherheitsapparats als Alternative zur PLO gegründet.
Abbas’ nahestehende Quellen interpretierten Tirawis Äußerungen als Vorwurf der Kollaboration mit Israel. Seitdem sind denn auch die Beziehungen zwischen ihm und Abbas angespannt und es wurden Versuche unternommen, den General aus seinen einflussreichen Positionen zu entfernen. Vor einigen Monaten wurde Tirawi etwa als Vorsitzender der Al-Istiqlal-Universität in Jericho abgelöst, die Mitglieder des palästinensischen Sicherheitsapparats ausbildet, eine Rolle, die er jahrelang innehatte.
Drohungen, Entfremdungen
Tirawi sagte gegenüber Israel Hayom, er habe in letzter Zeit Drohungen von verschiedenen palästinensischen Funktionären erhalten, die laut seinen Worten »unter der Hand« ausgesprochen wurden. »Ich habe verschiedene Nachrichten erhalten, wie zum Beispiel ›Geh ins Ausland, sonst wirst du vor Gericht gestellt und ins Gefängnis gesteckt.Wir werden auf alle erdenlichen Arten gegen dich vorgehen‹. Jemand will mich zum Schweigen bringen.«
Der General wollte keine Namen nennen oder auf bestimmte Personen verweisen, die für die Angriffe gegen ihn verantwortlich sind. In Ramallah wird befürchtet, dass er in Besitz von sensiblen Informationen und Geheimnissen über hochrangige PLO-Mitarbeiter ist, die er während seiner Zeit als GIS-Leiter sammeln konnte.
Die Entfremdung zwischen Tirawi und Abbas hat sich in letzter Zeit noch verstärkt, nachdem der General sich kritisch über die PLO-Führung geäußert hatte, als diese die Wahlen zum Studentenrat der Bir Zeit Universität und zu verschiedenen Berufsorganisationen und Gewerkschaften verloren hatte.
»Ich bin im palästinensischen Fernsehen aufgetreten und habe an die PLO appelliert und gesagt: ›Wohin wollt ihr? Die Hamas hat im Gazastreifen einen Staatsstreich durchgeführt und führt nun eine stille Revolution im Westjordanland durch, indem sie die Kontrolle über Berufsverbände, Universitäten und Gemeinden übernimmt.‹ Danach geriet ich unter Beschuss. Die Leute begannen, mich und meine Kollegen verbal anzugreifen. Und dann kam es zu dem Datenleck – alles nur, um mir zu schaden«, meinte er.
Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)