„Mit Hammer und Meißel attackiert der junge Mann Gesicht und Brustpartie einer Statue des französischen Künstlers Francis de Saint Vidal, die im algerischen Sétif seit 1898 eine Brunnenanlage schmückt. Das lange, weiße Hemd und das Gebetskäppchen machen den Täter unschwer als Islamisten kenntlich. Der Vorfall liegt wenige Wochen zurück und hat die Sétifiens im höchsten Maß entsetzt: Die steinerne Dame mit den üppigen Kurven war in den vergangenen Jahrzehnten nachgerade zum Symbol der Provinzstadt geworden. Die Attacke mag als Tat eines gestörten Individuums gelesen werden, das in einer äusserst engen, binären Welt lebt, die nur halal oder haram, ‚erlaubt‘ und ‚verboten‘, kennt und die in einer solchen Statue nicht mehr sieht als eine Ausgeburt westlicher Schamlosigkeit und Dekadenz. Doch dahinter steht ein schleichendes Phänomen von ganz anderen Dimensionen, das alle Staaten des Maghreb gleichermaßen betrifft. Es handelt sich um die Ausbreitung einer Weltsicht, die der Schönheit und Harmonie von Kleidung und Körper, von Architektur und Städtebau, von Landschaft und Kunst keinerlei Bedeutung beimisst und die sich oft aktiv an der Zerstörung bedeutender Kulturgüter beteiligt.
Die ‚Verhäßlichung‘ der Siedlungen, der Landschaften und auch der Alltagskultur im Maghreb ist derart augenfällig, dass nur Menschen, die jeder Beobachtungsgabe verlustig gegangen sind, davon unberührt sein können. (…) [M]indestens so wichtig ist der stetig wachsende Einfluss der fundamentalistischen Strömungen. Sowohl die Salafisten wie auch die Bewegungen und Organisationen, die im weitesten Sinn den Muslimbrüdern zuzurechnen sind, teilen das vollkommene Desinteresse an Ästhetik, an Kulturgeschichte und vor allem an Mischkulturen. Wichtig scheint für die religiösen Eiferer bloss zu sein, dass die islamischen Gebote und Verbote – oder das, was sie darunter verstehen – möglichst genau eingehalten werden. (…)
Doch im gesamten Maghreb ist in den letzten Jahren das Bewusstsein für das, was auf dem Spiel steht, gewachsen. ‚Wir haben uns so stark mit der politischen Dimension des Islamismus, seinem reaktionären oder revolutionären Charakter befasst‘, schreibt etwa der marokkanische Journalist und Autor Omar Saghi, ‚dass wir etwas übersehen haben: Der Islamismus ist auch eine Ästhetik oder, genauer gesagt, eine »Hässlichkeit«.‘ Die Verkitschung, die mit dem Islamismus einhergehe, lasse sich weltweit beobachten, schreibt Saghi weiter: Die grellfarbigen Gebetsteppiche aus China, die synthetischen Gebetskäppchen, die Ganzkörperschleier, die Bärte. Nichts entgehe der Dampfwalze dieses ‚ästhetischen Hurrikans‘. Das Profil der arabisch-islamischen Städte habe sich in den letzten Jahrzehnten endgültig verändert. Dieselbe Geisteshaltung sei aber auch in der ‚Kostümierung‘ und der pseudoreligiösen Gestik vieler Fundamentalisten ablesbar.“ (Beat Staufer: „Islamismus: ein Hurrikan der Hässlichkeit“)