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Der Iran im letzten Jahrzehnt 

Außer Unterdrückung und Propaganda hat die Islamische Republik den Iranern nichts zu bieten
Außer Unterdrückung und Propaganda hat die Islamische Republik den Iranern nichts zu bieten (© Imago Images / NurPhoto)

Ein Blick auf die alarmierenden sozialen und bildungspolitischen Trends in der Islamischen Republik Iran in der Dekade von 2014 bis 2024.

In den letzten zehn Jahren war der Iran mit tiefgreifenden Krisen in den Bereichen Soziales, Bildung, Demografie und Psychologie konfrontiert – Krisen, die nicht nur das Ergebnis natürlicher Entwicklungen oder globaler Trends sind, sondern in vielen Fällen die direkte Folge von politischen Fehlentscheidungen, Mängeln in der Regierungsführung und der anhaltenden Ignoranz gegenüber den Warnungen von Experten.

Ein genauer Blick auf die offiziellen Statistiken zu Schulabbrecherquoten, sinkender Bildungsqualität, steigenden Abtreibungszahlen und dem besorgniserregenden Anstieg der Selbstmorde zeigt das Bild einer Gesellschaft im Abstieg, die unter dem Druck wirtschaftlicher Not, sozialer Instabilität und dem Fehlen einer klaren nationalen Vision allmählich den Glauben an die Zukunft verliert. Inmitten dieser Situation hat das herrschende System nicht nur versäumt, mit wissenschaftlichen und humanen Ansätzen auf diese Trends zu reagieren, sondern die Krise durch Leugnen, leere Rhetorik, ineffektive Politik und eine Obsession mit Kontrolle statt Problemlösung noch verschärft.

Bildungswesen

Die ersten sichtbaren Anzeichen dieser Krise zeigten sich im Bildungssektor. Der mehr als zweieinhalbfache Anstieg der Zahl der Schulabbrecher von 347.000 im Jahr 2014 auf 930.000 im Jahr 2024 ist ein deutlicher Indikator für die Unfähigkeit des Systems, Bildungsgerechtigkeit zu gewährleisten, den Bedürfnissen der Schüler gerecht zu werden und sie im Schulzyklus zu halten. 

Im Laufe der Jahre haben sich die Regierungen des Mullah-Regimes in erster Linie auf die Manipulation von Statistiken, kosmetische und oberflächliche Reparaturen und die Erhöhung des akademischen Drucks konzentriert, während sie es versäumt haben, angemessene pädagogische, psychologische und finanzielle Unterstützungssysteme für Schüler in benachteiligten Gebieten aufzubauen. Anstatt als Vehikel für soziale Mobilität zu dienen, ist Bildung zu einer Quelle psychischer Belastung geworden, und die Missachtung der klassenbasierten Ungleichheiten im Bildungswesen durch die Regierung hat den Weg für eine zunehmende Bildungsungerechtigkeit geebnet.

Ebenso besorgniserregend ist der dramatische Rückgang der Notendurchschnitte in allen drei Hauptzweigen des Bildungssystems: Jener in Mathematik sank innerhalb von nur einem Jahrzehnt von 13,9 auf 10,7, in den experimentellen Naturwissenschaften von 13,1 auf 11,2 und in den Geisteswissenschaften von 10,3 auf 8,7. Dieser Rückgang spiegelt nicht nur eine Verschlechterung der Bildungsressourcen wider, sondern auch die Vernachlässigung der emotionalen und kognitiven Bedürfnisse der Schüler, Versäumnisse bei der Lehrplanplanung und eine extreme Instabilität in der Bildungspolitik. 

Leider werden alle diesbezüglichen Entscheidungen eher von ideologischen, politischen und manchmal auch sicherheitspolitischen Gesichtspunkten als vom Wissen und der Erfahrung von Bildungsexperten getroffen. Diese Eingriffe von Nicht-Experten haben das Bildungswesen geschwächt und das Vertrauen der Öffentlichkeit untergraben.

Psychischer Druck

Die rapide wachsende Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen ist ein weiteres eklatantes Zeichen dafür, dass der Staat die tatsächlichen Probleme der Gesellschaft ignoriert. Der Anstieg der Abtreibungszahlen von 80.000 im Jahr 2011 auf 500.000 im Jahr 2024 ist nicht nur ein Alarmsignal für die Bevölkerungspolitik, sondern auch ein Beweis für die Kluft zwischen den Wünschen der Regierung und den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung. 

Während der Staat mit restriktiven Gesetzen und Werbekampagnen versucht, die Geburtenrate anzukurbeln, versäumt er es in der Praxis, humane und wirtschaftlich tragfähige Bedingungen für den Wunsch nach Kindern zu schaffen. Das Fehlen sozialer Unterstützung für Frauen, steigende Lebenshaltungskosten, steigender psychischer Druck innerhalb der Familien, mangelnde Aufklärung über Sexualität und Reproduktionsgesundheit sowie die Politisierung von Geschlechterfragen haben viele Frauen aus der Not heraus zur Abtreibung getrieben. 

Bevölkerungspolitische Maßnahmen, die Entscheidungsfreiheit, wirtschaftlichen Wohlstand, die Unterstützung berufstätiger Eltern und eine umfassende Bildung außer Acht lassen, sind nicht nur wirkungslos, sondern führen auch zu einer Zunahme unsicherer und illegaler Abtreibungspraktiken.

Schließlich spiegeln die Selbstmordstatistiken, die von 3.314 im Jahr 2011 auf 8.250 im Jahr 2023 gestiegen sind, einen tiefen Zusammenbruch der sozialen und psychologischen Systeme wider. Während Selbstmord in jeder Gesellschaft ein Zeichen für zunehmende Hoffnungslosigkeit und den Zerfall sozialer Bindungen darstellt, ist diese Krise Im Iran weniger das Ergebnis individueller Probleme als vielmehr systemischer Bedingungen, die großen Teilen der Bevölkerung die Chance auf ein würdiges Leben genommen haben.

Die Unfähigkeit, einen grundlegenden Lebensstandard zu erreichen und zu halten, ständiger psychischer Stress, fehlende Protestmöglichkeiten, die Ausweitung sozialer Repressionen, das Verschwinden traditioneller Unterstützungsnetzwerke und eine mangelnde Infrastruktur für psychische Gesundheit haben alle zu der steigenden Selbstmordrate beigetragen. Dennoch entzieht sich die Regierung weiterhin ihrer Verantwortung – sie zensiert Daten, leugnet die Realität und beharrt auf einer apathischen Politik, anstatt die Ursachen zu beseitigen.

Jahrzehnt der Entscheidung

All diesen Bereichen ist die Vorgehensweise der Regierung bei der Bewältigung von Krisen gemeinsam: Leugnen, Phrasen- und Parolendreschen und manchmal auch die Anwendung von Zwang. Anstatt wissenschaftlich und präzise auf gesellschaftliche Trends zu reagieren, versucht das Regime, die Probleme durch Unterdrückung der Medien, Ausschluss unabhängiger Experten und Bemühungen zur Kontrolle der öffentlichen Debatte zum Verschwinden zu bringen. 

Erfahrungen aus erfolgreichen Ländern zeigen jedoch, dass sozialer Fortschritt und politische Stabilität nur durch Respekt gegenüber den Bürgern, Transparenz der Informationen, inklusive Entscheidungsfindung und rationale Regierungsführung erreicht werden können. Im Iran hingegen erleben wir die Dominanz der Politisierung und Ideologisierung gegenüber dem Fachwissen. Die Krisen häufen sich, und wenn dieser Kurs fortgesetzt wird, gerät das politische System in eine noch tiefere Legitimitätskrise.

Um diese Situation zu überwinden, ist ein grundlegendes Überdenken der Regierungsphilosophie unerlässlich. Der Staat muss von einem Ansatz von oben herab zu einem Dialog mit der Gesellschaft übergehen, seine Politik auf wissenschaftliche Daten und die Realitäten vor Ort stützen und der Vertrauensbildung Vorrang vor Unterdrückung einräumen. Nur wenn er Verantwortung übernimmt, Raum für Kritik schafft, zur Leistungsgesellschaft zurückkehrt und die Würde und das Wohlergehen der Menschen in den Vordergrund stellt, kann der Weg in den sozialen Verfall gestoppt werden.

Das vergangene Jahrzehnt war ein Jahrzehnt der Warnungen, doch das kommende könnte eines der Entscheidungen sein: Nämlich jener Entscheidung zwischen dem weiteren Zusammenbruch oder dem Beginn mutiger und grundlegender Reformen, die unter dem aktuellen Regime unmöglich scheinen und nur unter einem neuen politischen System begonnen werden können.

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