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Der Grund für Genitalverstümmelung

Von Hannah Wettig

Der Islam ist eine wunderbar konsequenzfreie Religion. Dicke Bücher wurden geschrieben, wie die katholische Beichte unsere Sexualität beeinflusst, wie Luther unser Mutterbild prägt, was der Calvinismus zum Kapitalismus beigetragen hat. Mit dem Christentum hat also offenbar recht viel etwas zu tun. Dabei steht vom Kapitalismus gar nichts in der Bibel, auch nichts von Mutter-Kind-Bonding, nicht einmal von der Beichte.

Ganz anders beim Islam: Schlagende Ehemänner, Sklavinnen, Kreuzigungen, Judenhass – steht alles im Koran. Hat aber nichts mit dem Islam zu tun.

Das hat gerade sogar Die Welt festgestellt. Es ging um weibliche Genitalverstümmelung. Die Welt zitiert: „Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) widerspricht Vermutungen, die Genitalverstümmelung sei eine gängige Praxis in islamischen Ländern; die Religion werde oftmals nur als Grund ‚vorgeschoben‘.“

Aha: „Als Grund vorgeschoben“. Das heißt doch so viel, dass die Leute, die ihren kleinen Mädchen die Klitoris und noch mehr wegschneiden, sagen, dass sie das machen, weil der Islam das verlange. Soviel ist dann wohl auch der DSW klar: Man kann ihr nicht vorwerfen, sie kenne die Studien zum Thema nicht. Dort wo weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird, geben zwischen 60 und 99 Prozent der muslimischen Befragten an, dies sei eine islamische Pflicht. Christen und Juden, die in manchen Gegenden auch weibliche Genitalverstümmelung praktizieren, geben nicht an, dass sie das aus religiösen Gründen täten.

Der Grund dafür ist einfach: In den Schriften dieser Religionen gibt es keinen Hinweis darauf, dass man Mädchen etwas wegschneiden soll. Im Islam gibt es den.


Schneide nicht zu viel

In der Hadith-Sammlung Sunan Abu Dawud sagt der Prophet Mohammed einer Beschneiderin: „Komm näher, ich zeige Dir, wie man es macht. Schneide nicht zu viel. Das lässt die Frau erröten und ist besser für den Ehemann.“ In einer anderen Hadith spricht die Prophetenfrau Aisha über Sex mit der Umschreibung „die zwei beschnittenen Geschlechtsteile, die sich treffen“.

Hadithe sind Erzählungen über das Leben des Propheten. Es gibt davon einige hunderttausend und nicht alle davon gelten als echt oder ‚authentisch‘. Die verschiedenen Rechtsschulen haben unterschiedliche Ansichten dazu, welche echt sind. Aber alle islamischen Theologen greifen auf Hadithe zurück, um religiöse Regeln zu begründen. Wer behauptet, dieses oder jenes stünde nicht im Koran und habe deshalb nichts mit dem Islam zu tun, hat offenbar keinen Schimmer von islamischer Theologie.

Auf ihrer Website behauptet die DSW gar: „Keine Religion fördert oder duldet Genitalverstümmelung. Doch lokale Führer argumentieren häufig zu Unrecht im Namen ihrer Religion.

Es sind nicht „lokale“ Führer, sondern unter anderem die Website der schafiitischen Rechtsschule, eine der vier Rechtsschulen des sunnitischen Islams, auf der man zum Thema weibliche Beschneidung lesen kann: „Die offizielle Position der schafiitischen Schule ist, dass es Pflicht ist für Frauen.


Rechtsschulen nennen FGM eine ‚gute Tat‘

Die Rechtsschulen der Hanbali, Hanafi und Maliki halten weibliche Genitalverstümmelung für eine ‚gute Tat‘ im Sinne des Islam, aber nicht für Pflicht. In einer Reihe sunnitischer Länder wird keine derartige Verstümmelung vorgenommen, weil man sich dort darauf beruft, dass man nicht jede gute Tat begehen muss. Aber keine einzige sunnitische Rechtsschule lehnt die Praxis ab. Allein die Ahmaddiya-Sekte tut das, die Schiiten empfehlen, es besser zu lassen.

Die vier sunnitischen Rechtschulen sind nun keineswegs „lokale Führer“, sondern – vergliche man sie mit den Christen – der Vatikan, der Patriarch von Konstantinopel und die Queen persönlich, die die Religion in diesem Sinne interpretieren.

Ehrlich gesagt, ist es ganz schön frech all diesen hochrangigen islamischen Rechtsgelehrten die Kompetenz abzusprechen, ihre eigene Religion richtig zu verstehen.

Glücklicherweise gibt es inzwischen eine ganze Reihe Rechtsgelehrte, die der offiziellen Position widersprechen. Die Geschichte vom Propheten und der Beschneiderin kann man schließlich auch anders interpretieren. Wie in anderen Religionen widerspricht sich in den Heiligen Schriften des Islam auch so einiges. Da kann man auch finden: „Allah hat alles perfekt geschaffen“ und die Schöpfung dürfe man nicht verändern. Deshalb gibt es durchaus eine Debatte, ob weibliche Genitalverstümmelung nicht besser gelassen werden sollte.

Will man diese brutale Praxis bekämpfen, ist es wichtig, diese Debatten zur Kenntnis zu nehmen. Es liegt auf der Hand, dass Muslime nicht einfach aufhören das zu glauben, was sie glauben, weil eine deutsche Stiftung der Meinung ist, ihre Religionsgelehrten hätten keine Ahnung von der Religion.

Ganz generell nervt es, wenn gläubige Muslime derartig bemuttert werden. Es erinnert doch sehr an Eltern, die über ihren Zögling, der gerade einem anderen eins überzieht, sagen: Das meint der nicht so.

Das Kleinkind meint das vielleicht nicht. Aber Muslime sind keine Kleinkinder. Die sollte man durchaus ernst nehmen.

(Zuerst erschienen auf dem Jungle-World-Blog „Von Tunis nach Teheran“.)

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