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Der Gesinnungskitsch der Antisemitismusvorwurf-Kritikerin Charlotte Wiedemann

Taz-Journalistin Wiedemann (li.) mit Otto Schily (re.) auf der Außerordentliche Bundesversammlung der Grünen in Oldenburg 1987
Taz-Journalistin Wiedemann (li.) auf der Außerordentlichen Bundesversammlung der Grünen in Oldenburg 1987 (© Imago Images / Joker)

Die taz-Kolumnistin Charlotte Wiedemann mag keinen israelbezogenen Antisemitismus erkennen, sondern nur missbräuchliche Vorwürfe und rechte Lobbyarbeit gegen „Israelkritiker“. Jüdische Verbände, die das anders sehen, weist sie nassforsch zurecht – vor Kühnheit zitternd wie weiland Martin Walser. Ihr Gewissen ist dabei rein, weil sie es nicht benutzt.

In den Kultureinrichtungen und Feuilletons macht sich eine besondere Spezies immer breiter: die Antisemitismusvorwurfskritiker. Das sind jene überaus einfühlsamen Zeitgenossen, die Antisemitismus so furchtbar finden, dass sie sich partout nicht vorstellen können und wollen, dass er auch außerhalb rechtsextremer Kreise existiert, gar in ihren eigenen Reihen.

Und die deshalb die Feststellung (die sie lieber „Vorwurf“ nennen, um sie einfacher zurückweisen zu können), dass es sich leider anders verhält und antisemitische Ressentiments – vor allem in ihrer israelbezogenen Form – auch in anderen Milieus als dem ultrarechten ein festes Zuhause haben, noch viel empörender finden als den Antisemitismus selbst.

Zumindest widmen sie der Antisemitismusvorwurfskritik viel mehr Zeit, Energie und Leidenschaft als der Kritik des Antisemitismus. Eine Behauptung fehlt dabei selten: jene nämlich, dass der angeblich inflationäre Gebrauch des „Antisemitismusvorwurfs“ dem Kampf gegen den „eigentlichen“ Antisemitismus schade, weil er den Blick auf die Falschen richte und damit den „echten“ Antisemitismus verharmlose, wenn nicht gar befördere.

Es ist ganz, wie Tucholsky es bereits vor über hundert Jahren schrieb: „Im Übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“

Auftritt Charlotte Wiedemann

Charlotte Wiedemann, Kolumnistin der taz, gehört auch zu dieser Spezies. Ihren jüngsten Text beginnt sie gleich mit einer kräftigen Verdrehung, die den Ton vorgibt:

„Für das Simon-Wiesenthal-Center zählt das Goethe-Institut zu den gefährlichsten antisemitischen Kräften weltweit, weil es sich mit anderen Kultureinrichtungen an einer Initiative gegen den Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs beteiligt.“

Das ist gleich doppelt falsch. Zum einen, weil es sich bei der vermeintlichen „Initiative gegen den Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs“ in Wirklichkeit um ein Bündnis der Kulturelite handelt, das gerne auf Staatskosten mit Unterstützern der BDS-Bewegung kooperieren würde, obwohl BDS mitnichten „nur“ Israel und seine Politik gegenüber den Palästinensern angreift, sondern sehr wohl auch das Judentum.

Zum anderen zählt das Simon-Wiesenthal-Center (SWC) das Goethe-Institut und andere Einrichtungen, die an der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ beteiligt sind, keineswegs „zu den gefährlichsten antisemitischen Kräften weltweit“. Es hat die Verharmlosung der BDS-Bewegung durch diese Initiative vielmehr zu den „Top ten worst global anti-semitic incidents“ des Jahres 2020 gezählt, also zu den schlimmsten antisemitischen Vorfällen.

Bei dieser „Top ten“ handelt es sich um eine subjektive Liste des Zentrums, die deutlich machen soll, wie verbreitet der Antisemitismus ist und was für unterschiedliche Formen er annehmen kann. Es geht also nicht darum, eine Rangfolge der gefährlichsten Antisemiten der Welt zu erstellen.

Wiedemann wie weiland Walser

Wozu das Herunterspielen von BDS bei gleichzeitiger Dramatisierung einer Aktivität des SWC dient, wird sofort deutlich. Wiedemann will den Spieß einfach umdrehen: Das Wiesenthal-Center ist für sie „eine rechte Lobby-Einrichtung“, die ehrbare Kämpfer wider den Antisemitismus wie die besagte Initiative diffamiert. Wie es sich gehört, sagt sie das nicht ohne inszenierte Bauchschmerzen:

„Eine Anschuldigung, die unter dem Namen des berühmten Überlebenden und Nazi-Jägers daherkommt, als Verleumdung zu bezeichnen, das bedarf eines inneren Rucks, der auch mir nicht leichtfällt.“

Aber sie hat sich diesen „inneren Ruck“ natürlich gegeben, vermutlich vor Kühnheit zitternd wie weiland Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche, als er die „Dauerpräsentation unserer Schande“ geißelte und damit Auschwitz meinte, das zur „Moralkeule“ verkommen sei.

Bei Charlotte Wiedemann besteht diese Erlösung von der deutschen Vergangenheit darin, eine jüdische Organisation zu maßregeln, die in der Tradition eines Holocaust-Überlebenden steht, der eine unwillige Justiz auf die Fährten der NS-Täter setzte. Zu schreiben, das SWC verbreite justiziable Lügen sowie „irrige Urteile, die sich eine aus der Shoah abgeleitete Autorität anmaßen“, zeugt von einem Gewissen, das deshalb so rein ist, weil es nie benutzt wurde.

Gesinnungskitsch mit simplem Subtext

Welche Autorität aus der Shoah stattdessen abzuleiten ist, sprich: welche Lehren aus der Vernichtung der Juden zu ziehen sind, weiß Charlotte Wiedemann natürlich besser als das Simon-Wiesenthal-Center. Die Autorin will eine zunehmende „Abstumpfung“ festgestellt haben, ein „Antisemitismusvorwurf“ bewirke „oft nur noch Schulterzucken“, und das sei „schlimm“.

„Sensibilität“ müsse „wieder eine Tugend werden“, findet sie, und da stören unsensible Tugendlose wie das Wiesenthal-Center, das dem israelbezogenen Antisemitismus, anders als Wiedemann, weder mit Abstumpfung noch mit einem Schulterzucken begegnet, natürlich ganz erheblich die deutschen Befindlichkeiten.

Was Charlotte Wiedemann da in der taz ausbreitet, ist grässlicher Gesinnungskitsch, der sich mit nassforscher Dreistigkeit und belehrenden Obertönen zu einem schwer erträglichen Wortschwall verbindet, in dem israelbezogener Antisemitismus als Ausdruck von Nonkonformität und Diversität erscheint.

„Die Anerkennung, dass es im eigenen Inneren die Möglichkeit antisemitischer Regungen gibt, sollte eine Voraussetzung für die Beteiligung am öffentlichen Gespräch sein.“

Dies schreibt die Autorin beispielsweise und plaudert dabei unfreiwillig aus, was die Antisemiten jedweder Couleur schon immer charakterisiert hat: Wer Juden hasst, hält nicht etwa den Mund, sondern sucht ganz dringend ein Publikum. Eine „moralische und geschichtspolitische Abrüstung der Debatte“ wünscht sich Wiedemann, und was sie unter Abrüstung versteht, macht sie deutlich, wenn sie schreibt:

„Würde die AfD eine Regierungsmehrheit in Deutschland erringen, bliebe die Außenpolitik, nach allem, was dazu absehbar ist, pro-israelisch. Zugleich würden Gedenkstätten die Etats gekürzt, von Schlimmerem nicht zu reden.“

Der Subtext dieser Aussage ist unschwer zu dechiffrieren: Wer Israel unterstützt, ist ein Rechter und hilft denjenigen, die den Holocaust vergessen machen wollen. Dass die Solidarität mit den lebenden Juden und ihrem Staat nicht nur kein Widerspruch zum Gedenken an die toten Juden ist, sondern im Gegenteil die logische Konsequenz, ist für Wiedemann anscheinend undenkbar – wie übrigens auch für die AfD.

Desinteresse und Borniertheit

Wiedemann kann sich keine linke Solidarität mit Israel vorstellen, sondern nur „junge nichtjüdische Deutsche“, die „den Zionismus“ so umarmten „wie früher ihre Eltern die Klezmer-Musik“. Wer die Debatten der vergangenen 25 Jahre nicht verfolgt hat, muss sich eben mit Klischees und Stereotypen behelfen und offenbart damit nicht nur ein gehöriges Desinteresse, sondern auch eine befremdliche Borniertheit.

Um das zu kaschieren, ist bei der Verfasserin viel die Rede von „jüdischer Diversität“, die sich für sie vor allem in „jungen Israelis“ manifestiert, die „nicht in Israel leben möchten – und die in Berlin, Stadt der Wannseekonferenz, glauben, freier atmen zu können“.

Dass viele von diesen Israelis den jüdischen Staat kritisch sehen, gefällt Charlotte Wiedemann – dass sie aber eine Minderheit sind, schreibt sie nicht. Dabei ist es sehr wohl der Rede wert, dass vier Fünftel aller Juden in Amerika und in Europa sich Israel eng oder sehr eng verbunden fühlen und es als einen Angriff auf das Judentum betrachten, wenn die Israelboykotteure der BDS-Bewegung in ihrer Propaganda den einzigen jüdischen Staat der Welt ständig durch den Dreck ziehen.

Wenn die BDS-Bewegung also behauptet, sie richte sich nicht gegen Juden, dann geht sie dabei über die große Mehrheit der Juden hinweg, in deren Selbstverständnis Israel eine große Bedeutung zukommt. Das aber ignoriert Wiedemann, wie sie auch der Ansicht ist, es gebe „im deutschen Antisemitismus-Diskurs nicht mehr die eine, unanfechtbare moralische Autorität“. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland sei das nicht mehr, seitdem er

„jüdischen Stimmen, die aus seiner Sicht missliebig und israelfeindlich sind, das Jüdischsein abspricht“.

Einen Beleg dafür bleibt Wiedemann schuldig, weshalb Sigmount Königsberg, der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde Berlin, auf Twitter nachhakte. Wiedemann antwortete, Zentralratspräsident Josef Schuster habe die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die (antiisraelische) Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost im Februar 2019 „einen Schlag ins Gesicht der gesamten jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Israel“ genannt.

Richterin über die jüdische Gemeinschaft

Damit seien die Preisträger „nicht mehr zugehörig“ gewesen – was allerdings nur Wiedemanns überaus eigenwillige Interpretation ist. Auch an dieser Stelle ist es bezeichnend, wie eine nichtjüdische Journalistin sich zur Richterin über „Dos“ und „Don’ts“ in der jüdischen Gemeinschaft aufschwingt und deren Repräsentanz niedermacht – nicht ohne mit geheuchelter Demut zu behaupten, es

„als ein großes unverdientes Geschenk“ zu empfinden, „wenn wir einem öffentlichen innerjüdischen Gespräch zuhören dürfen oder uns gelegentlich daran beteiligen können“.

Dass solche Sätze nicht ernst gemeint sind, lässt Wiedemann hinreichend klar werden – nicht zuletzt wenn Sie denjenigen Stimmen im „innerjüdischen“ Gespräch, die nicht das erzählen, was sie gerne hätte, gleich abspricht, moralische Autorität zu sein, weil sie nur ihre schnöden Eigeninteressen im politischen Meinungskampf vertreten würden.

Überhaupt ist ihr angebliches Entsetzen über den Antisemitismus lediglich aus Opportunitätsgründen inszeniert, wie auch deutlich wird, wenn sie schreibt:

„Weniges hat mich im zurückliegenden Jahr so erschüttert wie Bilder und Symbole aus der Bewegung der Coronaleugner. So also, an unvermutetem Ort, kann völkischer Antisemitismus aufreißen, zugleich uralt und brandneu, und durch die Legierung mit vorgetäuschtem Philosemitismus so furchtbar zeitgenössisch deutsch.“

Unvermutet? Philosemitisch? Wer das behauptet, muss desinteressiert und kenntnislos sein. Wenig war so erwartbar wie die Shoah-Relativierung und die Selbstviktimisierung jener, die Corona für eine Erfindung der Mächtigen unter der Knute der Juden halten.

„Das Verheerende an einem inflationären Gebrauch des Antisemitismusvorwurfs ist, dass das Erschrecken schwindet.“

Das schreibt Charlotte Wiedemann zum Schluss. Es ist ein typischer Satz für diejenigen, denen der Hass gegen Juden nur dann etwas ausmacht, wenn er von ganz rechts kommt, und die ihn ansonsten rationalisieren, herunterspielen und nicht wahrhaben wollen. Israelbezogener Antisemitismus existiert für sie nicht, erst recht nicht in ihrem eigenen Milieu – kein Wunder, schließlich gehört die „Israelkritik“ dort zum guten Ton. Wenn man sich dann noch hinter Kronzeugen verstecken kann, die man im Namen von „Vielheitlichkeit“ und „Mehrstimmigkeit“ vereinnahmt, ist die linke Camouflage perfekt.

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