Die öffentliche Stimmung im Gazastreifen beschränkt sich nicht mehr auf die Wahl zwischen den palästinensischen politischen Akteuren Hamas und Fatah, sondern ist auf der Suche nach Alternativen.
Mohammed Altlooli
Nach Jahrzehnten des Kriegs, der Armut, der Unterdrückung und der Korruption zieht die Bevölkerung des Gazastreifens neue und unkonventionelle Alternativen in Betracht. Für viele der im Norden Lebenden ist die bevorzugte Option eine direkte israelische Verwaltung mit einer lokalen zivilen Führung. Im Zentrum und im Süden der Küstenenklave sieht die Mehrheit ihre Zukunft mit Ägypten verbunden. Und da es keine praktikable Lösung gibt, entsteht eine dritte, immer lautstärker werdende Strömung, nämlich die Massenauswanderung auf dem Seeweg.
Von der Fatah zur Hamas
Seit über dreißig Jahren werden die Bewohner des Gazastreifens von zwei palästinensischen Behörden beherrscht, von denen keine in der Lage war, das Land zu stabilisieren.
Die nach den Osloer Verträgen im Jahr 1994 eingesetzte und von der Fatah gestellte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wurde schnell zum Synonym für Korruption und Vetternwirtschaft. Arbeitsplätze wurden nach politischer Loyalität verteilt, öffentliche Gelder flossen in die Taschen der Elite statt in Investitionen, Arbeitslosigkeit und Armut nahmen zu.
Die Hamas ergriff in einem blutigen Putsch im Jahr 2007 die Macht und postulierte unter dem Begriff »Widerstand« eine autoritäre Herrschaft. Sie erhob illegale Steuern, monopolisierte den Tunnelhandel und nutzte wiederholt Kriege als Mittel, um ihre Vorherrschaft zu festigen. Die Küstenenklave wurde so zu einem Gefängnis ohne politische oder wirtschaftliche Perspektiven.
Trotz des blutigen Konflikts weisen die Bewohner im Norden darauf hin, dass Israel in Zeiten der Interaktion all das bot, was keine der palästinensischen Fraktionen jemals bieten konnte:
- Beschäftigung und Einkommen: Vor 2007 arbeiteten Zehntausende Bewohner des Gazastreifens in Israel und verdienten dort ein verlässliches Einkommen.
- Gesundheitsversorgung: Israelische Krankenhäuser retteten Hunderten von Patienten das Leben, während die Einrichtungen der Hamas und der Fatah oft nicht einmal grundlegende Medikamente bereitstellen konnten.
- Dienstleistungen: Die israelischen Verwaltungssysteme sind weitaus effizienter als das Chaos unter den Regierungen der palästinischen Fraktionen.
- Steuern und Finanzen: Im Gegensatz zu den unerbittlichen Steuern der Hamas oder den Patronagenetzwerken der Fatah hat Israel die Bewohner des Gazastreifens finanziell nie ausgebeutet.
So bot Israel für viele Menschen, obwohl es als politischer Feind wahrgenommen wurde, konkrete Verbesserungen des täglichen Lebens, wie sie die Hamas und die Fatah nie erreicht haben.
Geografische Kluft
Tägliche Kontakte mit den Bewohnern zeigen eine klare geografische Divergenz in den Ansichten. So fordern Bewohner im nördlichen Gazastreifen, dass ihre Gebiete unter direkter israelischer Verwaltung bleiben, kombiniert mit einer lokalen zivilen Führung. Für sie ist dies der praktischste und sicherste Weg in die Zukunft. Die Menschen im zentralen und südlichen Gazastreifen sehen hingegen zunehmend Ägypten als ihren natürlichen Rettungsanker an, sei es durch dauerhaft geöffnete Grenzübergänge, sei es durch eine erneute Kontrollübernahme.
Sollten die Bemühungen um eine Integration des Gebiets unter israelischer Sicherheits- und Zivilverwaltung scheitern, wird von so manchen die Emigration in Betracht gezogen: »Wenn wir nicht unter israelischer Verwaltung leben können, wollen wir auf dem Seeweg ausreisen. Was zählt, ist ein normales Leben – egal, wo«, so ein Bewohner von Beit Lahia.
Diese Stimmung spiegelt einerseits die beispiellose Verzweiflung der Bevölkerung wider und andererseits die klare Verlagerung hin zu praktischen, auf das Überleben ausgerichteten Lösungen jenseits der Rhetorik des »Widerstands«, was einen historischen Wandel im Bewusstsein der Bewohner des Gazastreifens darstellt: Sie streben das Ende der bisherigen Kontrolle durch die Palästinensische Autonomiebehörde bzw. der Hamas an und fordern ein normales Leben in Würde – auch wenn dies eine Verwaltung durch Israel oder die kollektive Auswanderung aus dem Gazastreifen bedeuten sollte.
Mohammed Altlooli ist palästinensischer Bürgerrechtler und Gründer der Temporary Palestinian Civil Affairs (TPCA).






