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Der ganz normale Antiimperialismus: Obamas und Trumps syrisches Schicksal

Der Rückzug Trumps aus Syrien beendet die Nahost-Politik, die Barack Obama begonnen hat.

Die USA schicken weitere Truppen in den Nahen Osten. Nein, Sie haben sich nicht verlesen. Allerdings werden die zusätzlichen 3000 Mann in Saudi-Arabien stationiert, und das zahlt dafür cash, wie der amerikanische Präsident stolz erklärt hat. Offensichtlich kann man die US-Army mittlerweile mieten. Da ist es offensichtlich auch egal, ob die Saudis die USA bei der Landung in der Normandie im Zweiten Weltkrieg unterstützt haben oder nicht.

Das absurde Argument, die Kurden hätten eben jenes nicht getan, man habe deswegen keine Verpflichtungen ihnen gegenüber, war nur der Beginn einer Reihe von Bemerkungen Donald Trumps zur nordsyrischen Katastrophe, von denen man nie genau weiß, was an ihnen kalkuliert zynisch ist, und was sein authentisches Weltbild widerspiegelt.

Aber vermutlich ist so eine Frage einfach obsolet. Die Flucht der kurdischen PYD ins Lager Putins und Assads vor den türkischen Invasion kommentiert er zufrieden per Twitter mit dem Hinweis, „Assad und Syrien“ sollten die Kurden beschützen und für ihr Land gegen die Türkei kämpfen. Ersteres kann man angesichts eines Diktators, der Giftgas gegen die Zivilbevölkerung einsetzt und über Hunderttausend Menschen einfach hat verschwinden lassen, gar nicht ernsthaft abwägend kommentieren. Einen tieferen Abgrund, in den ein westlicher, demokratisch gewählter Spitzenpolitiker mit ausgestrecktem Mittelffinger und düsterem Grinsen springen könnte, gibt es eigentlich nicht.

Der zweite Teil seines Satzes ist dann wieder so wirr wie die Entscheidung, dem türkischen Präsidenten den Einmarsch in das syrisch-kurdische Gebiet zu ermöglichen, um kurz darauf, nachdem selbst enge Unterstützer entsetzt waren, mal eben so anzukündigen, bei Bedarf umgehend die türkische Wirtschaft zerstören zu können. Und nun, nachdem die türkischen Panzer losgerollt sind und die Artillerieeinschläge ganz selbstverständlich auch die Gefängnisse getroffen haben, in denen die Anhänger des IS-Kalifats hocken, haut Trump plötzlich auf die Pauke: Erdogan soll seine Panzer stoppen.

Eines ist sehr offensichtlich: Donald Trump ist ein politisch Getriebener, seine Entscheidungen zum Nahen Osten, von denen ungeheuer viele Menschenleben und Schicksale abhängen, sind im Konkreten banal tagespolitisch bedingt. So buchstabiert sich Unverantwortlichkeit.

Amerikas Rückzug als Garant einer universalen Weltordnung

Letztlich ist es müßig, immer wieder auf Donald Trumps verstörende Idiosynkrasie hinzuweisen. Sein Wahnsinn hat außerdem Methode, jedenfalls was den Nahen Osten angeht. Für ihn liegt diese Weltregion und die syrisch-türkische Grenze „7000 Meilen weit weg“, und wer immer die Kurden beschützt, ob „China. Rußland oder Napoleon Bonaparte“, ist ihm herzlich egal. Amerikas Fehler sei es gewesen, jemals in diese „lächerlichen endlosen Kriege, viele von ihnen Stammeskriege“, einzugreifen.

Er wird mit solchen Ansichten vermutlich viele seiner Wähler ansprechen und macht dabei ein ums andere Mal deutlich, dass er den Rückzug Amerikas als politischer und militärischer Garant einer universalen Weltordnung, die man einmal als „westlich“ bezeichnet hat, brachial forcieren will.

Donald Trump macht wahr, wovon Antiimperialisten immer geträumt haben. Dass es dabei nun ausgerechnet das letzte große internationalistische Hoffnungsprojekt „Rojava“ trifft, ist mehr als ein schlechter Witz der Weltgeschichte. Es ist ein überdeutlicher Hinweis darauf, dass es in einer Welt ohne universelle, „westliche“ Werte – so verlogen auch oft derUmgang mit ihnen war  – gar keine Instanz mehr gibt, an die man zu ihrer Einhaltung moralisch appellieren könnte.

Donald Trump war mit seiner Entscheidung – oder wie nennen wir es besser, Impuls? Eingebung? Laune? –, der Türkei für ihre Invasion die Tür zu öffnen, nur konsequent. Trump steht das Wasser bis zum Hals, und falls die kommenden Ereignisse ihn mitreißen werden, nun, im Angesicht des erwartbaren Impeachment-Verfahrens sind die wildesten Wasserstrudel sowieso sein bester Schutz.

Der Gewinner steht fest

Auch für die Menschen im Norden Syrien ist es soweit: Wer hier bisher dem Krieg einigermaßen entkommen ist, wird nun in den Fleischwolf gestopft werden. Dabei sind die kurdischen Gebiete sowie die vom Islamischen Staat befreiten arabischen Zonen in Ostsyrien nur ein Teil der Verhandlungsmasse, die Trump mit Desinteresse zur Verteilung freigegeben hat: Das Schicksal des Gebietes um Idlib mit potentiell bis zu drei Millionen Flüchtlingen hängt ebenfalls daran wie die Millionen von Syrern in der Türkei, mit denen Erdogan im Rahmen einer gigantischen ethnischen Säuberungsaktion – nichts anderes stellt sein vor der UN-Vollversammlung präsentierter Plan dar – die türkisch-syrische Grenze mit ihren kurdischen Siedlungsgebieten arabisieren will. Aber das ist bloß das ferne Bild einer Zukunft, von deren Gegenwart momentan niemand weiß, wie die Lage auch nur in drei Monaten aussehen wird – außer dass es noch mehr Flüchtlinge, noch mehr Tote und noch weniger sinnvolle Lebensperspektiven in der Region geben wird.

Der Gewinner im ganzen Chaos steht schon fest: Putin. Tatsächlich hat er den machtpolitischen Gipfel im Nahen Osten erklommen. Putin hat den amerikanischen Präsidenten als nahöstliche Letztinstanz beerbt. Das ist sehr beeindruckend. Als Russland 2015 in Syrien eingriff, konnte man das noch als wahnwitziges Unternehmen abtun. Was ist da eigentlich passiert? Putins Reich ist der Aufguß eines uralten imperialen Teesatzes – aber bis jetzt funktioniert es. Inwieweit hat das überhaupt etwas zuvorderst mit Ökonomie zu tun? Der neue russische Imperialismus im Nahen Osten stellt frische Fragen an ein abgegessenes Forschungsfeld.

Der ganz normale Antiimperialismus: Obamas und Trumps syrisches Schicksal
Bashar al-Assad und Vladimir Putin (Quelle: President of Russia)

Jedenfalls: Ohne Putin geht nichts mehr. Die Verhandlungen zwischen kurdischer PYD und syrischem Regime werden auf der russischen Luftwaffenbasis Hmeimim geführt. Gerade weilt er im saudischen Riad, er ist der Mann, mit dem man momentan im Nahen Osten reden und rechnen muss. Das gilt aber keineswegs für Bashar Al-Assad; auch wenn der nominelle syrische Präsident wieder einmal ohne eigenes Zutun zum Sieger erklärt werden könnte, sollen seine Elitetruppen doch nun in das kurdische Gebiet vorrücken. Aber wieviele und wohin genau? Assads Armee hat mehr russische Panzer als loyale Syrer, die sie fahren könnten.

Der syrische Präsident hat dank russischer und iranischer Hilfe diesen Konflikt bisher überstanden. Aber mit einer Rückkehr an die syrisch-türkischen Grenze im kurdischen Gebiet würde ein grundsätzliches Problem für Assad verschärft werden: Weder kann er das syrische Staatsgebiet mit seiner Armee kontrollieren, noch hat das Regime irgendwelche Ressourcen für den Wiederaufbau. Es wird so gerne missverstanden: Assad ist kein Gewinner. Er ist ein Überlebender.

Wahrscheinlich gab es vor der Invasion bereits eine grundsätzliche Verständigung zwischen der Türkei und Russland über die Kontrolle Nordostsyriens. Die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen dem Regime und den Kurden unter Oberaufsicht der Russen sind bisher noch nicht ganz deutlich geworden, die kurdischen Kämpfer der YPG könnten offiziell in die syrische Armee integriert werden, genauer in den Teil, der unter direkter Kontrolle Russlands steht. Die kurdisch-arabische SDF („Syrian Democratic Forces“), geschaffen von den USA zur Bekämpfung des „Islamischen Staates“, würden aufgelöst.

Wie weit die Vereinbarungen gehen und was davon zum Tragen kommt, muss sich erst zeigen, auch ob die von den plötzlich aufgeschreckten Europäern befürchteten Kämpfe zwischen der türkischen Armee und Assads Truppen wirklich drohen – und damit ein NATO-Bündnisfall. Oder ob Spannungssituationen zwischen syrischer und türkischer Armee nicht doch nur Scheingefechte von Partnern unter russischer Führung sind, die sich über ihren Profit längst grob geeinigt haben.

Hilflose Europäer

Die Europäer stehen den neuesten Ereignissen in Syrien so hilf- und machtlos wie seit 2011 gegenüber. Man hat sich damals entschieden nicht einzugreifen und ist voraussehbar ein Objekt der regionalen Akteure im Nahen Osten und Russlands geworden, die keinerlei Skrupel empfinden, ihre machtpolitischen Ambitionen auszuleben. Die Entscheidungen oder vielmehr Nichtentscheidungen der EU rund um den Konflikt in Syrien sind wie ein fortwährendes Tönen: Man-hätte-es-wissen-können.

Trumps Rückzug aus Syrien lässt die Europäer genauso nackt aussehen, wie sie seit Anfang an diesem Konflikt gegenüber dastehen. Es ist doch deren „neighbourhood“ sagt der amerikanische Präsident und verweist damit auf eine geographische Realität, deren machtpolitische Konsequenz einem Trump allerdings im Gegensatz zu europäischen Öffentlichkeit offenbar durchaus klar ist. Die Antwort der EU? Gibt es eine? Die Spanier haben auf ihrem offiziellen Nato-Twitter-Account die Türkei zu ihrer Invasion im Vorfeld schon einmal beglückwünscht (mittlerweile gelöscht?). Wie laut wird also das Murmeln der Europäer werden, wenn man ihnen mit Flüchtlingen droht?

Ein erstes Ergebnis des türkischen Einmarsches, der ja maßgeblich mit syrischen Söldnern stattfindet, formuliert der renommierte Nahostanalyst Hassan Hassan:

„Einige mögen das vielleicht nicht hören, aber die türkische Operation markiert das absolute und unbestreitbare Ende von allem, was früher als die Freie Syrische Armee oder die gemeäßigte Opposition bezeichnet wurde. Syrien steht jetzt vollständig unter ausländischer Kontrolle, und die Streitkräfte und Milizen haben extremistische Ideologien oder Söldner.”

Vielleicht war es ja doch an der Zeit, dass dies endlich so deutlich wird. Die gerade stattgefundene Umbenennung der traurigen Reste der Freien Syrischen Armee (FSA) in „Nationale Armee“ war nur der Schluss. Diese „Nationale Armee“ besteht de facto aus türkischen Söldnern wenigstens zum Teil islamistischer Provenienz. Aber das ist nicht Schuld der Syrer. Es gibt keine organisierten Syrer mehr, die unabhängig syrische Interessen vertreten könnten. Syrien erstickt im imperialen Würgegriff. Der Todeskuss des Regimes aus Damaskus verspricht im besten Fall das langsame Ersticken. Derweil exekutieren Erdogans islamistische Söldner Kurden am Straßenrand.

Diskussion über Schuld

Es bleibt die Diskussion über die Schuld an alldem, die bereits entbrannt ist. In die Wut über Trumps rigorosen Irrsinn hat sich wohlfeiles Geheul gemischt, von ehemaligen Akteuren, die ihre eigene Rolle gerne vergessen machen möchten. Es geht hier um die Fragen nach dem Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak 2011, der Toleranz gegenüber der iranischen Machtpolitik im Zeichen eines sehnlichst gewünschten Atomabkommens, der Ignoranz gegenüber dem Entstehen des Islamischen Staates durch eine sektiererische, schiitisch dominierte Politik im Irak und der auch westlichen Überlebenshilfe für das Assad-Regime trotz Giftgaseinsatz und Fassbombenterror. Dazu gehört auch das von der Türkei aufgrund ihrer Staatsräson von Anfang an deutlich gemachte Veto, auf syrischem Gebiet keinen PKK-Teilstaat dulden zu können.

Im Zeichen des Kampfes gegen den Islamischen Staat haben das alle geflissentlich ignoriert. Solche Widersprüche wurden im Zuge der hektischen Entscheidungsfindung nach dem Siegeslauf des Islamischen Staates 2014/15 einfach beiseite gewischt. Man hätte diese Widersprüche zumindest handhabbar machen müssen.

Das wäre aber nur gegangen, wenn die USA dort irgendetwas gewollt hätten – jenseits des möglichst schnellen Kampfes gegen den Islamischen Staat – für den die Aliasorganisationen der PKK sich willig angeboten haben. Beide Seiten haben sich etwas gewünscht, die einen haben dafür ihre Kämpfer gegeben, die anderen freudig die nötigen Ressourcen gespendet. Und man hat so getan, als gäbe es kein danach. Die kurdischen Kämpfer wurden im Kampf gegen den Islamischen Staat verheizt. Der Ausdruck aus dem Landser-Jargon passt hier moralisch gesehen durchaus. Egal, wie man die PKK oder „Rojava“ bewerten mag – was hier gerade passiert ist ein erneuter Todesstoß gegen auch nur irgendeine Zukunft in Syrien.

Was bleibt?

Wer übrig bleibt, wird zum Flüchtling, der wiederum zum nervigen Ballast wird, in dessen Namen man schließlich Krieg führt, wie die Türkei gerade. Angesichts der Flüchtlinge, die das Regime in Damaskus mittlerweile produziert hat, wäre jeder extrem blutige Regime Change angemessen gewesen. Wir reden über Millionen von Menschen, deren Leben direkt betroffen ist. Syrien ist ein Verhängnis total gescheiterter internationaler Politik. Trump ist bloß ein schriller Konkursprofiteur.

Die Kosten für diese Art von kurzsichtiger Politik, die immer nur auf die Versäumnisse reagiert, zahlen wieder einmal Menschen in Syrien. Es ist ein grauenhaftes Spiel. Für die einen geht hier längst um die Geschichtsschreibung, für die anderen ist nicht klar, ob heute noch eine türkische Bombe auf sie fällt, oder unter welcher perspektivloser Herrschaft sie morgen dahinvegetieren müssen.

Donald Trump kann man kann man viel vorwerfen, aber er hat ein verfahrenes, grauenhaftes Syrienszenario von seinem Amtsvorgänger geerbt. Barack Obama, der Friedensnobelpreisträger, hat während seiner Amtszeit acht Jahre lang peinlich genau darauf geachtet hat, im Nahen Osten seine eigenen persönlichen roten Linie nicht zu überschreiten. Egal, wie hoch die menschlichen Kosten waren. Trump ist ein übler Faktor, aber er spielt nur in den Grenzen, die Obama im Nahen Osten bereits gesetzt hat. Der Abzug der USA als zentrale imperiale Macht verändert alles. Die EU zieht bedeutungslos am Wegesrand Grimassen.

Okay, Trump wird mit Sicherheit keinen Friedensnobelpreis verliehen bekommen. Seien wir ehrlich: Nach Obama ist das keine Beruhigung. Obama und Trump? Ein fieser Abgesang waren beide.

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