Der Arzt und der Judenhass

Gebäude der Staatsanwaltschaft Hannover
Gebäude der Staatsanwaltschaft Hannover (© Imago Images / Olaf Döring)

Ein in Hannover praktizierender Allgemeinmediziner verbreitet nicht nur auf seiner privaten Website antisemitische Ideologie, sondern auch in einem eigenen Buch. Das ging nun selbst der AfD zu weit. Die Staatsanwaltschaft dagegen will das Verfahren gegen ihn einstellen.

Wer in Hannover oder der Umgebung der niedersächsischen Landeshauptstadt lebt und Anti-Aging-Maßnahmen, eine Darmsanierung, eine Eigenblut–Eigenurin-Therapie, eine Leberentgiftung oder eine Testung der Lebensenergie benötigt, sucht vielleicht Klaus Eikemeier auf. Denn der Mann ist Allgemeinmediziner und bietet alle diese Leistungen an.

Er ist aber nicht nur Arzt, sondern auch gelernter Werkzeugmacher, Verkehrsunfallforscher, Fluglehrer, Studienstiftler des Deutschen Volkes, Nutzlastexperte, Höhenbergsteiger, Musiker und Mitglied im europäischen Gelehrtenverzeichnis und vieles mehr. Das erfährt man, wenn man auf seine Zweitwebsite klickt, die den ganz unbescheidenen Titel „Der Reformator“ trägt. Dort steht auch zu lesen, dass Eikemeier sich der „Herstellung einer neuen Weltordnung“ verschrieben hat.

„Neue Weltordnung“

Diese hält der 1948 geborene Tausendsassa für dringend geboten, denn: „Die bisherigen Fäkal-Kreaturen und Tröglinge der politischen Systeme haben sich zusammengerottet und arbeiten gegen die Demokratie und die Souveränität der Völker.“ Diese „Lobbyisten“ hätten „Abhängigkeiten größten Ausmaßes“ als Tatsachen geschaffen, die „Parteibonzen und Parteikrüppel“ raubten „durch Privatisierung das Volksvermögen“, die „Volksverräter“ machten Europa zum Armenhaus, indem sie „das ‚Scharaffenland‘ (soziale Hängematte) für Migranten ohne Gegenleistung“ bereiteten. Für „Drogendealer, Finanzbetrüger, Verbrecher und anderes Gesindel“ sei „die Zeit abgelaufen“.

In seinem Buch „Die neue Philosophie im 3. Jahrtausend“ werde vieles davon angesprochen, wirbt Eikemeier für sich selbst. Durch die dort versammelte „energetische Photographie und andere Tests“ könnten „lügende Politiker, Bankster, Priester etc. entlarvt werden“, kein Mensch könne sich nach dem Lesen mehr „hinter Lügen verstecken“.

Doch es ist gar nicht so einfach, an das im Januar 2017 veröffentlichte, 350 Seiten umfassende Werk zu kommen, denn es wird nicht über den Buchhandel verbreitet. Womöglich soll auch nur ein exklusiver Kreis in den Genuss der Schrift kommen, zumindest heißt es auf deren zweiter Seite: „Nur für den persönlichen, familiären und internen Gebrauch bestimmt.“ Aber das ist vielleicht auch logisch, schließlich soll es ja keinen Menschen in die Hände fallen, die Eikemeier „Parteikrüppel“, „Volksverräter“ und „Gesindel“ nennt.

Eine stramm antisemitische Weltsicht

Nun bleibt die Lektüre aber doch nicht lediglich erlauchten Zirkeln vorbehalten, weil das Buch inzwischen den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat. Und wer es liest, lernt die Weltsicht des Klaus Eikemeier kennen. Auf den ersten rund 120 Seiten geht es um den Menschen als solchen, um seine Beschaffenheit, seine Genetik, sein Gehirn und seine Gedanken sowie um spirituell-esoterische Themen, bevor der Verfasser zu Deutschland, zu den Religionen und weiteren Dingen kommt.

Eines muss man dem Mann dabei lassen: Er versucht gar nicht erst, seine Gesinnung zu chiffrieren. „Die BRD ist ein Vasallensystem fremder Staaten bzw. der Alliierten“, doch die Deutschen müssten „dazu schweigen, sonst werden sie sofort als Antisemiten, Holocaustleugner oder Nazis diffamiert“, schreibt er beispielsweise auf Seite 146.

Zwei Seiten weiter heißt es: „Die Politiker sind – wie auf allen Gebieten – nur jüdische Arschkriecher. Das ist die Wurzel sämtlicher Übel.“ Blättert man noch einmal um, dann liest man: „Banken und Börsen sind zionistische Betrugseinrichtungen, die mit den bestochenen Regierungen (Vasallen) die Weltmacht anstreben. Das von Juden und Zionisten ausgedachte Gaunerstück funktioniert ganz einfach, und alle fallen darauf rein.“

Ein weiteres Mal umgeblättert, und man erfährt: „Unser deutsches Volk wollte sich dem Finanzterror auch entziehen und hat dafür schwer gebüßt. Diese schmarotzenden jüdischen und zionistischen Ratten haben versucht, […] die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands im 1. und 2. Weltkrieg zu zerschlagen.“

Nun kommt der Verkehrsunfallforscher erst so richtig in Fahrt: „Schon bereits vor der sog. Machergreifung (Hitler wurde frei gewählt) wurde in Amerika die Vernichtung Deutschlands durch die jüdische Rattenbande in New York entschieden“, behauptet er auf Seite 153. „Während sich hier in Europa hervorragende weiße Menschen […] abschlachteten, feierten die Juden in Amerika in Saus und Braus ihre wirtschaftlichen Gewinne.“

Drei Seiten weiter führt er aus, welche Konsequenzen das aus seiner Sicht haben sollte: „Wir müssen diesen zionistischen Missgeburten klarmachen, dass wir das Sklavenhaltertum, in welcher Form auch immer, nicht dulden.“ Das Standrecht „oder auch eine Bestrafung mit 20 Jahren schwerster Steinbrucharbeit wären gerechtfertigt“. Denn „diese Judenhunde“ stünden „den Nazis in nichts nach“, und Israel sei dafür „der lebendige Beweis“, wie auf Seite 215 nachzulesen ist.

Die Staatsanwaltschaft will das Verfahren einstellen

Woran erkennt man nun „die neue, unsichtbare Juden-Tyrannei“? Eikemeier nennt elf Punkte:

1. Erpressen die Völker mit Zinszahlungen, 2. Hetzen Völker oder Volksgruppen gegeneinander auf (Migranten gegen Deutsche), 3. Entwaffnen die Deutschen, 4. Haben die Wehrpflicht abgeschafft und eine Söldnerarmee gegründet, 5. Kaufen oder erpressen Politiker, 6. Manipulieren und lügen durch Massenmedien, 7. Stehlen Produktionsstätten und öffentliche Einrichtungen (Krankenhäuser, Bundesbahn, Autobahnen) durch Banken und Börsen, 8. Schaffen Schuldkomplexe durch Geschichtslügen, 9. Alkohol-, Drogen- und Computersucht/Kriminalität, 10. Überwachungsstaat, 11. Bargeld abschaffen.“

Kurz: Die Juden sind an fast allem schuld, nur die schlechte Spargelernte fehlt in der Aufzählung.

Klar ist für den vielfachbegabten und erfolgreichen Verfasser jedenfalls: „In Deutschland macht nur der Karriere, der den Juden in den Arsch kriecht!“ Oder Klaus Eikemeier heißt. Doch auf Seite 229 kündigt er an, dass bald alles anders sein wird: „Mit der steigenden Wehrfähigkeit wird die übergestülpte Finanz- und Medienmacht beseitigt. […] Das wird der Sieg über alle und alles sein! Die Weltkultur wird deutsch und nicht jüdisch sein. Die deutsche Weltkultur wird sittlich sozial sein und nicht zionistisch skrupellos, ein sittlicher Staat mit sittlichen (Personen) Bürgern.“

Dafür gebe es allerdings eine Voraussetzung: „Nur eine intakte, starke Lebensgemeinschaft wird das Judentum brechen.“ Außerdem müssten Politiker, Banker, Priester und Verbrecher „bechippt“ werden wie Hunde, „damit sie überall auf der Erde aufspürbar sind“. Das würde „der Verbrechensbekämpfung dienlich sein“.

Diese Auslassungen führten dazu, dass der passionierte Nutzlastexperte und Höhenbergsteiger wegen Volksverhetzung angezeigt wurde. Doch die Staatsanwaltschaft Hannover beabsichtigt, das Verfahren gegen Eikemeier einzustellen, weil der Tatbestand der Volksverhetzung voraussetzt, dass es eine öffentliche Verbreitung der betreffenden Aussagen gegeben hat. Das sei hier nicht der Fall, da es keine Erkenntnisse darüber gebe, ob und wo das Buch von Eikemeier verbreitet wurde.

Konsequenzen hatten die Ausführungen für das Mitglied im europäischen Gelehrtenverzeichnis dagegen im Hinblick auf seine Tätigkeit für die AfD: Dort gehörte er als Beisitzer dem Vorstand des Kreisverbandes Hannover-Land-Ost an, bis er Ende der vergangenen Woche aufgefordert wurde, seine Parteiämter niederzulegen und aus der Partei auszutreten.

Ausschluss selbst aus der AfD

Zumindest der erstgenannten Forderung ist Eikemeier nachgekommen, wie die AfD mitteilte. Sollte er nicht auch austreten, werde man ein Ausschlussverfahren beantragen, hieß es.

Offenbar geht selbst dieser Partei, in der Antisemitismus bekanntlich entgegen anders lautenden Beteuerungen ein festes Zuhause hat, der Arzt aus Hannover mit seinen Äußerungen nun deutlich zu weit. Eikemeier sei „als Mitglied im Kreisverband Hannover bislang nicht fragwürdig in Erscheinung getreten“, heißt es in der Erklärung. Es fällt schwer, das zu glauben, wenn man sich die üblen politischen Äußerungen des 71-Jährigen betrachtet, die sich keineswegs nur in seinem Buch, sondern auch auf seiner öffentlich zugänglichen Website finden.

Dort sind nicht nur die eingangs zitierten Aussagen über die „Fäkal-Kreaturen“, „Tröglinge der politischen Systeme“ und „Volksverräter“ zu lesen – die innerhalb der AfD allerdings normalerweise keinen Anstoß erregen, sondern vielmehr auf Zustimmung treffen –, sondern beispielsweise auch Texte wie jener, in dem es heißt, die AfD habe „für einen Judenbeauftragten gestimmt, der aber auch nur unsere Steuergelder sinnlos verfrisst“. Gemeint ist der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

Weiter schreibt Eikemeier, die „Gütekriterien Israels“ seien „korrumpierte Präsidenten, Rassismus, Ghettos, Völkermord, Land- und Wasserraub, Frauenfeindlichkeit, religiöse Wahnvorstellungen etc.“. Die „Region Hannover“ wiederum sei „verseucht, wie die übrige Republik, durch Freimaurer und deren internationalen Abkömmlinge“, die „unser Volk ausbeuten“ und in „geheimen Sitzungen“ ihre „Volksverarschungen“ besprächen.

Vielleicht zieht die Staatsanwaltschaft ja doch noch in Erwägung, den Urheber dieser stramm antisemitischen Tiraden nicht einfach davonkommen zu lassen, wo sein Buch nun offenbar doch eine gewisse Verbreitung gefunden hat. Und vielleicht möchte so mancher Hannoveraner seine Zipperlein künftig lieber woanders kurieren lassen als bei jemandem, der für alle Übel dieser Welt die Juden verantwortlich macht, ihnen den Tod wünscht und auch ansonsten nationalsozialistischen Allmachtsfantasien frönt.

Bei seinen vielen Talenten braucht Klaus Eikemeier ja gewiss nicht zu befürchten, sich irgendwann vom verhassten „Vasallensystem“ alimentieren lassen zu müssen.

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