Latest News

Von Protest zu Hass: Dem Antisemitismus ins Gesicht schauen

Schaut dem Antisemitismus ins Gesicht: Karoline Preisler am Rande einer antiisraleischen Demonstration
Schaut dem Antisemitismus ins Gesicht: Karoline Preisler am Rande einer antiisraleischen Demonstration (© Imago Images / Carsten Thesing)

Ein Berliner Verein zeigt in eindrücklichen Bildern, wie Antisemitismus die Demonstrationen auf deutschen Straßen immer wieder dominiert. Ein Bericht über die Premiere seiner neuesten Dokumentation.

Geneviève Hesse

Zwei Streifenwagen der Polizei stehen vor der Tür, der Ort wird erst nach Anmeldung bekannt gegeben, der Zutritt ist nur mit Pass möglich. Mit freundlichen, aber ernsten Gesichtern steht das gesamte Team des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) am Eingang eines Berliner Kinos.

Anlass ist die Premiere seiner neuesten Dokumentation mit dem Titel Von Protest zu Hass – antisemitische Karikaturen, Parolen und die Glorifizierung von Terror. Der dreißigminütige Kurzfilm zeigt antisemitische Plakate, Sprüche und Chöre auf Berliner Palästina-Demonstrationen. Zur Einordnung der schockierenden Bilder kommen Interviews mit Fachleuten wie der Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel und dem Journalisten Sebastian Leber hinzu. Ihre Erklärungen machen die Dokumentation zu einem hilfreichen Werkzeug im Kampf gegen Antisemitismus.

Gewöhnungseffekt

Auch die FDP-Politikerin Karoline Preisler kommt in der Dokumentation häufig zu Wort. Sie steht am Rand vieler Demonstrationen zum Nahost-Konflikt und hält dort Plakate mit Slogans wie »Rape is not resistance« oder »Believe Israeli Women« hoch. Zum Schutz vor Anfeindungen wird sie dabei meist von mehreren Polizisten begleitet. In der anschließenden Podiumsdiskussion zur Premiere des Films berichtet sie von ihren Beobachtungen vor Ort.

In seiner Einführung sagt JFDA-Geschäftsführer Levi Salomon: »Unter den Hunderten von Demonstrationen seit dem 7. Oktober 2023 war keine pro-palästinensisch. Sie waren alle israelfeindlich und zum größten Teil antisemitisch.« Für das Filmteam sei es sehr belastend gewesen, sich stundenlang »jedes Muskelzucken in Gesichtern mit purem Hass anzusehen«. Sie tun es, um gegen Antisemitismus zu sensibilisieren – und weil sie »in einem wunderschönen, demokratischen Deutschland weiterleben möchten«.

Die Karikaturen auf den Demonstrationsplakaten bedienen uralte antisemitische Klischees. Immer wieder sind Juden mit großen Nasen zu sehen, die nach Kinderblut lechzen. Teilnehmende inszenieren ein kleines Theaterstück, in denen Juden als Medienmanipulatoren dargestellt werden: Da baden schon einmal Netanjahu und Scholz Seite an Seite in Tonnen voller Blut.

Im Vergleich dazu wirken Transparente mit der Aufschrift »One genocide does not justify another« fast harmlos, obwohl auch sie die Shoa relativieren und somit antisemitisch sind. In skandierten Chören werden »Hamas« und »Sinwar«, der getötete Anführer der Terrororganisation, im ekstatischen Rhythmus gefeiert. Vor der Kamera bezeichnen Teilnehmende die Hamas offen und begeistert als »Befreiungsorganisation«. Aufrufe zu einer neuen Terrorwelle der Intifada oder zum Töten israelischer Soldaten werden gesungen.

Karoline Preisler konstatiert einen »Gewöhnungseffekt« gegenüber Gewalt und Antisemitismus. Die im Film gezeigten Bilder seien zwar »schon eine Weile her«, aber die Lage habe sich nicht verbessert: »Es gibt eine viel höhere Akzeptanz für Gewalt. Die Pressefeindlichkeit und die Gewalt gegen Polizisten, die die Versammlungsfreiheit schützen, eskalieren. Auch verbale Attacken und körperliche Übergriffe nehmen zu. Es führt nicht mehr dazu, dass man sie anzeigt, erwähnt oder wenigstens eine Solidaritätsbekundung äußert, weil es einfach so viele sind.« Sie erlebe viele Menschen aus der Presse oder der Polizei, die »verletzt, gekränkt oder beleidigt aus dem Dienst nach Hause gehen«. »Unsere Gesellschaft ist roher geworden«, sagt sie. Ihr fehlten bis heute in Deutschland die Massen bei Solidaritätsdemonstrationen für Jüdinnen und Juden.

Bei den sogenannten pro-palästinensischen Demonstrationen habe Preisler in den letzten Monaten eine Radikalisierung festgestellt. »Die Zahl der Teilnehmenden schwindet und wird durch Eskalation kompensiert. Im Herbst und Winter 2023 waren noch junge, gut situierte Familien mit linksbürgerlicher Überzeugung dabei. Sie kamen mit teuren Kinderwägen und Täschchen, weil Israel-Hass auch schick sein kann. Heute bleiben sie weg, weil sie ihre Kinder nicht mehr in Gefahr bringen wollen.«

Bei der Demonstration »All Eyes on Gaza« mit Zehntausenden von Menschen Ende September in Berlin sei die Stimmung jedoch anders gewesen, so Preisler. Sie habe dort etliche Gespräche geführt und sei überzeugt, dass viele der Teilnehmenden nicht zu Gewalt greifen würden. »Es waren nicht die Schläger, sondern eine breitere Gesellschaftsschicht. Dennoch verwenden sie eine gewaltgeladene Sprache und teilen antisemitische Verschwörungserzählungen. Wer dorthin ging, wusste, dass es eine Bewegung ist, die auch antisemitische Narrative bedient.«

Unterschiedliche Auffassungen

»Nicht alle Teilnehmenden wussten, dass sie sich einem antisemitisch gefärbten Protest anschließen«, entgegnete die Antisemitismusforscherin Annica Peter, die ebenfalls an der Podiumsdiskussion teilnahm. Sie betonte, dass auch Menschen dabei gewesen seien, von denen sie wisse, dass sie »immer wieder lautstark Kritik an den sogenannten pro-palästinensischen Demonstrationen« äußern.

Ihrer Ansicht nach fehle es an Demonstrationen, die tatsächlich mit der Bevölkerung im Gazastreifen solidarisch seien. Sie verweist auf den palästinensischen Aktivisten Hamza Howidy, der sagt, die Hamas sei das eigentliche Problem – gegen sie müsse man auf die Straße gehen. Howidy mache deutlich, wie die Hamas ihre eigene Bevölkerung unterdrücke und misshandle, kritisiere zugleich aber auch Israels Vorgehen. Diese differenzierte Haltung mache ihn glaubwürdig.

Zum Thema Polizeirepression während antisemitischer Demonstrationen vertreten Preisler und Peter unterschiedliche Auffassungen. Peter vermutet, dass Polizeikräfte »eine andere Hemmung« hätten einzuschreiten, wenn es sich um »eine sehr migrantisch geprägte Demonstration« handle. Es gebe »nachweislich Rassismus in der Polizei«.

Preisler entgegnet, dass über die Hälfte der Bewerber um eine Ausbildung bei der Berliner Polizei selbst eine Migrationsgeschichte habe, was Einzelfälle von strukturellem Rassismus oder Sexismus jedoch nicht ausschließe. »Aus meiner Perspektive in den letzten zwei Jahren handelt die Polizei in Berlin sehr professionell. Das ist natürlich nicht die Perspektive derjenigen, die Gewalt erlebt haben. Aber ich habe den Eindruck, dass wir sehr sensible Kräfte bei der Polizei haben.«

Sie sei dafür, dass die Polizei einschreite, sobald antisemitische Parolen geäußert würden. Gleichzeitig sei ihr bewusst, dass Menschen mit Erfahrungen von Rassismus solche Situationen ganz anders wahrnehmen könnten.

»Es ist außerdem bereits zu spät – ein Systemfehler –, wenn die Polizei einschreiten muss. Ich wünsche mir, dass alle ihre Meinung auf der Straße äußern können, ohne Gesetze zu verletzen und ohne anderen Menschen Angst zu machen. Heute geht es darum, dass sehr viele jüdische Menschen und auch Menschen, die sensibel gegenüber Antisemitismus sind, sich nicht mehr sicher fühlen. Wir sprechen hier von einer Minderheit, die in Berlin derzeit großen Gefahren ausgesetzt ist. Und das ist übrigens genau der Grund, warum es einen Staat Israel braucht.« Antisemitismus gefährde das gesamte gesellschaftliche Miteinander, so Preisler.

Mehrere Berliner Organisationen, die gegen Antisemitismus arbeiten, sind aktuell von Kürzungen bedroht. »Jeder Euro, der gespart wird, wenn es um Bildung oder Ermutigung geht, Antisemitismus zu erkennen, muss später doppelt und dreifach aufgewendet werden, um die Schäden zu beheben«, betont Preisler. »Repression kostet weniger als Investitionen in Bildung«, ergänzt Peter. Repression verschärfe jedoch die Probleme und verdränge sie aus dem Blickfeld, statt sie aufzuarbeiten. Es sei dramatisch, wenn gerade jetzt Gelder gekürzt werden. Es gebe viele Lehrkräfte, die nicht klar erklären könnten, was Antisemitismus überhaupt sei.

Vor allem die Vermittlung von Medienkompetenz im Umgang mit Sozialmedien sei essenziell, um zu verstehen und weiterzugeben, wie Antisemitismus funktioniere. Dabei dürften nicht nur Schulen in der Verantwortung stehen. Auch Jugendclubs oder Vereine seien wichtige Akteure – gerade in einer Zeit, in der viele Jugendliche ihre ersten politischen Erfahrungen auf antisemitisch gefärbten Demonstrationen sammeln.

Von Protest zu Hass: Dem Antisemitismus ins Gesicht schauen

Die Dokumentation Von Protest zu Hass ist in Kürze auf www.jfda.de zu sehen.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir reden Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!