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Das zynische Spiel der Hamas mit den Geiseln

Gedenkveranstaltung für die sechs Ende August von der Hamas ermordeten israelischen Geiseln
Gedenkveranstaltung für die sechs Ende August von der Hamas ermordeten israelischen Geiseln (© Imago Images / ZUMA Press Wire)

Israels Regierung ist hinsichtlich der Geiseln und der Hamas-Strategie in einer nahezu aussichtslosen Catch-22-Situation.

Die Stimmung in Israel schwankt zwischen herzzerreißend und entschlossen. Die Exekution von sechs Geiseln durch die Hamas in einem Tunnel im Süden des Gazastreifens unterstrich noch einmal die Dringlichkeit der Befreiung der verbliebenen 101 Geiseln. Wie viele von ihnen noch am Leben sind, vermag in Israel niemand zu sagen, aber Einschätzungen israelischer Geheimdienste verheißen nichts Gutes.

In den letzten Wochen wurde jedenfalls wieder verstärkt für die Freilassung der Geiseln demonstriert. Zehntausende, manchmal Hunderttausende gingen auf die Straße, um mit der Forderung »Bring them home now« Druck auf eine israelische Regierung auszuüben, die aus Sicht der Demonstranten zu wenig für die Befreiung der Geiseln unternimmt oder einen Deal mit der Hamas sogar zu verhindern versucht.

Wie die Demonstranten in Israel machen auch hiesige Medien zunehmend Regierungschef Benjamin Netanjahu dafür verantwortlich, dass seit dem vergangenen November kein zweites Geiselabkommen mit der Hamas zustande gekommen ist. Liest man die einschlägigen Berichte, muss man den Eindruck gewinnen, die Terrorgruppe wäre jederzeit zu einem Deal bereit, ginge der israelische Premier nur von seinen völlig »überzogenen« Forderungen ab.

Hamas-Strategie

Doch anders als vielfach in den Medien behauptet, scheitern die Geiselverhandlungen seit Monaten nicht etwa an Israel, sondern daran, dass die Hamas-Führung gegenwärtig keinerlei Interesse an einem Deal hat, der wirklich zu einer Befreiung – aller – Geiseln führen würde.

Die Geiseln sind die einzige Trumpfkarte, die der Hamas im Gazastreifen noch verblieben ist. Hamas-Chef Yahya Sinwar soll sich selbst mit rund zwanzig Geiseln umgeben, die er als lebenden Schutzschild für sich selbst missbraucht. Und, glaubt man Medienberichten, hat diese Taktik den gewünschten Effekt: Mehrfach soll Israel bereits die Möglichkeit gehabt haben, Sinwar auszuschalten, die Operationen aber aus Rücksicht auf das Leben der Geiseln nicht durchgeführt haben.

Und das Kalkül des Hamas-Chefs geht auch in anderer Hinsicht auf: Sinwar baut darauf, dass der internationale Druck auf Israel umso größer wird, je länger der Krieg im Gazastreifen andauert. Palästinensische zivile Opfer kommen ihm dabei sehr gelegen, weswegen die Hamas auch die entsprechenden Statistiken fälscht, um den Eindruck zu erwecken, Israel würde in Wahrheit nicht gegen die Hamas kämpfen, sondern Krieg gegen alle Palästinenser führen. Sieht man sich die Stellungnahmen der internationalen Gemeinschaft und den fast weltweiten Feldzug der Israelhasser an, muss man diese Strategie als vollen Erfolg bezeichnen.

Weiters bemüht sich die Hamas, die interne Spaltung Israels zu nutzen. So sehr man das Anliegen der Demonstrationen in Israel auch teilt, der Druck auf die Regierung spielt der Hamas in die Hände. Deshalb versucht sie auch, ihn mittels psychologischer Kriegsführung noch weiter zu erhöhen: Die Geiseln werden vor ihrer Ermordung durch Hamas-Schergen gezwungen, Videos aufzunehmen, die nach ihrem Tod veröffentlicht werden. Mit dem unsäglichen Leid, das damit den Familien der Ermordeten angetan wird, soll die Regierung gezwungen werden, einem Deal zuzustimmen, welcher der Hamas das Überleben ermöglichen würde. Ein Wiedererstarken der Terrorgruppe und weitere tödliche Attacken auf Israel wären nur mehr eine Frage der Zeit.

Israelisches Dilemma

So tragisch es ist, Israel würde gemäß den derzeitigen Vorschlägen für ein Geiselabkommen in einer ersten Phase nur zwischen zwölf und zwanzig lebende Geiseln erhalten. So gut wie niemand glaubt daran, dass es zu der geplanten zweiten Phase, in der auch alle anderen freikommen würden, jemals kommen wird. Der verständliche Impuls, rasch wenigstens einige wenige Geiseln freizubekommen, würde für die übrigen eine Verlängerung ihrer Tortur mit nicht absehbarem Ende bedeuten.

Israels Regierung ist hinsichtlich der Geiseln in einer nahezu aussichtslosen Catch-22-Situation. Es ist nach jüdischer Tradition eine moralische Verpflichtung, die Geiseln freizubekommen, die lebenden wie die toten, und dieser Verantwortung kann die Regierung sich nicht entziehen. Macht sie zu diesem Zweck aber jene Zugeständnisse, welche die Hamas verlangt, sichert sie der Terrorgruppe das Überleben und verstößt damit massiv gegen ihr eigenes übergeordnetes strategisches Interesse.

Die einfache Wahrheit, die man in unseren Medien kaum zu lesen bekommt, lautet: Mit einer Terrorgruppe, deren erklärtes Ziel die Vernichtung Israels und die Ermordung von so vielen Juden als möglich ist, kann es keinen politischen Kompromiss geben. Worin sollte dieser auch bestehen? Den auch in Israel lange gehegten Wunschglauben, sich auf die eigene technische und sonstige Überlegenheit verlassen und irgendwie neben der Hamas leben zu können, hat diese mit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 jedenfalls zerschlagen.

Der Krieg gegen die Hamas ist darüber hinaus nur eine Front von mehreren eines Kriegs, der Israel von der iranischen Achse seit gut einem Jahr aufgezwungen wird. Speziell die Situation im Norden des Landes, aus dem Zigtausende wegen der dauernden Angriffe der Hisbollah evakuiert werden mussten, ist unhaltbar. Einfache Lösungen gibt es an keiner der zahlreichen Fronten – auch wenn viele einen anderen Eindruck erwecken wollen.

Dies ist ein Auszug aus unserem Newsletter vom 11. September. Wenn Sie den nächsten Newsletter erhalten möchten, melden Sie sich an!

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