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Das vergessene Imperium: Warum arabischer Imperialismus der Kritik entgeht

Das arabische Imperium zur Zeit der Umayyaden-Dynastie im Jahr 748 n. Chr.
Das arabische Imperium zur Zeit der Umayyaden-Dynastie im Jahr 748 n. Chr. (© Imago Images / Heritage Images)

Der arabische Imperialismus beschränkte sich nicht auf die Ausbeutung fremder Ressourcen, sondern änderte Sprachen, prägte religiöse Praktiken und definierte eine neue Zugehörigkeit.

Jan Kapusnak

Wenn wir über Imperien sprechen, richtet sich die moderne Vorstellungskraft fast reflexartig auf Europa, etwa auf die spanischen Konquistadoren, welche die Azteken- und Inka-Reiche unterwarfen, auf Großbritannien, das Indien unter seine imperiale Herrschaft brachte, auf die französische Expansion in Algerien und Westafrika, die Niederländer in Indonesien oder auf den belgischen Kongo. Diese Namen gelten als mit kolonialer Dominanz, die in der westlichen Kultur zu Symbolen von Schuld, Buße und moralischer Abrechnung geworden sind. Der europäische Imperialismus wird in Klassenzimmern analysiert, in politischen Debatten verurteilt, in Romanen und Filmen dramatisiert und als prägendes Trauma der Moderne erinnert und perpetuiert.

Und doch wird eines der umfassendsten und transformativsten Imperien der Weltgeschichte selten beim Namen genannt: Die zweiundzwanzig Staaten, die wir beiläufig als »arabische Welt« zusammenfassen, vom Atlantik bis zum Persischem Golf reichen und von fast einer halben Milliarde Menschen bevölkert werden, werden so behandelt, als sei ihre Existenz natürlich.

Kaum jemand fragt, wie es dazu kam, dass das Amazigh sprechende Nordafrika, das Koptisch sprechende Ägypten, das Aramäisch sprechende Syrien und die vielfältigen Stammesgesellschaften Mesopotamiens heute als arabische Nationen erscheinen. Diese Transformation wird meist als unvermeidlicher Verlauf der Geschichte dargestellt, doch in Wahrheit war sie das Ergebnis eines der kühnsten kolonialen Unternehmen, das die Welt je gesehen hat: der arabisch-islamischen Eroberungen, die im siebten Jahrhundert begannen.

Identität neu geformt

Im Gegensatz zu den europäischen Herrschaften beschränkte sich der arabische Imperialismus nicht darauf, fremde Gouverneure einzusetzen oder Ressourcen abzuschöpfen. Er ordnete die Grundlagen von Identität neu. Er veränderte Sprachen, prägte religiöse Praktiken um und definierte politische Zugehörigkeit neu.

Arabisch, einst auf die Oasen der Arabischen Halbinsel beschränkt, wurde zur Verwaltungssprache, zur Sprache des Rechts und der Kultur über Kontinente hinweg. Der Islam, die Religion einer kleinen arabischen Gemeinschaft, entwickelte sich zum ordnenden Prinzip eines Reichs, das sich von den Pyrenäen bis zum Indus erstreckte. Über Jahrhunderte wurden Völker, die sich einst als Ägypter, Syrer oder Mesopotamier verstanden, zu Arabern klassifiziert – und verinnerlichten oft diese Identität.

Dies war Imperialismus in seiner tiefsten Form. Doch in der zeitgenössischen Diskussion wird er als zivilisatorische Blüte romantisiert oder ganz ignoriert. Arabischen Imperialismus mit derselben Offenheit anzuerkennen, mit der wir den Imperialismus Europas analysieren, würde die beruhigenden Dichotomien postkolonialer Denkweisen stören: der Westen als ewiger Unterdrücker, der Nicht-Westen als ewiges Opfer. Doch Geschichte lässt sich nicht vereinfachen. Das arabische Reich war ebenso imperial wie das britische oder französische.

Die arabischen Eroberungen waren sowohl in ihrem Ausmaß als auch in ihrer Geschwindigkeit erstaunlich. Innerhalb eines Jahrhunderts nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 n. Chr. hatten Armeen unter dem Banner des Islams die byzantinische Ordnung in Syrien, Palästina und Ägypten zerschlagen, das sassanidische Reich in Persien ausgelöscht, Nordafrika überrannt und Spanien erreicht. Bis 750 n. Chr. herrschten die Umayyaden und dann die Abbasiden über ein Reich von etwa dreizehn Millionen Quadratkilometern mit rund fünfzig Millionen Menschen – größer als das Römische Reich auf seinem Höhepunkt, und dies in einem Bruchteil der Zeit.

Die Wendepunkte kamen mit verblüffender Geschwindigkeit. 636 n. Chr. erlitten die Byzantiner in der Schlacht von Yarmuk eine katastrophale Niederlage und verloren Syrien und Palästina. 638 n. Chr. wurde Jerusalem den Truppen des Kalifen Umar übergeben. Bis 642 n. Chr. fiel Ägypten nach der Belagerung von Alexandria, seine byzantinischen Garnisonen wurden besiegt und die Bevölkerung in das Steuersystem des neuen Reichs eingebunden. 651 n. Chr. wurde die sassanidische Hauptstadt Ktesiphon erobert, was die Jahrhunderte währende persische Dominanz beendete. 711 n. Chr. überschritten arabische Truppen unter Tariq Ibn Ziyad die Meerenge von Gibraltar, besiegten das westgotische Spanien bei Guadalete und begründeten eine achthundertjährige muslimische Präsenz auf der Iberischen Halbinsel.

Dar al-Islam vs. Dar al-Harb

Historiker betonen oft die Erschöpfung von Byzanz und Persien nach Jahrzehnten gegenseitiger Kriege, die Beweglichkeit der arabischen Kavallerie und den Eifer der Armeen, die von religiösem Auftrag motiviert waren. Doch die Ideologie darf nicht übersehen werden. Der Islam wurde in Kampf und Eroberung geboren, und seine politische Theologie trug eine dauerhafte imperiale Logik in sich. Mohammed selbst war nicht nur Prophet, sondern auch Staatsmann und Kommandeur, führte Armeen in die Schlacht und schloss Verträge mit Stämmen und Staaten. Seine Nachfolger, die Kalifen, erbten nicht nur religiöse Autorität, sondern auch politische Souveränität – und damit das Mandat, Gottes Herrschaft auszudehnen.

Hier war die konzeptionelle Trennung zwischen Dar al-Islam (Haus des Islams) und Dar al-Harb (Haus des Krieges) entscheidend. Bereits die frühesten Gelehrten konzipierten die Welt in binären Kategorien: Gebiete unter islamischer Herrschaft und Schutz und Gebiete, die noch der Eroberung unterlagen. Krieg gegen Letztere war nicht nur erlaubt, sondern Pflicht, bis sie durch Konversion, Kapitulation oder Niederlage unterworfen waren. Frieden mit nichtmuslimischen Staaten war nur als vorübergehender Waffenstillstand zulässig. Dieses System institutionalisiert Expansion als religiöse Norm und gab dem arabischen Imperialismus eine einzigartige ideologische Infrastruktur.

Militärischer Sieg war jedoch nur der Anfang. Damit ein Reich Bestand hatte, musste die Eroberung in Verwaltung überführt werden. Hier zeigten die Araber sowohl Pragmatismus als auch Einfallsreichtum. Nichtmuslime in eroberten Gebieten erhielten den Status der Dhimmis – geschützte Völker. Sie durften ihren Glauben bewahren, ihre Kirchen und Synagogen erhalten und interne Angelegenheiten verwalten. Im Gegenzug zahlten sie die Dschizya, eine Kopfsteuer für erwachsene nichtmuslimische Männer, und akzeptierten rechtliche und soziale Einschränkungen. Dhimmis durften in vielen Regionen keine Waffen tragen, ihre Zeugenaussagen wurden oft vor Gericht abgewertet, und sie mussten symbolische Kennzeichen der Unterordnung tragen.

Dieses System schuf starke Anreize für Konversion. Ein Nichtmuslim, der zum Islam übertrat, entging der Dschizya, erlangte gleichberechtigten Status im islamischen Recht und eröffnete sich Wege sozialer Mobilität.

In den ersten Jahrhunderten wurden viele Konvertiten als Mawali, Klienten arabischer Stämme, eingestuft, doch mit der Zeit integrierten sie sich in die breitere muslimische Gesellschaft. Das Ergebnis war in den meisten Fällen keine gewaltsame Massenkonversion, sondern eine langsame, stetige Assimilation, getrieben durch strukturelle Zwänge. Wirtschaftliche Entlastung, politische Chancen und das Prestige, zur herrschenden Gemeinschaft zu gehören, trugen gemeinsam dazu bei, den Widerstand zu untergraben.

Sprache als Machtmittel

Die Sprache spielte eine entscheidende Rolle. So erklärte der Kalif Abd al-Malik (685–705 n. Chr.) Arabisch zur offiziellen Verwaltungssprache. Münzen wurden in Arabisch geprägt, Dekrete erlassen und die Bürokratie transformiert. Diese Reform stellte sicher, dass ein Aufstieg im Staatsdienst die Beherrschung der Sprache der Eroberer erforderte. Mit der Zeit verschmolz diese sprachliche Hegemonie mit der Religion: Der Koran, als das wörtliche Wort Gottes verehrt, war auf Arabisch gehalten, und das Studium von Recht, Theologie und Philosophie wurde untrennbar mit Arabischkenntnissen verbunden.

Arabisch, einst die regionale Sprache der Arabischen Halbinsel, wurde zur Lingua franca eines riesigen und vielfältigen Reichs. Verbunden mit der heiligen Sprache des Korans, vermittelte es sowohl spirituelle Autorität als auch weltliche Vorteile.

Die Ergebnisse waren transformativ. In Ägypten wurde die koptische Sprache – der letzte Nachkomme des Altägyptischen – allmählich marginalisiert. Bis zum 9. Jahrhundert verschwand sie aus der Verwaltung; bis zum 13. Jahrhundert überlebte sie nur noch in der Liturgie. In Syrien und Mesopotamien zog sich Aramäisch, die Sprache Jesu und Lingua franca des Nahen Ostens über ein Jahrtausend, auf kleine Gemeinschaften zurück. In Nordafrika überlebten Amazigh-Sprachen nur in bergigen oder peripheren Regionen, unterdrückt durch staatliche Arabisierungskampagnen. Selbst Persien, wo die persische Sprache überlebte, übernahm große Mengen arabischen Wortschatzes, verwendete arabische Schriftzeichen, und das kulturelle Leben wurde stark durch arabisch-islamische Formen geprägt.

Was den arabischen Imperialismus von seinem europäischen Pendant unterscheidet, ist genau diese Tiefe der Assimilation. Die britische Herrschaft hinterließ Englisch in Indien, aber Hindi, Urdu, Bengali und Tamil blühten. Der französische Kolonialismus setzte seine Sprache in Algerien durch, aber Arabisch und Amazigh überlebten. Arabische Herrschaft hingegen machte ganze Bevölkerungen in ihrer Identität zu Arabern. Ägypter, die einst sich als Erben der Pharaonen betrachteten, kamen über Jahrhunderte dazu, sich als der arabischen Welt zugehörig zu sehen. Die Transformation war so gründlich, dass ihre imperialen Ursprünge vergessen wurden, oft zusammen mit dem vorislamischen Erbe.

Dieser Prozess steht in scharfem Kontrast zum europäischen Kolonialismus. Während Briten und Franzosen ihre Sprachen im Ausland verbreiteten, löschten sie die einheimischen Sprachen Indiens, Afrikas oder Südostasiens nicht vollständig aus. Hindi, Swahili, Vietnamesisch und unzählige andere Sprachen überlebten die Kolonialherrschaft und gediehen sogar währenddessen. Die Arabisierung hingegen war so umfassend, dass ganze Zivilisationen in der arabischen Identität verschwanden und ihr Gedächtnis nur durch einige Archäologen oder Kirchenhistoriker bewahrt wird.

Diese Transformation erfolgte oft subtil über Generationen hinweg und erzeugte eine kulturelle und historische Amnesie, die vorarabische Identitäten verschleiert.

Die menschlichen Kosten des arabischen Imperialismus waren enorm. Als arabische Armeen um 639 n. Chr. Ägypten eroberten, bildeten koptische Christen die Mehrheit. Während einige koptische Führer wie Patriarch Benjamin mit den Eroberern kooperierten (dank dessen Klöster im Wadi Natrun erhalten blieben), sahen sich viele Kopten schrecklicher Gewalt ausgesetzt.

Severus Ibn al-Muqaffa, ein koptischer Chronist, beschreibt die Eroberung als eine Zeit, in der die Araber »das Land verwüsteten«, Festungen niederbrannten, Provinzen plünderten und Mönche in ihren Klöstern massakrierten. Ganze Gemeinschaften von Kopten wurden entweder gezwungen, zum Islam zu konvertieren, oder unterlagen strengen Beschränkungen. Die daraus resultierende kulturelle Umwälzung dezimierte die koptische Bevölkerung, sodass bis zum 10. Jahrhundert die einst blühende koptische Gemeinschaft zu einer Minderheit geschrumpft war, deren Sprache, Kultur und Religion zunehmend marginalisiert wurden.

In Nordafrika erlebten die indigenen Amazigh-Gemeinschaften in Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen einen langwierigen Prozess der Arabisierung und Islamisierung. Ursprünglich Anhänger verschiedener polytheistischer Glaubensrichtungen, wurden die Kulturen und Identitäten der Amazigh allmählich marginalisiert, als arabische Normen und islamische Herrschaft sich über die Region ausbreiteten. Im Laufe der Zeit wurden viele Amazigh-Gemeinschaften in die arabischen Streitkräfte als Hilfstruppen integriert, während ihre Kulturen verdrängt wurden. Diese Transformation hat dazu geführt, dass die Amazigh-Völker bis heute darum kämpfen, ihre Identität und Sprache zu bewahren.

Arabischer Sklavenhandel

Ein besonders unbeachteter Aspekt des arabischen Imperialismus betrifft das massive Sklavensystem, das Wirtschaft und Gesellschaft des Reichs stützte. Während der atlantische Sklavenhandel zu Recht in der westlichen Geschichtsaufarbeitung zentral ist, bleibt der arabische Sklavenhandel – sowohl transsaharanisch als auch über den Indischen Ozean – weitgehend unbekannt. Vom 7. bis zum 19. Jahrhundert transportierten arabische und muslimische Händler Millionen Afrikaner, Perser und Zentralasiaten über enorme Distanzen.

Die Zahlen sind erschreckend. Historiker schätzen, dass zwischen zehn und achtzehn Millionen Afrikaner über zwölf Jahrhunderte hinweg in arabische und islamische Länder versklavt und verkauft wurden. Im Gegensatz zum transatlantischen Handel, der etwa 350 Jahre dauerte, erstreckte sich der arabische Sklavenhandel über mehr als ein Jahrtausend. Die Sterblichkeitsraten waren oft noch höher: Lange, beschwerliche Wüstenüberquerungen, brutale Kastrationspraktiken und harte Arbeitsbedingungen forderten zahllose Todesopfer. Eunuchen wurden besonders geschätzt, vor allem an den Höfen der Abbasiden und Osmanen, wobei die Kastration häufig unter primitivsten Bedingungen durchgeführt wurde und viele Betroffene dabei starben.

Die berüchtigte Zanj-Rebellion (869–883 n. Chr.) im Süden des Iraks verdeutlicht sowohl das Ausmaß als auch die Brutalität dieses Systems. Zehntausende Zanj (Bantu-Völker der Swahili-Küste) und andere ostafrikanische Sklaven, die zur Arbeit auf Zuckerplantagen und in die Salzsümpfe in der Nähe von Basra gebracht worden waren, erhoben sich im Aufstand. Ihre Erhebung dauerte fast fünfzehn Jahre, destabilisierte das Abbasiden-Kalifat und erforderte enorme militärische Ressourcen zu ihrer Niederschlagung. Die Zanj-Rebellion bleibt einer der größten und gewalttätigsten Sklavenaufstände der Weltgeschichte, findet jedoch nur selten Eingang in die allgemeinen Darstellungen von Imperien.

Auch beschränkte sich der Handel nicht auf Afrika. Slawische Völker aus Osteuropa, türkische Stämme aus Zentralasien und christliche Kaukasier, insbesondere Tscherkessen und Georgier, wurden gefangen genommen und in arabische und später osmanische Sklavensysteme eingegliedert. Viele wurden als militärische Elite, die Mamluken, ausgebildet, die später selbst Dynastien und Sultanate gründeten. Dieser paradoxe Weg von der Sklaverei zur Herrschaft verkompliziert die Narrative, zeigt aber auch, wie tief Sklaverei in den arabischen und islamischen imperialen Strukturen verankert war.

Im Vergleich zum atlantischen Sklavenhandel betont die westliche Darstellung Buße und Verantwortung. Denkmäler, Museen und öffentliche Entschuldigungen sind Teil eines fortlaufenden Prozesses der Aufarbeitung. Der arabische Sklavenhandel hingegen ist kaum memorialisiert. Wenige Denkmäler erinnern an die Millionen Opfer; Diskussionen bleiben marginal. Diese Ungleichheit spiegelt ein Muster selektiver Erinnerung wider: Europäische Sünden werden betont und vergrößert, arabische minimiert oder ignoriert.

Westliches Schweigen

Warum aber nimmt der arabische Imperialismus in der westlichen historischen Wahrnehmung nicht denselben Raum ein wie der europäische? Die Antwort liegt teilweise in der Schuldpolitik. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts haben westliche Gesellschaften einen intensiven Selbstkritikprozess durchlaufen. Die Brutalität des Kolonialismus in Afrika, Amerika und Asien erzeugte eine moralische Abrechnung, die bis heute die politische Kultur prägt. An Universitäten entstanden postkoloniale Studien als Disziplin, die sich auf europäische Dominanz konzentrierte. Vordenker wie Frantz Fanon und Edward Said trugen dazu bei, die Idee zu verfestigen, dass Imperialismus eine spezifisch westliche Pathologie sei – ein Produkt von Kapitalismus und Rassismus.

Doch dieses Narrativ ließ oft keinen Raum für den Imperialismus anderer. Arabische und islamische Eroberungen wurden als »Expansion« oder »zivilisatorische Blüte« umgedeutet. Der Fokus lag auf der Weitergabe griechischen Wissens, den Leistungen der islamischen Wissenschaft oder der Toleranz multireligiöser Gesellschaften – alles real, und doch unter Ausblendung der zugrunde liegenden Strukturen von Eroberung und Herrschaft. Die Vorstellung, arabische Herrschaft sei eine Art höherer, spiritueller Ordnung, verschleierte geschickt die begleitende Gewalt und Ausbeutung.

Zudem verstärkten politische Realitäten dieses selektive Gedächtnis: Während des Kalten Kriegs suchten westliche Regierungen oft Allianzen mit arabischen Staaten, wobei unbequeme Geschichte zugunsten strategischer Partnerschaften heruntergespielt wurde. Später förderte die Politik des Multikulturalismus die Zurückhaltung, nichtwestliche Zivilisationen zu kritisieren, aus Angst, rassistisch oder islamophob zu wirken. Das Ergebnis war ein einseitiges Narrativ: Europäischer Kolonialismus wird endlos hinterfragt, arabischer Imperialismus als natürlich, unvermeidlich oder harmlos dargestellt.

Westliche Gelehrte und Aktivisten, die sich der Buße für Europas koloniale Vergangenheit widmeten, rahmten Kolonialismus oft als ausschließlich europäisch ein, während arabischer Imperialismus als »Goldenes Zeitalter des Islams« gefeiert wurde. Die Gewalt der arabischen Eroberungen, die erzwungenen Konversionen und die kulturelle Unterdrückung wurden übersehen. Figuren wie Avicenna, Averroes und al-Chwarizmi wurden für ihre bahnbrechenden Beiträge zu Wissenschaft, Medizin, Philosophie und Mathematik gefeiert, doch dies geschah oft, ohne die Gewalt und Diskriminierung gegenüber Nichtmuslimen zu thematisieren.

Die Assoziation von Arabisch mit islamischer Identität führte zudem zur Normalisierung der Arabisierung. In Regionen, in denen der Islam dominiert, wird die Verwendung von Arabisch oft als natürliche Fortentwicklung kultureller und religiöser Identität gesehen, nicht als Folge historischer imperialer Expansion. Dies vermindert die Anerkennung des arabischen Imperialismus als bedeutende historische Kraft.

Moderne Folgen

Die Verfolgung von Minderheiten im modernen Nahen Osten setzt die während der arabischen Eroberungen etablierte imperiale Denkweise fort. In Ländern wie Ägypten, Syrien und Irak sind nicht-arabische und nicht-muslimische Minderheiten weiterhin systematischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Die Kurden mit ihrer tausendjährigen Präsenz in der Region kämpfen noch immer um Anerkennung und Autonomie, werden aber von türkischen und arabisch dominierten Regierungen als Bürger zweiter Klasse behandelt, die ihre Identität als Bedrohung für die nationale Einheit ansehen.

Die anhaltende Verfolgung der Kopten in Ägypten, die Unterdrückung der Kurden in Syrien und im Irak, die fast vollständige Auslöschung der assyrischen Christen und der Völkermord an den Jesiden durch den Islamischen Staat (IS) spiegeln die imperiale Mentalität der Eroberung wider. Gruppen wie die Hamas, der IS und die Taliban berufen sich weiterhin auf die Trennung von Dar al-Islam und Dar al-Harb, um endlose Konflikte und Terrorismus unter religiösem Vorwand zu rechtfertigen.

Dieses Erbe von Dar al-Islam besteht bis heute. Arabischer Nationalismus und islamistische Bewegungen behaupten weiterhin, der Nahe Osten »gehöre« den Arabern und fordern die Unterwerfung von Minderheiten. Es ist, als beginne die Geschichte der Region im siebten Jahrhundert mit dem Aufstieg des Islams, der alles zuvor Vorhandene auslöschte: Juden, Perser und Assyrer, Nationen, die über Jahrhunderte blühten, wurden von der Expansion arabischer Herrschaft verschlungen und ihre Kulturen marginalisiert.

Arabischen Imperialismus zu kritisieren, birgt heute das Risiko, der »Islamophobie« beschuldigt zu werden. Im Gegensatz dazu werden Kritik und Verurteilung des westlichen Kolonialismus gefördert – sie passt bequem in progressive, antirassistische Denkmuster der westlichen Academia. Diese Asymmetrie erzeugt ein verzerrtes historisches Bewusstsein. Die Levante und Nordafrika werden als »natürlich arabisch« betrachtet, als sei diese Identität einheimisch. Dies waren jedoch keine »arabischen Länder«, sie wurden durch Eroberung und kulturelle Unterdrückung arabisiert.

Gleichzeitig positionierte sich der arabische Nationalismus – insbesondere im 20. Jahrhundert mit Figuren wie Gamal Abdel Nasser – als Bewegung der Dekolonisierung mit dem Ziel, die arabische Welt vom Einfluss europäischer Mächte zu befreien. Doch der arabische Nationalismus selbst wurzelte im Erbe des früheren arabischen Imperialismus. Die moderne arabische Identität, wie sie von Nationalisten konstruiert wurde, tilgt oft die vielfältigen Kulturen und Ethnien, die vor den arabischen Eroberungen existierten.

Absurderweise wird Israel routinemäßig »Kolonialismus« vorgeworfen – eine groteske Verdrehung der Realität. Zionismus ist kein Kolonialismus; es ist eine der erfolgreichsten antikolonialen Bewegungen der Geschichte: Die Rückkehr eines Volks in seine angestammte Heimat nach Jahrhunderten fremder Herrschaft. Jüdische Selbstbestimmung als »Kolonialismus« zu bezeichnen und gleichzeitig die arabischen Eroberungen zu ignorieren, welche die Region arabisierten und islamisierten, ist nicht nur intellektuell unehrlich, sondern eine Form historischer Auslöschung, gerichtet gegen die einzige Nation im Nahen Osten, die sich erfolgreich zu einer Demokratie dekolonisiert hat.

Unter den zahlreichen Minderheitengruppen im Nahen Osten stellen die Juden Israels eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte dar. Nach Jahrhunderten von Exil und Verfolgung bot die Gründung Israels 1948 einen Schutzraum für Juden, die in arabischen Ländern lange marginalisiert waren. Im Gegensatz zu anderen Minderheiten gedieh die jüdische Gemeinschaft in Israel, belebte das Hebräische wieder, stellte jüdische Praktiken wieder her und baute eine florierende Demokratie auf. Dies steht in starkem Kontrast zu anderen Minderheiten im Nahen Osten, die vertrieben, entrechtet oder in die arabisch-islamische Mehrheit assimiliert wurden.

Gescheiterter Panarabismus

Das 20. und 21. Jahrhundert offenbaren die Fragilität der vermeintlichen Einheit der arabischen Welt. Der Panarabismus, vertreten von Politikern wie Gamal Abdel Nasser in Ägypten, strebte danach, diverse arabische Staaten zu einer einzigen politischen Kraft zu vereinen. Doch das Projekt scheiterte wiederholt. Rivalitäten zwischen Monarchien und Republiken, Säkularisten und Islamisten, wohlhabenden Ölstaaten und ärmeren Nachbarn, zerschlugen den Traum der Solidarität.

Der 2011 ausbrechende syrische Bürgerkrieg und die darauffolgende Flüchtlingskrise offenbarten diese Widersprüche brutal. Millionen Syrer flohen aus ihren Heimatländern in die Nachbarstaaten. Jordanien und Libanon, beide mit begrenzten Ressourcen kämpfend, nahmen große Populationen auf. Die Türkei, obwohl kein arabischer Staat, nahm über 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge auf. Im Gegensatz dazu akzeptierten die reichen Golfmonarchien – Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Kuwait – nahezu keine Flüchtlinge.

Stattdessen finanzierten diese Staaten lieber Moscheen und religiöse Institutionen im Ausland, um Einfluss zu nehmen, ohne humanitäre Lasten zu tragen. Die Diskrepanz zwischen Rhetorik und Realität ist auffällig. Jahrzehntelang war die Ideologie des arabischen Nationalismus und der islamischen Brüderlichkeit bemüht worden, westlichem Einfluss zu widerstehen und ein vereintes Auftreten zu zeigen. Doch angesichts einer tatsächlichen humanitären Krise siegte Eigeninteresse über Solidarität.

Diese Weigerung untergrub nicht nur die Erzählung von Einheit, sondern offenbarte auch tiefe Hierarchien innerhalb der arabischen Welt. So, wie die Arabisierung einst die Unterwerfung von Amazigh, Kopten und anderen Völkern verschleierte, verdecken die modernen Diskurse die Ungleichheiten zwischen ölreichen Eliten und verarmten Massen. Die arabische Welt, theoretisch vereint, bleibt praktisch gespalten.

Religion als Motor der Expansion

Religiöse Ideologie war eine zentrale Rechtfertigung für arabische und islamische Expansion. Der Expansionsimpuls war von Mohammed bis zu den Rashidun- und Umayyaden-Kalifaten, den Osmanen und modernen islamistischen Bewegungen ein intrinsischer Bestandteil des politischen Denkens. Religion bot sowohl Legitimität als auch Motivation, verband spirituelle Pflicht mit politischem Ehrgeiz und erklärt die Persistenz expansionistischer Impulse über Jahrhunderte.

Der arabische Imperialismus strebte nach Territorium, Ressourcen und Prestige, aber seine ideologische Rechtfertigung über den Weg der Religion bleibt ein prägendes Merkmal in historischen und modernen Narrativen.

Das Fehlen kritischer Aufmerksamkeit für arabischen Imperialismus hat Konsequenzen für das gegenwärtige Verständnis. Wenn Historiker und Entscheidungsträger sich fast ausschließlich auf europäischen Imperialismus konzentrieren, unterschätzen sie möglicherweise die langfristigen Auswirkungen arabischer Expansion auf lokale Kulturen, Sprachen und Gesellschaften.

Ein umfassendes Verständnis von Imperialismus muss alle Imperien einbeziehen, nicht nur die westlichen. Arabische Eroberungen formten weite Regionen um, veränderten Sprachen, Kulturen und politische Systeme. Der arabische Sklavenhandel, die Arabisierung und religiös legitimierte Expansion hinterließen Vermächtnisse, die moderne Gesellschaften im Nahen Osten bis heute prägen.

Ein selektives historisches Gedächtnis kann sowohl unser Verständnis der Vergangenheit als auch unsere Reaktionen auf die Gegenwart verzerren. Arabischen Imperialismus neben europäischem Kolonialismus anzuerkennen, ist keine Frage moralischer Gleichsetzung, sondern historischer Genauigkeit und bietet eine nuanciertere, vollständige Perspektive auf die Kräfte, welche die moderne Welt geformt haben.

Westliches Schuldbewusstsein hat dieses Gleichgewicht verzerrt, eine Form des Imperialismus vergrößert und eine andere ausgelöscht. Das Ergebnis ist ein historisches Bewusstsein, das sowohl unvollständig als auch irreführend ist. Wenn eine echte Versöhnung mit der Geschichte möglich ist, erfordert sie die Anerkennung aller Imperien, aller Eroberungen und aller Opfer – und nicht nur derjenigen, die bequem in vorherrschende Narrative passen. Das vergessene Reich der Araber, verborgen in aller Öffentlichkeit, verdient nicht weniger als das.

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