Türkei: Wie sich Erdoǧan Einfluß in Deutschland kauft

Erdogan mit seinem Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak
Erdogan mit seinem Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak (© Imago Images / Itar-Tass)

Eine Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag ergab: Die Spuren des hinter dem „Europäischen Islamophobie-Bericht“ stehenden Thinktanks SETA führen direkt ins nahe private Umfeld des türkischen Präsidenten.

Die Fraktion der Partei DIE LINKE im Deutschen Bundestag stellte kürzlich eine Schriftliche Kleine Anfrage an die Bundesregierung bezüglich der 2005 in der Türkei als „Siyaset, Ekonomi ve Toplum Arastirmalari Vakfi“ („Stiftung für politische, wirtschaftliche und soziale Forschung, kurz: SETA) gegründeten Organisation mit Niederlassungen in Washington DC, Brüssel und Berlin (Mena Watch berichtete). Gefragt wurde u. a. nach den Kenntnissen der Bundesregierung hinsichtlich der Finanzierung der Stiftung, nach etwaigen Verbindungen zu nationalistischen und fundamental-islamischen Vereinigungen in Deutschland sowie nach Kontakten von SETA zur Bundesregierung.

Die Antworten sind in vielerlei Hinsicht gleichermaßen aufschlussreich wie alarmierend: Demzufolge finanziert primär eine dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoǧan nahestehende einflussreiche Familie, die Familie Albayrak, die Stiftung. Außerdem gab es in der Vergangenheit Kontakte zwischen der türkischen SETA und der „Union Internationaler Demokraten“ (UID, ehemals UETD), quasi die Auslandsorganisation der türkischen Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung). Kontakte zur Bundesregierung können nicht ausgeschlossen werden.

Global Player mit lukrativem Briefkasten…

Erinnern Sie sich noch an die Panama-Papers? Dabei handelte es sich um etwa 2,6 Terabyte Daten, die einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung zugespielt und von einem internationalen Reporterteam ausgewertet wurden. Das Fazit: Die Materialien belegen legale Strategien der Steuervermeidung, aber auch Steuer- und Geldwäschedelikte, den Bruch von UN-Sanktionen sowie andere Straftaten durch Kunden der Firma Mossack Fonseca, einem globalen Rechtsdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Panama.

Eine spezielle Dienstleistung der Firma Mossack Fonseca war die Vermietung von Briefkästen, die ganze Firmen beherbergen und Gelder in Millionenhöhe sichern konnten wie ein von der Erde verschluckter Bunker. Nach Bekanntwerden dieser fragwürdigen Praktiken wurde die Firma geschlossen, weil sie großen ökonomischen Schaden genommen und ihr Ansehen gelitten habe, wie auf der Webseite zu lesen ist.

28 deutsche Banken arbeiteten mit Mossack Fonseca zusammen, darunter auch die Deutsche Bank. Für Österreich wurden die Raiffeisen Bankengruppe sowie die Hypo-Bank Vorarlberg genannt. Außer in Europa waren Staaten in Amerika und Asien betroffen.

… für den sich in der Türkei kaum jemand interessiert

In der Türkei spielten die Panama-Papers keine große Rolle, auch, weil regierungsnahe Medien wenig Interesse an dem Thema hatten, wenngleich auch Personen aus dem nahen Umfeld des Präsidenten darin auftauchen.

Ein im Zusammenhang mit SETA interessanter Name befand sich an einem der Briefkästen: Çalık Holding. Dabei handelt es sich um einen Privatkonzern, zu dem 34 Unternehmen gehören, die in den Sektoren Bau, Energie, Finanzen, Textilien, Logistik und Mediengewerbe tätig sind. Genau genommen war es der Name einer Tochterfirma im weit verzweigten Geflecht der Çalık-Holding, die vor 2003 gegründet wurde und ihren Sitz auf den Britischen Jungferninseln hatte. An dem Mutterkonzern Çalık Holding ist der inzwischen zurückgetretene Emir von Katar, Hamad bin Chalifa Al Thani, mittels eines seiner Unternehmen mit 25% beteiligt. Der ehemalige Präsident Abdullah Gül hatte den Emir mit Firmeninhaber Çalık bekannt gemacht.

Medienkonzentration zu Gunsten Erdoǧans

In die Kritik geriet die Holding u.a., als sie 2008 den Medienkonzern Sabah durch einen Kredit aus staatlichen Banken erwarb. Die Tageszeitung Sabah ist eine der auflagenstärksten der Türkei. Dem deutschen Publikum ist sie vor allem dadurch bekannt, dass 2013 zum Auftakt des Münchner NSU-Prozesses eine Kölner Medienkanzlei im Auftrag von Sabah eine Eilentscheidung erwirkte, derzufolge ausländische Journalisten angemessen bedacht werden mussten bei der Platzvergabe an die Medien für den Gerichtssaal. Angesichts der Sachlage ein berechtigtes Interesse, das auch andere Medien teilten.

Der Medienkonzern wurde als Turkumaz Medya Grubu in die Çalık Holding eingegliedert, deren CEO Berat Albayrak ab 2007 war, bis er in die Politik ging: zunächst als Abgeordneter der AKP, der dann im November 2015 zum Minister für Energie und Bodenschätze ernannt wurde. Sein Nachfolger als CEO der Turkumaz Medya Grubu wurde Serhat Albayrak, sein älterer Bruder. Der zum Energieminister aufgestiegen Berat ist der Schwiegersohn von Recep Tayyip Erdoǧan, der im Juni 2004 die älteste Erdoǧan-Tochter Esra heiratete. Es handelte sich dabei um eine arrangierte Ehe: Der Schwiegervater suchte sich seinen Schwiegersohn selbst aus. Dessen Vater, der Journalist, Schriftsteller und Politiker Sadık Albayrak ist ein alter Weggefährte Erdoǧans aus der von Necmettin Erbakan gegründeten Wohlfahrtspartei (Refah Partisi).

Vetternwirtschaft

Berat Albayrak arbeitete seit 1999 bei der Çalık Holding, ab 2002 wurde er der Finanzdirektor der Niederlassung in den USA. Zeitgleich absolvierte er ein Studium und wurde 2004 Leiter der Çalık Holding in den USA.

Auch Esra Erdoǧan studierte in den USA. 2014 wurde sie an der University of California in Berkeley in Soziologie promoviert. Ihre jüngere Schwester Sümeyye studierte ebenfalls in den USA und in London. Die Erdoǧans schickten ihre Töchter ins Ausland, da damals islamische Verschleierung an türkischen Hochschulen verboten war. Auch Sohn Bilal studierte im Ausland. Finanziert hat diesen Luxus ein reicher Geschäftsmann und Freund Erdoǧans.

Sümeyye wurde im Juni 2016 mit Selçuk Bayraktar, dem Sohn eines Rüstungsunternehmers, verheiratet. Zu den Gästen zählten auch Politiker aus anderen Islamischen Ländern, u.a. der pakistanische Regierungschef Nawaz Sharif.

Bei der Hochzeit von Erdoǧans Sohn Bilal mit Reyyan Uzuner im August 2003 ließ es sich der damalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi nicht nehmen, dem Paar persönlich zu gratulieren. Dabei machte er sich jedoch erst einmal unbeliebt, weil er sich anschickte, der Braut die Hand zu küssen. Ein absolutes No-Go in streng religiösen Kreisen. Reyyan Uzuner war zum Zeitpunkt der Hochzeit 16 Jahre alt. Da in der Türkei das offizielle Heiratsalter 18 Jahre beträgt, musste eine behördliche Erlaubnis eingeholt werden.

Esra und Bilal Erdoǧan sitzen beide im Verwaltungsrat der TÜRGEV-Stiftung, die Studentenwohnheime baut und betreibt – für rechtgeleitete, sprich streng religiöse Studenten, versteht sich. Außerdem soll sie den Bau der Imam-Hatip-Schulen, streng religiöse Einrichtungen, vorantreiben. Ein wesentlicher Baustein in Erdoǧans ehrgeizigem Plan, sein Sultanat in ein einen religiösen Staat zu verwandeln.

Die Stiftung scheint sehr effizient zu „arbeiten“, das Vermögen wird auf etwa 100 Mio. € geschätzt, die Frankfurter Rundschau(FR) schrieb, dabei handele es sich „angeblich“ um den „Haupt-Spendentopf der Familie“. Nicht nur die Familie Erdoǧan und ihr nahestehende Personen gerieten häufiger unter Korruptionsverdacht, auch die Stiftung ist in einen Korruptionsskandal im Zusammenhang mit dem Erwerb einer lukrativen Liegenschaft in Istanbul verwickelt, außerdem in eine Spendengeld-Affäre, bei der es um 99.999.999,- US-$ geht, etwa 72 Mio. €. Die Oppositionspartei CHP vermutete damals, das Geld, das im Zeitraum 2008 bis 2012 auf das Konto der Stiftung eingegangen war, stamme aus einem arabischen Land.

Geschäfte mit dem IS?

Bilal Erdoǧan geriet zudem unter Verdacht, dass seine Reederei BMZ Group mit Öl handele, das aus dem Nordirak stammt, vom IS billig in den Weltmarkt eingespeist wurde und dort für allerhand Verwerfungen sorgte: Berat Albayrak gründete die BMZ-Group 2013 mit Mustafa Erdoǧan, dem Bruder von Recep Tayyip, und mit dessen Schwager Ziya Ilgen, dem Ehemann von Erdogans Schwester Vesile. Der Name eines Schiffes – der des Öltanker Agdaş, Wert rund 25 Mio. €, das der BMZ Group gehören soll – taucht laut Der Standard ebenfalls im Zusammenhang mit den Panama- und den Malta-Papers auf. Wie das österreichische Blatt schreibt, profitiert die Firma der Familie von Recep Tayyip Erdoǧans zweiten Schwiegersohn Selçuk Bayraktar, die u. a. Drohnen baut, von den Eroberungsfeldzügen des türkischen Präsidenten in Syrien.

Einflussnahme in Deutschland

Das System Erdoǧan ist äußerst vielschichtig, verfügt über viel Geld, gute Kontakte, die noch mehr Geld bringen, das nicht nur Macht und Einfluss in der Türkei sichert, sondern auch im Ausland, etwa in Deutschland.

Alles in allem lässt sich sagen, der türkische Präsident umgibt sich mit religiösen und politischen Weggefährten – in den meisten Fällen beides –, reichen Geschäftsleuten, Politikern aus dem In- und Ausland sowie ihm genehmen oder nützlichen Staatsmännern. Ein wesentlicher Baustein in diesem System ist die Wahl der Schwiegerkinder, um Bande, z. B. zur Familie Albayrak, zu festigen. Die Hochzeiten sind zudem ein probates Mittel, die Grenzen zwischen internationalen diplomatischen und freundschaftlichen Beziehungen verschwimmen zu lassen.

In dieses System ist die gesamte Familie Erdoǧan eingebunden: Geschwister, Schwager und die Schwiegersöhne. Die Damen Erdoǧan halten sich dezent im Hintergrund, wirken im Stillen, nehmen repräsentative Aufgaben wahr und betätigen sich vordergründig karitativ.

Lukratives und einflussreiches Netzwerk

Alte Freundschaften werden durch Gefälligkeiten am Leben erhalten, z. B. wie Der Standard schreibt, durch Rüstungsaufträge an die Firma der Familie von Schwiegersohn Selçuk Bayraktar. Immer wieder fällt ein lukrativer Posten ab, der mit Personen aus diesem Netzwerk besetzt wird, bei größeren Investitionsvorhaben und mangelnder Liquidität werden schon mal staatliche Banken eingeschaltet, um diese realisieren zu können. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten; so wird das komplizierte und undurchsichtige Geflecht zusammengehalten, trotz aller Korruptionsvorwürfe.

Dieses System instrumentalisiert der türkische Präsident, um Einfluss auch im Ausland zu nehmen, auch – oder gerade – in Deutschland auf dort lebende türkisch-stämmige Menschen, aber auch auf den gesellschaftlichen Diskurs und politische Entscheidungen, z. B. mittels Mitarbeiter vor Ort mit besten Kontakten zur Regierungspartei.

Anfrage der Linken

Die Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung ergab, dass es Kontakte gab zwischen der SETA-Stiftung und der UETD, die quasi als AKP-Auslandsorganisation fungierte und in Deutschland u.a. den Wahlkampf für Recep Tayyip Erdoǧan, seine Auftritt sowie die anderer AKP-Politiker organisierte.  Kontakte der Bundesregierung können nicht ausgeschlossen werden, damit auch nicht, dass sich die Bundesregierung bei ihrer Türkei-Politik auch auf SETA-Expertise stützt.

„Bestand oder besteht ein Kontakt zwischen Vertretern der SETA-Stiftung und der Bundesregierung oder Bundesbehörden, falls ja, in welchem Rahmen?“ fragt die LINKEN-Politikerin Ulla Jelpke.

Die Bundesregierung antwortete:

„Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es am Rande von Veranstaltungen oder sonstigen Terminen zu Kontakten mit Vertreterinnen und Vertretern der SETA-Stiftung gekommen ist. (…) In das Lagebild der Bundesregierung fließen eine Vielzahl von Gesprächen, Berichten und Meinungsäußerungen unterschiedlicher Organisationen ein.“

So recht deutlich mochte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Frage Ulla Jelpkes nicht werden, aber klar verneinen konnte sie diese wohl auch nicht.

Wie die Deutsche Welle herausfand, arbeitete Zafer Meşe, der Leiter der Berliner Niederlassung der Stiftung, acht Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Schwerpunkt Außen- und Sicherheitspolitik. Warum sollte er seine alten Kontakte nicht nutzen?

Es ist mehr als befremdlich, dass eine Stiftung, von der die Bundesregierung wusste, dass sie vom ökonomisch und politischen Netzwerk um den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoǧan finanziert wird, hinter dem wiederum das katarische Herrscherhaus steht, eine Niederlassung in Berlin eröffnen konnte und – das legt zumindest die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage Ulla Jelpkes nahe – vermutlich selbst Kontakte zur Bundesregierung und zu den Behörden pflegt.

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