„Es hat mehr als zehn Jahre gedauert, bis Großbritannien endlich die gesamte Hisbollah als Terrorgruppe eingestuft hat. Bereits 2008 hat das Vereinigte Königreich deren sogenannten militärischen Flügel als terroristisch eingestuft, und jetzt hat Innenminister Sajid Javid erklärt, das GB ‚nicht mehr länger in der Lage ist, zwischen dem bereits verbotenen militärischen Flügel und der politischen Partei zu unterscheiden.‘
Diese Unterscheidung war freilich immer schon reine Fiktion. Wir sprechen hier nicht über Meinungsunterschiede, sondern über die von der Gruppierung selbst explizit zum Ausdruck gebrachte Haltung. Immer wieder hat die Hisbollah klar gemacht, dass sie über eine einheitliche Führung verfügt, die sich um alle Aktivitäten der Organisation kümmert. Genau das sagte, um nur ein Beispiel anzuführen, ganz offen der stellvertretende Generalsekretär der Hisbollah, Naim Qassem, in einem vielzitierten Interview 2009.
Es geht also nicht um die verfügbaren Beweise, sondern vielmehr um das bewusste Bemühen, diese Beweise zu ignorieren. Es war nicht so, dass die britische Regierung nicht genügend Informationen über die Hisbollah gehabt hätte, bevor sie diese schließlich doch in ihrer Gesamtheit zur Terrororganisation erklärte. Genauso wenig wie die Franzosen, die sich sofort weigerten, dem britischen Beispiel zu folgen. Oder die Deutschen. Warum also haben diese Leute beschlossen, sich der Realität zu verweigern und eine so erfundene Unterscheidung wie die zwischen den verschiedenen Flügel der Hisbollah in die Welt zu setzen, von denen einer gewalttätig und der andere gutartig sein soll?
Jahrelang wurden genau solche falschen Unterscheidungen in der Fachliteratur über die Hisbollah verbreitet. Das waren nicht bloß akademische Spielereien: Zu bestimmten kritischen Zeitpunkten sind Experten und Journalisten mit erfundenen Kategorien und Unterscheidungen hausieren gegangen und haben argumentiert, dass die Hisbollah sich von einer Terrorgruppe zu etwas anderem, differenzierteren fortentwickeln würde. Diese Vorstellung zielten absichtlich darauf ab, Geschichte und Charakter der Gruppe zu verschleiern, was nicht überraschend ist, wenn man sich vor Augen hält, dass manche Hisbollah-Experten wie der Akademiker Augustus Richard Norton oder der Journalist Hala Jaber durchaus Sympathien für Organisation hatten, während andere, wie der Akademiker Amal Saad-Ghorayed, regelrechte Unterstützer von ihr waren und ihre Animosität gegenüber Israel teilten (…)
Während die alte Geschichte darüber, dass in der Hisbollah eine wundersame Unterscheidung zwischen dem politischen und dem militärischen Flügel existiere, an Glaubwürdigkeit verliert, warten die politisch Korrekten in politischen Kreisen mit einer neuen angenehmen Fiktion auf: dass man die Gruppe, die den libanesischen Staat und dessen Institutionen dominiert, von dem politischen System unterscheiden könne, das von ihr bestimmt wird. Anders gesagt glauben die zeitgenössischen Schlaumeier, dass man erstere zur terroristischen Organisation erklären könne, während man weiterhin zweiteres unterstützt und ohne Unterbrechung mit ihm Geschäfte macht. (…)
Die beiden Fiktionen, dass man zwischen verschiedenen Flügel der Hisbollah sowie zwischen ihr und dem Libanon unterscheiden könne, sind nicht identisch, erfüllen aber denselben Zweck. Sie sollen ganz einfach vorgegebenen politischen Entscheidungen den Rücken freihalten und einen bequemen Weg darstellen, eine Realität zu umgehen, die wir nicht zur Kenntnis nehmen und mit der wir uns nicht auseinandersetzen wollen: dass nämlich der Libanon von einer terroristischen Gruppierung geführt wird, die dem Iran verbunden ist – und dass, wenn wir die von der Hisbollah dominierten ‚staatlichen Institutionen‘ unterstützen, wir den Staat der Hisbollah fördern.“ (Tony Badran: „Hezbollah’s Deadly Lies“)