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Cotler-Wunsh: Wie Antisemitismus wieder salonfähig wurde

Michael Cotler-Wunsh zu Gast im Mena-Watch-Talk.
Michael Cotler-Wunsh zu Gast im Mena-Watch-Talk.

Michal Cotler-Wunsh, Israels Sonderbeauftragte für den Kampf gegen den Antisemitismus, im Mena-Watch-Talk.

In Wien war Michal Cotler-Wunsh in einer neuen Folge unseres Mena-Watch-Talks zu Gast. Sie wurde im Herbst 2023 Israels erste Sonderbeauftragte für die Bekämpfung von Antisemitismus – wenige Wochen bevor das Hamas-Massaker vom 7. Oktober die Welt erschütterte. Hier einige der wichtigsten Punkte des Gesprächs.

»Meine Ernennung war kein Fortschritt – sie war ein Notruf«

Als Michal Cotler-Wunsh im September 2023 zur ersten israelischen Sonderbeauftragten für die Bekämpfung von Antisemitismus ernannt wurde, empfand sie weder Stolz noch Genugtuung, sondern große Besorgnis: »Dass es im Jahr 2023 notwendig ist, eine solche Position zu schaffen, ist kein Zeichen politischen Fortschritts, sondern ein Beweis dafür, dass Antisemitismus wieder gesellschaftsfähig geworden ist«, sagt sie.

Tatsächlich war sie zu diesem Zeitpunkt nicht allein: Weltweit hatten über dreißig Staaten ähnliche Ämter eingerichtet – von den USA über Europa bis nach Südamerika. Für Cotler-Wunsh war das kein Ausdruck internationaler Entschlossenheit, sondern ein kollektives Alarmsignal. Der Hass auf Juden war längst nicht mehr nur ein Randphänomen, sondern in der Mitte von Institutionen, auf Universitätscampus und in internationalen Organisationen angekommen.

Als Juristin für internationales Recht und frühere Abgeordnete der Knesset weiß sie: Symbolische Gesten reichen nicht aus. Israel benötige – wie viele andere Demokratien – eine durchdachte Strategie gegen Antisemitismus. Israel müsse auch international Verantwortung übernehmen und an einer globalen Antwort mitarbeiten.

»Antisemitismus ist kein Einzelproblem«, sagt Cotler-Wunsh, »er ist ein Seismograf für den Zustand unserer Gesellschaften – und für das Versagen, aus der Geschichte wirklich gelernt zu haben.«

Nach dem Massaker: Der Hass bricht offen aus

Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 markiert für Cotler-Wunsh einen Wendepunkt. Bereits zehn Tage später machte sie sich auf eine Reihe internationaler »Notfallreisen«. Doch statt Solidarität erlebte sie das, was sie einen »Tsunami des Antisemitismus« nennt: Proteste, in denen das Massaker relativiert oder gar bejubelt wurde – oft im Namen von Gerechtigkeit und Menschenrechten.

Cotler-Wunsh beobachtete, wie sich das Narrativ verschob: Die Täter wurden zu Widerstandskämpfern erklärt, Israel zum Aggressor. Besonders alarmierend für sie ist das Schweigen internationaler Institutionen – eine moralische Leerstelle, die der Antisemitismus sofort füllt. Ihre Diagnose: Der 7. Oktober war nicht nur ein Angriff auf Israel, sondern ein Lackmustest für die Weltgemeinschaft – und viele hätten ihn nicht bestanden.

»Die UNO hat mitgeschrieben« – Kritik an den Vereinten Nationen

Cotler-Wunsh wirft den Vereinten Nationen keine bloße Passivität vor, sondern aktive Mitverantwortung. Laut ihrer Analyse haben sich UN-Organe über Jahrzehnte hinweg daran beteiligt, Israel systematisch zu delegitimieren: So etwa 1975 mit der »Zionismus ist Rassismus«-Resolution 3379, der Durban-Konferenz 2001 oder der aktuellen Völkermordklage Südafrikas gegen Israel.

Diese selektive Anwendung des Völkerrechts, sagt sie, sei kein Zufall, sondern Ausdruck einer ideologischen Verzerrung. Während israelische Geiseln noch im Gazastreifen festgehalten werden, werde Israel international angeklagt. »Das ist eine Umkehrung der Tatsachen und eine gefährliche Erosion der Glaubwürdigkeit jener Institutionen, die eigentlich Gerechtigkeit garantieren sollen.«

Der neue Antisemitismus spricht die Sprache der Menschenrechte

Antisemitismus hat sich historisch immer an den Diskurs der Zeit angepasst. Heute, so Cotler-Wunsh, tritt er im Gewand universaler Werte auf – getarnt als Antirassismus, Menschenrechtsrhetorik oder postkoloniale Kritik. »Die moderne Variante dieses Hasses nennt sich Antizionismus und gilt vielen als legitim. Aber sie zielt auf dasselbe: die Ausgrenzung jüdischer Selbstbestimmung.«

Besonders perfide sei die Vereinnahmung zentraler Begriffe wie »Völkermord« oder »Apartheid«, die entkernt und gegen Israel verwendet würden. Cotler-Wunsh warnt: Wer diese Begriffe entpolitisiert und ideologisch instrumentalisiert, untergräbt ihren Schutz für alle – nicht nur für Juden.

Die IHRA-Definition als Schutzinstrument – und Österreich als Vorbild

Zur Identifikation des »mutierten« Antisemitismus verweist Cotler-Wunsh auf die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Mit elf konkreten Beispielen mache sie sichtbar, was sich oft rhetorisch tarne: Holocaust-Verharmlosung, Dämonisierung Israels, doppelte Standards.

Lobend erwähnt sie Österreich, das die IHRA-Definition nicht nur ratifiziert, sondern aktiv in Bildung, Wissenschaft und Verwaltung integriert habe. Ihre Warnung ist klar: »Wenn Antisemitismus die Sprache der Menschenrechte spricht, braucht es Instrumente, die ihn beim Namen nennen, bevor die Begriffe, auf denen unser moralisches Fundament ruht, endgültig ausgehöhlt sind.«

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