Seit einigen Wochen gehen die Menschen in Israel auf die Straßen, wobei es sich um die größten Proteste seit den „Cost of Living“ Demonstrationen von 2011 handelt. Demonstriert wird gegen die Regierung Premierminister Benjamin Netanyahus und seine Handhabung von COVID-19.
Vor Allem auf die wirtschaftliche Situation des Landes wird in den Protesten aufmerksam gemacht. Kleinunternehmen und Freiberufler sind seit dem Lockdown in finanziellen Schwierigkeiten. Sie bekommen keine finanzielle Unterstützung von der Regierung und sind somit auf sich allein gestellt. Für viele haben sich die Lebensumstände seit Ausbruch der Pandemie drastisch verändert. Die Arbeitslosigkeit stieg seit April auf 21%. Die Demonstranten werfen der Regierung außerdem vor, sich mit Plänen zur Ausweitung israelischer Souveränität auf Teile des Westjordanlandes zu beschäftigen, statt mit der finanziellen und gesundheitlichen Krise, die die eigene Bevölkerung betrifft.
Samstagabend fanden Demonstrationen in Jerusalem, Tel Aviv, Caesarea und Ramat Gan statt. Der Polizei nach versammelten sich etwa 5.000 Protestierende am Paris Square in Jerusalem und in der Balfour Street, wo sich Benjamin Netanyahus Wohnsitz befindet.
Der Protest begann um acht Uhr abends und überschritt das Zeitlimit von elf Uhr bei Weitem. Die Polizei erlaubte den Demonstranten, bis ein Uhr nachts zu bleiben. Dann wurden die Verbleibenden mit polizeilicher Gewalt und Wasserwerfern vom Platz vertrieben. (Zuvor waren Wasserwerfer nur gegen ultra-orthodoxe oder palästinensische Demonstranten angewandt worden.) 12 Protestierende wurden an diesem Abend festgenommen, während in den letzten Wochen insgesamt bereits über 100 Protestierende inhaftiert worden waren.
Verschiedene politische Gruppierungen schlossen sich in dem Protest gegen den Premierminister zusammen. So waren Vertreter der Jugendbewegung HaShomer HaTzair, der linken Hadash-Partei und der Black Flag Bewegung anwesend. Sie trugen T-Shirts mit den Aufschriften „Crime Minister“ und „No Way“ und riefen „Bibi, go home“. Auch Frauenrechtsaktivistinnen nahmen am Protest teil. Sie machten auf die häusliche Gewalt während des Lockdowns aufmerksam, aufgrund der seit dem Beginn von COVID-19 11 Frauen und ein Baby ums Leben kamen.
Die Handhabung der COVID-19-Krise ist der derzeitige Auslöser, weshalb auf die Straßen gegangen wird. Demonstriert wird aber auch gegen Korruption, die israelische Präsenz im Westjordanland, Menschenrechtsverletzungen und polizeiliche Gewalt. So sind auch Vertreter der Friedens- und der Pride-Bewegung anwesend, sowie Demonstranten mit Black-Lives-Matter T-Shirts. Mindestens eine Frau mit Palästina-Flagge wurde durch die Polizei aufgefordert, den Protest zu verlassen, berichtete die Times of Israel. Es macht den Anschein, dass sich immer größere Teile des Landes gegen die Regierung und ihre Politik auflehnen.
„Während sie weiterhin untereinander streiten, wartet eine Million Menschen auf Sicherheit und Gerechtigkeit. Wir haben keine Zeit zum Warten. Wir haben keine Luft zum Atmen“, so einer der Organisatoren der Demonstration am Samstagabend. Dem israelischen Gesundheitsministerium nach lag die Zahl positiv getesteter COVID-19 Fälle am Samstag bei 60.000, davon sind 1.770 neuinfiziert.