Latest News

Chinas geopolitischer Aufstieg im Nahen Osten

Die siebte »China-arabische-Staaten-EXPO« Ende August in Yinchuan
Die siebte »China-arabische-Staaten-EXPO« Ende August in Yinchuan (© Imago Images / VCG)

Chinas Präsenz im Nahen Osten wächst stetig – vor allem, um den Bedarf an Öl und Gas zu sichern. Doch Experten bezweifeln, dass die Region für Peking oberste Priorität hat.

Ende August reiste eine vom saudischen Investitionsminister geführte Delegation nach China, wo sie in mehreren Städten mit ranghohen Regierungsvertretern und Investoren Gespräche führte. Das Treffen zielte darauf ab, die Handelsbeziehungen zwischen China und Saudi-Arabien auszubauen. Wie Al-Monitor berichtete, erreichte das Handelsvolumen zwischen China und der Golfmonarchie im Jahr 2024 knapp 108 Mrd. Dollar, womit China zum größten Handelspartner des Königreichs wurde.

Mehr noch: Saudi-Arabien zählt zu den wenigen Ländern, die im Handel mit China einen Überschuss erzielen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters exportierte China im Jahr 2024 Waren im Wert von gut fünfzig Mrd. Dollar auf die Arabische Halbinsel, vor allem Elektronik, Solartechnik und Autos. Saudi-Arabien lieferte im Gegenzug Güter im Wert von rund 58 Mrd. Dollar, davon überwiegend Rohöl. Insgesamt importierte China fast 79 Millionen Tonnen Rohöl aus dem Königreich, rund vierzehn Prozent seiner gesamten Rohölimporte in diesem Jahr. China ist damit weiterhin der wichtigste Abnehmer saudi-arabischen Öls.

Auch andere Golfstaaten bauen ihre Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik aus: Im April unterzeichnete Chinas staatlicher Ölkonzern Zhenhua Oil ein Abkommen, um seinen Öleinkauf von der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu verdoppeln. Das gesamte Rohölvolumen, das Zhenhua vertraglich von ADNOC beziehen soll, werde bis etwa Jahresende von 100.000 Barrel auf 200.000 pro Tag erhöht.

Chinas Nahost-Politik

Chinas Aktivitäten beschränken sich aber nicht nur auf den Energiesektor. Die Volksrepublik hat sich in den letzten zehn Jahren im Nahen Osten und in Nordafrika (MENA-Region) gezielt als neue Ordnungsmacht etabliert. Ausgangspunkt dafür waren die politischen Verschiebungen im Zuge des Arabischen Frühlings im Jahr 2011: Anstatt der vom Westen erhofften Demokratisierungswelle wurden die Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika zunehmend nationalistischer und autokratischer und eröffneten damit China neue Möglichkeiten, seinen Einfluss auszuweiten, während der westliche zunehmend geringer wurde.

Vorteilhaft war Pekings staatsgelenktes Wirtschaftsmodell, da viele der nahöstlichen und afrikanischen Staaten selbst mit Formen staatsgelenkten Kapitalismus experimentieren. Außerdem profitiert China vom Image einer Großmacht ohne koloniales Erbe in Nahost oder rezenten militärischen Interventionen und (versuchten) Regimewechsel, wie der US-Thinktank The Institute for Peace & Diplomacy analysierte.

Auf diese Weise konnte Peking die Instabilität der Region in den 2010er- und 2020er-Jahren nutzen, um sich als Alternative zur westlich geprägten Ordnung zu positionieren. Die Volksrepublik baute ihre bilateralen Beziehungen zu allen MENA-Staaten stetig aus und band sie in multilaterale Foren ebenso ein wie in Kernprojekte ihrer Außenpolitik, darunter BRICS, die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) und die Belt and Road Initiative (BRI).

Mit zunehmender Abhängigkeit der Volksrepublik von Öl und Gas aus der MENA-Region wurden langfristige Energiepartnerschaften zu einer strategischen Priorität Pekings, so das Institut.

Zwischen Profit und Vorsicht

Doch nicht alle Experten sind dieser Ansicht. So kommen zum Beispiel Mohammed al-Sudairy und Andrea Ghiselli in ihrem Buch Narratives of Sino-Middle Eastern Futures zum Schluss, dass der Nahe Osten trotz der großen Öl- und Gasvorkommen für China nur eine außenpolitische Priorität zweiter oder dritter Ordnung habe.

Bei der chinesischen Elite überwiege die Sichtweise, dass der Nahe Osten für die globalen Wirtschaftsinteressen der Volksrepublik nur von begrenzter Bedeutung ist – zumal das Wichtigste, also die Ölimporte, akut nicht gefährdet sind. Am sinnvollsten erscheinen ihnen Investitionen in die großflächig instabile Region bei gleichzeitiger Vermeidung offener militärischer Einsätze oder sicherheitspolitischer Verstrickungen, da Kosten und Risiken weit höher wären als jeder mögliche Gewinn.

Ein ähnliches Bild zeichnet der Politikwissenschaftler Jonathan Fulton in seinem Buch Building the Belt and Road Initiative in the Arab World. Dabei legt er eine realistische und detailreiche Sicht auf Umfang und Ziele chinesischer Investitionen vor allem im Energiesektor dar, aber auch durch die Aktivitäten chinesischer Unternehmen in der gesamten Region. Das belege zwar die wachsende Präsenz Chinas, liefere jedoch kaum Anhaltspunkte für die Annahme, Peking strebe eine Übernahme der Region an.

Der Grund liege vor allem in der dominanten Stellung der USA sowohl im Nahen Osten und im Persischen Golf als auch in der gesamten Region des Indischen Ozeans. Es gebe auf chinesischer Seite nur wenig Bereitschaft, diese Dominanz direkt herauszufordern, auch wenn der Wunsch besteht, die maritime Unterlegenheit durch neue Stützpunkte zu kompensieren. Bisher zeichnet sich das zwar nicht ab, könnte sich aber im Laufe der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump ändern, die sich durch eine erratische Sicherheitspolitik, durch eine zweifelhafte Verlässlichkeit amerikanischer Garantien und eine aggressivere Haltung gegenüber China auszeichnet.

Abzeichnender Wandel

In Summe stimmen alle Autoren jedoch überein, dass die Staaten des Nahen Ostens – insbesondere am Golf – ihren Kurs des »Hedging« fortsetzen werden: Die USA bleiben dabei der wichtigste Sicherheitspartner, während engere Beziehungen zu China genutzt werden, um von Washington vorteilhaftere Konditionen zu erzwingen.

Die veränderte Dynamik führt zu einer geopolitischen Neuordnung in der MENA-Region, die lange Zeit von den USA und Europa dominiert wurde. Zwar hat China die alten Mächte noch nicht verdrängt – insbesondere im Bereich Verteidigung und Sicherheit dominieren die USA nach wie vor –, doch präsentiert es sich zunehmend als attraktiver Partner für nahöstliche Staaten, die sich von postkolonialen Abhängigkeiten lösen wollen.

Ein strategischer Umbruch wäre dann denkbar, würde sich unter der zweiten Amtszeit Trumps jene Unberechenbarkeit fortsetzen, die Washingtons Bündnissysteme schwächt. Davon könnte Peking profitieren – nicht durch Konfrontation, sondern durch das stille Angebot ökonomischer Verlässlichkeit in einem sich auflösenden Sicherheitsgefüge.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir reden Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!