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China löscht seine jüdische Geschichte aus

Modell der Synagoge von Kaifeng im Daispora Museum in Tel Aviv
Modell der Synagoge von Kaifeng im Daispora Museum in Tel Aviv (Quelle: Sodabottle / CC BY-SA 3.0)

Die mehr als 1.000 Jahre alte jüdische Gemeinde in Kaifeng kann sich nur im Untergrund erhalten und befürchtet, dass bald alle Zeichen ihrer Existenz verschwunden sein könnten.

Sophia Yan, The Telegraph

Zum diesjährigen Chanukka-Fest zündet Amir Menora-Kerzen an und rezitiert Segenssprüche, um die acht Nächte des Festes zu feiern, wie viele Juden auf der ganzen Welt. Aber er tut dies im Geheimen, aus Angst, dass chinesische Beamte vorbeikommen – wie sie es oft bei religiösen Anlässen tun – um das Verbot des Judentums durchzusetzen und ihn zu drängen, seinem Glauben abzuschwören. Manchmal wird er sogar zu Verhören vorgeladen. (…)

Seit 2015 hat der chinesische Staatschef Xi Jinping eine harte Kampagne gegen ausländischen Einfluss und nicht genehmigte Religionen geführt, die Teil eines Vorstoßes zur „Sinisierung“ des Glaubens ist. Er hat Kirchenkreuze demontieren und Zwiebelkuppeln von Moscheen abreißen und mehr als eine Million Muslime in der westlichen Region Xinjiang inhaftieren lassen.

Neben Christen und Muslimen hat Xis Unterdrückung auch Chinas winzige jüdische Gemeinde getroffen, deren Vorfahren sich vor mehr als einem Jahrtausend entlang des Gelben Flusses in Kaifeng, der damaligen Hauptstadt der Nördlichen Song-Dynastie, niedergelassen hatten.

China löscht seine jüdische Geschichte aus
Mitglieder jüdischen Gemeinde von Kaifeng um 1900 (Quelle: Edmundwoods, Public Domain)

Dass eine so kleine Gruppe den Zorn der Kommunistischen Partei auf sich ziehen kann, zeigt, wie weit sich die Repression ausgebreitet hat. Nur etwa 1.000 Menschen in Kaifeng beanspruchen jüdisches Erbe für sich, und von diesen sind nur etwa 100 oder praktizierende Juden, sagen Experten – kaum ein Tropfen in Chinas Meer von 1,4 Milliarden Menschen. Sogar auf ihrem Höhepunkt um 1500 zählte die Gemeinde nur etwa 5.000 Mitglieder.

„Es ist Regierungspolitik – China will uns nicht als Juden anerkennen“, sagte ein Mann, der davon träumt, sich in Israel zum Rabbiner ausbilden zu lassen, gegenüber dem Telegraph. „Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass die nächste Generation keine jüdische Identität hat.“

Zu Hause bringt er seinem Kind alles bei, was er weiß, so wie es seine Vorfahren – höchstwahrscheinlich Kaufleute aus Persien – über Generationen hinweg getan haben. Auf diese Weise hat das jüdische Erbe Kaifengs Dynastien, Kriege, Naturkatastrophen und die Kulturrevolution überlebt, als viele ihre genealogischen Aufzeichnungen zerstörten, um ihre Abstammung zu verbergen. So haben sie es auch geschafft, mehr als 150 Jahre lang ohne Rabbiner auszukommen. (…)

Selbst auf den fünf Glaubensrichtungen, die von der Partei anerkennt und reguliert werden – Buddhismus, Daoismus, Islam, Protestantismus und Katholizismus – lastet großer Druck. In buddhistischen Tempeln dürfen zum Beispiel Porträts von Xi Jinping ausgestellt werden, nicht aber Bilder des geistlichen Führers im Exil, dem Dalai Lama.

Die chinesischen Behörden sind auch besorgt über unangemessenen ausländischen Einfluss, wenn der jüdischen Gemeinde in Kaifeng erlaubt würde, Verbindungen zu Juden im Ausland aufzubauen. „Von der Zahl her ist sie so unbedeutend, aber von der potenziellen Aufmerksamkeit her ist sie viel, viel größer“, sagte Noam Urbach, ein israelischer Akademiker, der die Juden von Kaifeng studiert. Ihre Existenz kann „eine Menge Aufmerksamkeit in der internationalen jüdischen Gemeinschaft erregen“.

China löscht seine jüdische Geschichte aus
Das Innere der Synagoge von Kaifeng im 18. Jhdt. (Quelle: Pere Jean Domenge, Public Domain)

In Kaifeng sind Steine, die bis ins Jahr 1489 zurückreichen und den Glauben und die Abstammung der Gemeinde darstellen, aus einer öffentlichen Ausstellung verschwunden, die früher Teil einer Synagoge aus dem 12. Jahrhundert waren. Ein alter Brunnen, der das letzte Überbleibesel der Synagoge war, wurde unter einem Mantel aus Zement begraben. Die Behörden haben auch die wenigen hebräischen Schilder in der Stadt abgerissen, die einst den „Weg des Torahstudiums“ markierten. (…)

Das Durchgreifen der Behörden ist so hart, dass die jüdischen Bewohner von Kaifeng Angst haben, gemeinsam in der Öffentlichkeit zu essen. „Es ist ein kleiner Ort“, sagte ein jüdischer Mann. „Die Restaurantleiter wissen, dass wir Juden sind, und swürden uns bei den Behörden melden.“ In der ganzen Stadt scheinen die letzten Spuren des jüdischen Erbes zwei Grabsteine mit dem Davidstern und Inschriften auf Chinesisch und Hebräisch zu sein – aber selbst das, so fürchten sie, wird bald verschwunden sein.

Doch die Juden in Kaifeng sind bemerkenswert widerstandsfähig und haben Wege gefunden, ihren Glauben im Untergrund am Leben zu erhalten.

(Aus dem Artikel China’s tiny Jewish community in fear as Beijing erases its history“, in The Telegraph erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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