Charlotte Wiedemann ist Deutschlands führende Expertin für das Dechiffrieren des Lächelns israelischer Polizisten ist. In der judenkritischen Kolumne »Schlagloch« in der taz darf sie ihre Erkenntnisse ausbreiten.
Man stelle sich folgende Szene vor: Ein israelischer Tourist in Wetzlar. Sagen wir, er ist ein Bewunderer Goethes und will die Schauplätze sehen, wo sich das zutrug, was Goethe – der ja 1772 Praktikant am Reichskammergericht war, das dort zwischen 1690 und 1806 tagte – Anlass zu den Leiden des jungen Werther gaben.
Am Bahnhof trifft er eine Gruppe Bundespolizisten. Er fragt sie in gebrochenem Deutsch oder auf Englisch mit hebräischem Akzent, was sie über das Reichskammergericht wissen. Wenn die Polizisten höflich sind, dann werden sie versuchen, dem Gast durch Lächeln zu verstehen zu geben, dass sie keine Ahnung haben, was er eigentlich von ihnen will. Höfliche Menschen lächeln. Darum nennt man Japan das »Land des Lächelns« und nicht Deutschland.
Ganz anders verhält sich die Sache bei Juden. Das weiß Charlotte Wiedemann, Deutschlands führende Expertin für diese Ethnie. Und dank ihr die Leser ihrer jüngsten Kolumne in der taz, die einen Titel trägt, der geradewegs aus der Nationalzeitung stammen könnte, wenn es die denn noch gäbe: »Hass auf alles Nichtjüdische«.
Kennen Sie die Khalidis?
Es ist zwar nicht im engeren Sinne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber doch eine sehr ernste Sache, was da »einer der profiliertesten deutschen Auslandskorrespondentinnen« widerfuhr, als sie mit israelischen Polizisten die Rechtspflege zur Zeit des Osmanischen Reichs im Allgemeinen und die Rolle der Familie Khalidi im Besonderen ventilieren wollte. Themen, die jedem von uns auf den Nägeln brennen.
Welche Khalidis, fragen Sie? Bitte, Frau Wiedemann, erklären Sie es: »Die Khalidis stellten über Jahrhunderte Richter an osmanischen Gerichtshöfen, eine Familie von Notabeln und Intellektuellen, so erklärt sich das immense Schrifterbe.« Also so ähnlich wie die Millowitsch-Dynastie in Köln, die ja ebenfalls ein immenses Schrifterbe hinterlassen hat. Gesprächstoff für die nächste Partie:
»Herr Meier-Sommer, haben Sie sich schon mal gefragt, wie sich das immense Schrifterbe der Khalidis erklärt?«
»Sie meinen Malek Khalidi, den Innenverteidiger vom TSV Schwarme?«
»Nein.«
»Da klingelt bei mir jetzt nichts.«
»Na, die Familie von Notabeln und Intellektuellen.«
»Ach die Khalidis!«
»Ja. Ich habe das was Interessantes in der taz gelesen. Da steht, dass es sich dadurch erklärt, dass sie über Jahrhunderte Richter an osmanischen Gerichtshöfen waren.«
»Nein, echt jetzt?«
»Ja.«
In einer Stadt, die so wenig zu bieten hat wie Jerusalem und wo nie etwas passiert, das die Menschen aus ihrem Alltagstrott reißt, ist die Rolle der Khalidis an den osmanischen Gerichtshöfen und das immense Schrifterbe, das sie hinterlassen haben, sicherlich ein ganz heißes Eisen. Bestimmt haben die Polizisten in Jerusalem nur darauf gewartet, von Charlotte Wiedemann danach gefragt zu werden. Alle Quizfragen zu den Osmanen aus dem Effeff beantworten zu können – von der Belagerung Konstantinopels über den Topkapipalast bis zur Bastonade – wird ihnen nicht schwer fallen.
Ihren Aufprall in Jerusalem schildert Frau Wiedemann so: »Ich versuche, mit den Polizisten am nahen Checkpoint über diese Geschichte zu reden …« Also die mit den Khalidi-Notabeln und ihrem Schrifterbe. »… immerhin stehen sie jeden Tag vor den Gebäuden.«
Die Wiedemannsche Vermutung: Um Fachwissen zu haben, muss man nichts gelesen haben; es reicht, wenn man lange genug vor bestimmten Gebäuden steht. Das Wissen überträgt sich dann durch die hochenergetische Teilchenstrahlung, die von den Gebäuden ausgeht und vom menschlichen Gehirn in Wissen umgewandelt wird.
Über die Polizisten, die täglich vor dem Pariser Louvre stehen, weiß man, dass sie schon nach vier Wochen alle exzellente Kunstkenner sind. Wenn Sie einen Beamten vor der Frankfurter Sternwarte treffen, fragen Sie ihn ruhig, wo es zur Galaxie M-31 geht. Und Polizisten, die vor einer Universität stehen, wissen so gut wie alles. So hat auch Charlotte Wiedemann ihre Expertise erworben, darum schreibt sie heute so kluge Kolumnen und Bücher.
Wiedemanns annektierte Subjekte
Charlotte Wiedemann also versucht, mit den israelischen Polizisten über Geschichte zu reden, denn dazu sind Checkpoints ja da. Um zu checken, ob das historische Wissen der Polizisten womöglich irgendwelche Untiefen hat. Wiedemann fährt fort: »Beim Stichwort Gerichte sagen sie interessiert: ›Unsere Gerichte?‹ Nein, arabische! Sie lächeln überlegen. Sich etwas jahrhundertealtes Arabisches vorzustellen, noch dazu in Schriftform, fügt sich nicht in ihr Weltbild. Annektierte Subjekte haben keine zu respektierende Kulturgeschichte.«
Sie lächeln »überlegen«. Es ist erstaunlich, was man alles über einen Menschen erfährt, wenn er lächelt. Er will damit seine Überlegenheit zeigen. Er zeigt damit, dass er sich etwas jahrhundertealtes Arabisches nicht vorstellen kann, noch dazu in Schriftform.
Israelische Polizisten haben ein schlichtes Weltbild. Sie sind die Hillbillies der Jerusalemer Hügel. Würde Frau Wiedemann hingegen nach Nablus gehen und dort Polizisten der Palästinensischen Autonomiebehörde nach Spuren jüdischer Geschichte fragen, würden die überschnappen vor Freude, dass sie endlich ihr gesammeltes Wissen darüber kundtun können, das sie in der Schule gepaukt haben. »Bitte stellen Sie uns mehr solcher Fragen, Frau Wiedemann«, werden sie ausrufen. »Wir haben überhaupt nichts anderes zu tun und Abu Mazen betont immer, wie wichtig Ihre taz-Artikel für unseren Kampf sind!«
Aber die Israelis sind eben arrogant. Lächeln nicht freundlich, sondern um ihre Verachtung annektierter Subjekte zu zeigen. Diese israelische Arroganz behandelte ja auch Haaretz-Kolumnist Gideon Levy in einer seiner Ruminationen (Rumination: reifliche Überlegung; in der Pädiatrie auch: Hochwürgen und erneutes Durchkauen und Verschlucken von Mageninhalt). Israelis seien »arrogant«, schrieb Levy, was sich daran zeige, dass sie beim Autofahren nicht blinken. Sie verüben einen Völkermord, so Levy an anderer Stelle, und blinken tun sie wie gesagt auch nicht.
Juden in Jerusalem: »Doppelt illegal«
Und nun das berüchtigte Lächeln. Nicht wie die Mona Lisa lächeln die israelischen Polizisten, denen Wiedemann begegnet, und auch nicht wie Karl Lauterbach. Nein, sie wollen Überlegenheit demonstrieren. Jeder weiß: Lächelt dir am Strand von Tel Aviv ein Fremder zu, dann will er nicht deine Telefonnummer, sondern sagt damit: »Annektierte Subjekte haben keine zu respektierende Kulturgeschichte.«
Weil Charlotte Wiedemann das Lächeln von Juden leichter entschlüsseln kann als die Briten einst den Funkcode deutscher U-Boote, hat sie die judenkritische Kolumne »Schlagloch« in der taz. »Hass auf alles Nichtjüdische« ist Wiedemanns Lebensthema, diesen Hass will sie ausrotten. Die »Judenfrage«, das weiß sie, harrt immer noch ihrer Lösung.
Die Juden hassen die Nichtjuden und lassen sie nicht in Frieden leben. Darum gibt es in den USA die Goyim Defense League, in Gaza die Hamas und in Berlin das »Schlagloch«; sie alle haben sich der Selbstverteidigung verschrieben. Was haben die Juden Charlotte Wiedemann getan? Zum einen leben sie in Jerusalem. Da gehören sie ihrer Meinung nach nun wirklich nicht hin, sondern sind dort »Siedler« – also das, was man in Deutschland früher »Volksfremde« nannte. »Kein Mensch ist illegal«? Von wegen.
Während sie über den Jerusalemer Bazar flaniert und immer wieder mal Juden sieht, geht es Charlotte Wiedemann durch den Kopf: »Man bewegt sich also in der Altstadt zwischen allerlei fröhlich-touristischem Tand in einem doppelt illegal überschriebenen Raum.« Ist Charlotte Wiedemann, wenn sie in diesem doppelt illegal überschriebenen Raum ist, eigentlich auch illegal? Nein, nur Juden können illegal sein. Sie wollen »Jerusalems Altstadt judaisieren«.
Die »Altstadt« ist das wirkliche Jerusalem, wo das jüdische Viertel ist, die Klagemauer und die Hurva-Synagoge. Dort sollte man nicht auf Juden treffen, findet Wiedemann. Nach der ethnischen Säuberung von 1948 – den Juden im jüdischen Viertel, deren Familien über Jahrhunderte dort gelebt hatten, wurde eine Stunde Zeit zum Packen gegeben –, gab es dort keine Juden, bis Juni 1967. An diese Zeiten denkt Charlotte Wiedemann wehmütig, erinnert daran, »dass die Altstadt an ihren Bewohnern gemessen überwältigend palästinensisch ist – und ausgestattet mit israelischen Überwachungskameras auf Schritt und Tritt.«
Kaum Juden, so soll es sein. Die »Judaisierung« (das Wort hat im Sprachgebrauch den veralteten Begriff Verjudung abgelöst, der heutzutage nur noch selten benutzt wird) macht also offenbar kaum Fortschritte. Bedrohlich ist sie dennoch.
Wiedemann weiß mehr als andere
Weil er seine Mischpoke mitbringt, ist jeder Jude ein Vorbote der Judaisierung, die, wie es in Wiedemanns Text heißt, »Palästinenser, Araber und Armenier« bedroht. Sie kann dafür genau zwei krude Beispiele nennen, stellvertretend für tausend andere, die ihr gerade nicht einfallen. Da ist zum einen der Fall der Schläfenlocken-Autonomen: »›Möge es niederbrennen‹ wurde dieser Tage auch beim Überfall auf die Armenian Tavern gerufen, ein alteingesessenes Restaurant in der Nähe des armenischen Konvents, wenige Meter vor einer Polizeistation. Mit Hoodies über Schläfenlocken versprühten sie Pfefferspray und zerschlugen Mobiliar. Sie kamen zweimal in einer Woche.«
Ein Link führt zu einem Artikel von taz-Korrespondent Felix Wellisch mit dem Titel: »Tage der Unruhe«. Er enthält kein Wort über diesen Vorfall. Stattdessen ist dort von palästinensischen Angriffen auf Israelis die Rede. Der Artikel soll als Beweis dafür gelten, dass Wiedemanns Aussage stimmt, wonach Täter mit »Schläfenlocken« ein armenisches Restaurant angegriffen hätten.
Da Charlotte Wiedemann ihre Information offenbar auf Hörensagen stützt, müssen wir selbst nach einer Quelle suchen. Auf X gibt es tatsächlich ein Video, das Überwachungskameras (jene »israelischen« Überwachungskameras?) wohl von dem besagten Vorfall vor dem Restaurant aufgezeichnet haben. Man sieht einen Mann, der im schnellen Vorbeilaufen eine unbekannte Substanz in Richtung eines Eingangs sprüht. Ob es ein Jude ist, darüber sagt eine Videoaufnahme natürlich nichts aus.
Wiedemann glaubt trotzdem an einen jüdischen Großangriff. Einen Hoodie trug der Täter auch nicht. Meint Wiedemann vielleicht einen anderen Vorfall? Immerhin behauptet sie ja, dass die Täter »zweimal in einer Woche« gekommen seien. Wenn das so war, dann hat außer Wiedemann offenbar niemand etwas von dem zweiten Vorfall gehört.
Juden, die bedrohlich spuken
Sie hat ja außerdem noch was anderes zu berichten. Es geht um das besagte Gebäude, vor dem die lächelnden Polizisten stehen. Beim Anblick alter Bücher denkt Wiedemann an ihre Besuche in Timbuktu, was bei ihr Angst vor jüdischen Anarchisten hochkommen lässt. Das geht so: »Beim Anblick brüchiger Manuskripte denke ich an meine Besuche in Timbuktu, wo vor Jahren wertvolle Handschriften vor Islamisten gerettet wurden. Hier droht ein Fanatismus anderer Art: Er zielt auf die Immobilie, nicht die Schriften.« Eines wie das andere: Wer Wände streicht, verbrennt auch Bücher.
Was Wiedemann vor allem umtreibt, sind die Fälscherjuden. Ohne Quellenangabe berichtet sie: »Siedler besetzten einen Flügel des Khalidiyya-Komplexes, indem sie mit gefälschten Besitzdokumenten wedelten und unter den Augen der Polizei Türschlösser aufbrachen. Es bedurfte eines Gangs zum Gericht, um die Hooligans loszuwerden. Sie ließen ihre Tora-Bände zurück, kletterten auf die Dächer und spuken weiter bedrohlich herum.«
Ein israelisches Gericht hat also (wenn Wiedemanns Story überhaupt stimmt) ein Urteil gegen jüdische Hausbesetzer gefällt und diese wurden aus einer Immobilie, in die sie angeblich eingebrochen waren, entfernt. Das reicht Wiedemann aber nicht. Sie haben gewedelt. Sie haben Schlösser aufgebrochen. Statt Müll und Urin ließen sie ausgerechnet ihre »Tora-Bände« zurück. Nun glaubt Wiedemann, Juden auf den Dächern zu sehen, wo sie angeblich immer noch – während sie ihre Kolumne schreibt — „bedrohlich herumspuken«.
Einen Moment scheint Wiedemann selbst zu merken, was für einen Quark sie da ausbreitet. Sie hat einen Augenblick der Selbstreflexion: »Jeder einzelne dieser Vorfälle wirkt obskur, kaum des Berichtens wert.« Genau. So, wie alle von Wiedemanns Spukgeschichten. Aber statt bei dieser Einschätzung zu bleiben und es dabei bewenden zu lassen, tut sie das, was alle Verschwörungstheoretiker tun: Sie folgert, dass das, was auf den ersten, zweiten und dritten Blick harmlos scheint, wohl das Böse in besonders perfider Verkleidung sein muss.
Nur so Aufgeweckte wie Frau Wiedemann durchschauen es. Bei ihr fügt sich alles zu einem Bild einer großen Verschwörung gegen die Nichtjuden: »Doch sie verbinden sich zu einem Mosaik, einem Mosaik des Hasses auf alles Nichtjüdische.« Zwei dubiose Beispiele, die Charlotte Wiedemann aus der hohlen Hand präsentiert, um jüdische Schuld zu beweisen, reichen. Nicht der Antisemitismus ist das Problem, sondern sein Gegenteil. Hatten die Antisemiten am Ende immer Recht gehabt?
Wiedemanns Wahn
Wiedemann will alles verbieten, was ihr nicht gefällt, und den israelischen Regierungschef einsperren. Sie sympathisiert mit einem Tweet, in dem die US-Grüne Jill Stein fordert, den »Bastard« Benjamin Netanyahu zu »verhaften«. Einen gut recherchierten Beitrag der Publizistin Sineb El Masrar auf der Website Qantara, in dem die Autorin von den öffentlich-rechtlichen deutschen Rundfunksendern Objektivität bei der Berichterstattung über den israelisch-arabischen Konflikt einfordert, will Wiedemann »löschen« lassen. Wozu diskutieren, wenn man auch löschen kann? Zur Ehrenrettung der zwölf von der Hisbollah auf einem Fußballfeld im Golan getöteten Kinder betont Wiedemann, dass keines von ihnen die israelische Staatsbürgerschaft gehabt habe. Glück im Unglück?
Ihre Paranoia, die Angst vor namenlosen Juden, die »bedrohlich spuken«, hält sie für politische Analyse. Sie findet einfach keine Ruhe. Wenn gerade kein Jude bei ihr im Raum ist, dann ist er vielleicht auf dem Dach. Bei Charlotte Wiedemann ist immer Geisterstunde.