Wie geht es nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Anhägern pro- und anti-iranischer Parteien im Irak weiter?
In den letzten Tagen herrschte im Irak politisches und sicherheitspolitisches Chaos, nachdem Demonstranten, die die Bewegung des schiitischen Geistlichen und Politikers Muqtada al-Sadr unterstützen, den Regierungssitz und den Präsidentenpalast gestürmt hatten und es anschließend zu Zusammenstößen mit Anhängern des Koordinationsrahmens kam, jener Fraktion, in dem die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen organisiert sind.
Bei den Zusammenstößen zwischen der Sadristen-Bewegung, die den iranischen Einfluss im Irak ablehnt, und den Anhängern des Koordinationsrahmens gab es 33 Tote und Dutzende von Verletzten.
Politische Krise
Seit den Parlamentswahlen im Oktober vergangenen Jahres, bei denen die sadristische Bewegung die relative Mehrheit der Parlamentssitze gewann (73 von insgesamt 329), während der pro-iranische Koordinationsrahmen viele Sitze verlor, befindet sich der Irak in einer schwerwiegenden politischen Krise. Infolgedessen behinderte der Koordinationsrahmen die Bemühungen der Bewegung von al-Sadr, sich mit sunnitischen und kurdischen Parteien zu verbünden und eine Mehrheitsregierung zu bilden.
Darüber hinaus erhielt der Koordinationsrahmen Auftrieb durch den Bundesgerichtshof, der höchsten gerichtlichen Instanz des Irak, der im Februar entschied, dass zwei Drittel der Mitglieder des Repräsentantenhauses an der Sitzung zur Wahl des Staatspräsidenten teilnehmen müssen, damit diese gültig ist, während Sadrs Bewegung die dazu notwendigen 220 Parlamentsmitglieder nicht aufbringen konnte.
Nach dem Gerichtsurteil trat der Irak in eine politische Lähmung ein, da alle Versuche scheiterten, die Parlamentssitzung zur Wahl des Ministerpräsidenten abzuhalten. Das Land blieb ohne neue Regierung, während alle Parteien an ihren Positionen festhielten. Schließlich beschloss Muqtada al-Sadr, die Abgeordneten seiner Bewegung aus dem Parlament zurückzuziehen, begann über Proteste und Demonstrationen Druck auf der Straße auszuüben und forderte Neuwahlen.
Wie geht es weiter?
Der irakische Politikexperte Ramadan Al-Badran hat drei Szenarien für die politische Krise im Irak ausgemacht, die sich in den vergangenen Tagen dramatisch zuspitzte. Da das Urteil des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Februar zur Eskalation der Krise beigetragen habe, komme dem Gericht auch eine große Rolle in den möglichen Szenarien einer Überwindung der Krise zu.
- Sollte das Gericht beschließen, das Parlament aufzulösen und vorgezogene Wahlen zuzulassen, könnte dies den politischen Parteien eine Atempause und Zeit verschaffen. Dies wäre eine Art politischer Waffenstillstand.
- Beschlösse der Bundesgerichtshof die Abschaffung der Notwendigkeit einer Zweidrittel-Anwesenheit im Repräsentantenhaus für die Durchführung einer Sitzung zur Präsidentenwahl, würden »die Abgeordneten der sadristischen Bewegung ins Parlament zurückkehren« und die Bewegung könnte mit Kurden und Sunniten »eine Mehrheitsregierung bilden«.
- Neben diesen beiden politischen Szenarien schloss Al-Badran auch die Möglichkeit einer Eskalation auf der Straße und einer Verschärfung des Chaos im Land nicht aus.
Schließlich beschuldigte Al-Badran den vom Iran unterstützten Koordinationsrahmen, am Status quo festhalten zu wollen, weil er nach dem Rücktritt der Vertreter der Sadristen-Bewegung das Parlament kontrolliert.
Die Irakexpertin Marsin Al-Shammari sagte in einem Interview mit dem Center for Strategic and International Studies, dass Neuwahlen die beste Option seien, worauf die Iraker in der gegenwärtigen Situation hoffen könnten. Doch würden solche Neuwahlen, »vor allem, da die meisten Menschen eigentlich nicht erneut wählen wollen, mehr Sitze für die sadristische Bewegung für alle anderen etablierten und alten politischen Parteien bedeuten« und dies auf Kosten der Kräfte der öffentlichen Proteste vom Oktober 2019:
»Das Traurige daran ist, dass dies ein Ergebnis ist, das uns vor dem Ausbruch von Gewalt schützen würde, aber zugleich wäre es auf lange Sicht ein schlechtes Ergebnis für das Land.«