Gibt es noch eine Chance, Assad zu stürzen?

Syriens Diktator Bashar al-Assad (© imago images/Seksim Photo)
Syriens Diktator Bashar al-Assad (© imago images/Seksim Photo)

Auch wenn die Chancen schlecht stehen: Syrische Flüchtlinge in Wien sehen noch immer Möglichkeiten, Diktator Assad loszuwerden.

David Pollock, Washington Institute for Near East Policy

In Wien, das in letzter Zeit vor allem durch die Atomverhandlungen mit dem Iran bekannt geworden ist, gibt es auch eine beträchtliche Zahl syrischer Flüchtlinge und politischer Exilanten, die derzeit auf weit über 75.000 Personen geschätzt wird. Letzte Woche hatte ich die Gelegenheit – in Zeiten von COVID eine Seltenheit –, mich dort privat mit einigen der Anti-Assad-Aktivisten aus dieser Community zu treffen. Ich war fasziniert davon, dass sie nicht verzweifelt sind, obwohl wenig dafürspricht, dass sie alsbald Erfolg haben könnten

Zwar sehen diese syrischen Flüchtlinge in den Atomverhandlungen in ihrer neuen Heimat einen Erfolg für den Iran, Assads wichtigsten Unterstützer, doch weisen sie auch auf Möglichkeiten hin, dessen Regime von innen heraus zu unterminieren. Ein solches Szenario stützt sich auf dissidente hochrangige Elemente im syrischen Militär, die zunehmend verärgert über die Vorherrschaft des Iran und der Hisbollah seien. Diese Leute, so wird behauptet, könnten bereit sein, mit Russland, den alawitischen Eliten, den syrischen Kurden und sogar mit Nachbarländern oder anderen ausländischen Mächten zu paktieren, um Assad und seine schiitischen ausländischen Freunde loszuwerden. Doch ohne ein Signal aus dem Ausland, vorzugsweise aus Washington, würden sie nichts unternehmen.

Die Syrer, mit denen ich gesprochen habe, sind keine Träumer. Sie sind sich bewusst, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, auf dem zahlreiche Hindernisse lauern. So würde ein erneutes Atomabkommen mit dem Iran die Sanktionen wieder aufheben und Teheran neue wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen, um seine Interventionen im Ausland zu finanzieren – nicht zuletzt jene in Syrien. (…)

Nach Ansicht der syrischen Aktivisten konzentriert sich die Politik der Biden-Administration hauptsächlich auf die humanitäre Dimension der anhaltenden Krise in Syrien. Dies halten sie für einen schweren Fehler. Denn jede Hilfe, so betonen sie, kommt unweigerlich denjenigen zugute, die sie verteilen können: dem Assad-Regime, dem türkischen Militär bzw. den islamistischen Kämpfern, die Idlib und andere Grenzgebiete kontrollieren, oder beiden. Die Masse der Syrer innerhalb und außerhalb des Landes, so argumentieren sie, wird nur einen kleinen Bruchteil dieser Hilfe erhalten – und das auf Kosten ihrer Freiheit.

Meine syrischen Gesprächspartner waren von 2011 bis 2015 aktiv an Hilfseinsätzen jenseits der Grenze beteiligt. Dies ermöglichte es ihnen, Beweise für Assads umfangreichen Einsatz von Chemiewaffen, für Folter und andere schwere Verbrechen herauszuschmuggeln. Danach schickte der türkische Geheimdienst MIT sie jedoch fort und erlaubte nur noch seinen eigenen islamistischen Partnern, die Hilfslieferungen für die Syrer durchzuführen –und das unter dem Deckmantel der Legitimität der UN und anderer internationaler Institutionen. (…)

Was die einst mächtige syrische Opposition angeht, so räumen deren ehemalige Mitglieder ein, dass sie an den Rand gedrängt wurde und ihre Überreste von der Muslimbruderschaft oder anderen unbeliebten fundamentalistischen Gruppen übernommen wurden. (…)

Warum sehen diese syrischen Oppositionsaktivisten angesichts dieser düsteren Liste von Hindernissen noch einen Hoffnungsschimmer? Hier sind ihre Antworten: Erstens wird das Assad-Regime zunehmend von internen Rissen auf hoher Ebene zerrissen (…)

Drittens sehen sie, ungeachtet meiner eigenen skeptischen Einwände, eine Möglichkeit, in Syrien einen Keil zwischen Russland und den Iran zu treiben. Russland sei in erster Linie an einem Zugang zum Mittelmeer interessiert, der nicht von Assads persönlichen Machterhalt abhängt. Der Iran hingegen sieht Syrien als integralen Bestandteil einer weitaus ehrgeizigeren, von Teheran aus gelenkten expansiven, israelfeindlichen und islamisch-revolutionären Strategie, für die Assad und sein unmittelbares Umfeld unverzichtbare Kollaborateure sind. Daher können sich meine syrischen Gesprächspartner eine Trennung der Wege  der beiden Länder vorstellen, wenn Assad durch einen syrischen Militärrat ersetzt werden könne, der bereit sei, den begrenzten russischen, nicht aber den apokalyptischen iranischen Bestrebungen für dieses Land entgegenzukommen.

(Aus dem Artikel „Iran Nuke Deal or Not, Some Syrians Still See Assad’s Fall“, der auf der Webseite des Washington Institute for Near East Policy zu finden ist. Übersetzung von Florian Markl.)

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