Der Schmuggel der hauptsächlich in Syrien massenweise hergestellten Aufputschdroge verbreitet sich immer weiter über den Nahen Osten und stellt auch eine Gefahr für Israel dar.
Das israelische Verteidigungsministerium hat kürzlich einen Versuch vereitelt, Tausende von Captagon-Tabletten in den Gazastreifen zu schmuggeln. Die Pillen, die in einer Lieferung von Bürokühlschränken versteckt waren, befanden sich auf dem Weg aus dem Westjordanland, als sie von israelischen Sicherheitskräften am Grenzübergang Tarqumiyah beschlagnahmt wurden.
Das umgangssprachlich als »Kokain des kleinen Mannes« bezeichnete Captagon ist ein amphetaminartiges Aufputschmittel, das in der Levante vor allem in Syrien hergestellt und hauptsächlich in Jordanien und den Golfstaaten gehandelt wird. Wie der Drogenfund in Israel bestätigt, dehnt sich der Captagon-Handel in jüngster Zeit immer weiter aus, sodass er sich langsam, aber sicher, zu einem umfassenderen regionalen Problem entwickelt, das ein koordiniertes Eingreifen verdient, wie die Foundation for Defense of Democracies in einer Analyse festhält.
Die Captagon-Industrie konzentriert sich auf Syrien und den Libanon, wo Bürgerkrieg, finanzieller Zusammenbruch und die lähmenden Auswirkungen der internationalen Sanktionen das Regime von Baschar al-Assad und die Hisbollah in finanzielle Probleme gestürzt haben. Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen griffen die iranischen Stellvertreter auf die Produktion und den Verkauf von Captagon zurück, was sich mittlerweile als wahrer finanzieller Segen für sie erwiesen hat.
Regionale Daten über Captagon-Beschlagnahmungen aus dem Jahr 2021 beziffern den Handel auf über 5,7 Milliarden US-Dollar und stellen damit den Gesamtwert der legalen syrischen Ausfuhren in den Schatten. Die Gewinne fließen direkt in die Kassen von Assad und seinen Getreuen und bilden einen finanziellen Rettungsring für ein ansonsten wirtschaftlich marodes Regime. Dem ehemaligen US-Sondergesandten für Syrien zufolge würde »das Assad-Regime den Verlust der Captagon-Einnahmen nicht überleben«.
Nicht mehr hauptsächlich Saudi-Arabien
Von den Produktionszentren in Syrien und im Libanon wird Captagon in erster Linie über den Landweg durch Jordanien an den Golf transportiert, wo Saudi-Arabien als größter Abnehmer gilt. In Jordanien stellt das wachsende Ausmaß des Drogenhandels ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko dar und könnte sogar ein Vorbote einer Gesundheitskrise sein. Im vergangenen Jahr beschlagnahmten jordanische Beamte über 54 Millionen Captagon-Pillen, wobei sie allein im April mehr beschlagnahmen konnten als im gesamten Jahr 2021 zusammen.
Alarmierend ist dabei nicht nur der Anstieg der Schmuggelaktivitäten, sondern auch, dass der Verbrauchermarkt in Jordanien selbst wächst. Früher sei Jordanien bloß ein Transitland gewesen, »aber jetzt ist es ein Aufnahmeland«,klagt etwa der Generalsekretär des jordanischen Wirtschafts- und Sozialrats.
Die gemeinsame Bedrohung durch den syrischen Captagon-Handel könnte Israel und Jordanien Anlass geben, ihren oft kalten Frieden wieder aufzuwärmen. Dass die politischen Entscheidungsträger planen, Saudi-Arabien in das Abraham-Abkommen einzubeziehen, könnte auch eine Chance für Jordanien sein, an dessen Stabilität sowohl Jerusalem als auch Riad großes Interesse haben; eine Stabilität, die nicht zuletzt durch den mit Assad in Verbindung stehenden Drogenhandel untergraben zu werden droht.