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Sarah El Bulbeisi und die Heinrich-Böll-Stiftung: Die Palästinenser als Opfer des Holocaust (Teil 2)

Sarah El Bulbeisi darf bei der Heinrich-Böll-Stiftung die Palästinenser als Opfer des Holocaust verkaufen
Sarah El Bulbeisi darf bei der Heinrich-Böll-Stiftung die Palästinenser als Opfer des Holocaust verkaufen (© Imago Images / Jürgen Ritter)

Über Palästinenser soll laut Sarah El Bulbeisi nur als Opfer gesprochen werden, über Juden nur als Täter, den Antisemitismusvorwurf findet sie schlimmer als den Antisemitismus.

Sarah El Bulbeisi liebt die Ordnung. Ihr ist es wichtig, alle Palästinenser über einen Kamm scheren zu können. Die »erste Generation« der Flüchtlinge etwa sei von »Melancholie« geprägt gewesen, schreibt sie in ihrem Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung und fährt fort: »Deren – gesellschaftlich verursachte und für sich selbst verinnerlichte – Unsichtbarkeit schrieb sich als emotionale Abwesenheit in die Beziehung zu ihren Kindern ein. Dies trug maßgeblich dazu bei, wie traumatische Erfahrung an sie weitergegeben wurde: Um Beziehung aufzubauen, mussten sie ihre Eltern als Subjekte zuerst herstellen. Dies führte zu einer Umkehrung der sozialen Rollen zwischen Eltern und Kindern und manifestierte sich im Versuch der Kinder, mit ihren Eltern zu verschmelzen und diese aus ihrer Abwesenheit zu holen.«

Wie ein allwissender Erzähler in einem Roman kann El Bulbeisi in die Köpfe und Herzen der Figuren blicken, von denen sie erzählt. Die Europäer, die jüdischen Israelis und vor allem die Palästinenser, El Bulbeisi kennt sie alle in- und auswendig. Menschen haben bei ihr keine Individualität, sondern sind ausschließlich Vertreter eines Kollektivs, nämlich eines Volks. 

»Palästinensischsein«, sinniert sie, »ist ein Diskurs, den das Unsichtbarmachen hervorbringt, die Reaktion auf eine diskursiv-normative Gewalt, welche PalästinenserInnen dehumanisiert. Die (diskursiv-normative) Gewalt und das Ausmaß ihrer Auswirkung auf die Palästinenser in Deutschland und in der Schweiz wird deshalb nicht nur ersichtlich im Umstand, wie sehr die erzählenden (und erzählten) Subjekte sich mit diesen dehumanisierenden Diskursen identifizieren, sondern auch, wie sehr sie vom Palästinensischsein als Diskursfigur verschluckt werden.«

Endlich sagt’s mal einer. – Millionen Menschen, eine einzige Diagnose. El Bulbeisi weiß am besten, was den Palästinensern fehlt. Ihr publizistisches Werk kreist um die Idee, die Palästinenser litten allesamt unter einem »Trauma«, das Trauma von 1948. Sie hat für ihre Dissertation Interviews mit einigen echten Menschen geführt, im Grunde aber hält sie sie bloß für Patienten, die alle an derselben Krankheit litten und alle dieselben Symptome zeigten. Kennt man einen, kennt man alle.

Doktorin El Bulbeisi verschreibt folglich allen die gleiche Arznei: Was sie bräuchten, sei nicht etwa ein Leben in Freiheit, Würde und Wohlstand, sondern dass die »systematische Vertreibung von Palästinenser*innen im Zuge der israelischen Staatsgründung« 1948 »als Folge des Nationalsozialismus diskutiert« und »betrauert« werde. Wichtigere Sorgen haben die Palästinenser angeblich nicht.

Und täglich grüßt die Nakba

In ihrem Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung schreibt El Bulbeisi: »Die Nakba wird mittlerweile von Palästinenser*innen nicht mehr nur als eine traumatische Zäsur, sondern als traumatischer Prozess der Vertreibung und Enteignung verstanden, der sie seit 1947 bis heute in den besetzten Gebieten, aber auch in Israel selbst anhaltend ausgesetzt sind.« Kein Wort über die Verantwortung der arabischen Führer, die wie Amin al-Husseini mit Hitler kollaborierten oder wie Abdul Rahman Azzam Pasha, der Generalsekretär der Arabischen Liga, damit prahlten, sie würden nach dem 15. Mai 1948 einen »Vernichtungskrieg und ein folgenschweres Massaker« verüben, »von dem man sprechen wird wie von den Massakern der Tataren oder den Kreuzrittern«.

An allem sollen die Juden schuld sein. Jeder, der sich beim Versuch, sie ins Meer zu treiben, einen Schnupfen geholt hat, betrauere sein Leid. Das bringt El Bulbeisi geradewegs zum Holocaust. Auch die Palästinenser seien irgendwie dessen Opfer. Schließlich litten sie doch an Israel, und Israel sei ja eine »Folge des Nationalsozialismus«. »Obwohl zutiefst verflochten mit der Geschichte des Nationalsozialismus«, werde »die Nakba aus dem deutschen kollektiven Gedächtnis und öffentlichen Diskurs ausgegrenzt, israelische Staatsgewalt weitgehend tabuisiert«, so El Bulbeisi. Die »Nakba und die Shoa« würden »nicht als Teile desselben historischen Prozesses gedacht«.

Darüber, dass die Araber 1947/48 den Krieg vom Zaun brachen, den sie dann verloren haben, will El Bulbeisi gar nicht reden. Für sie gab es keinen Krieg, sondern nur Vertreibungen. Die angebliche »systematische Vertreibung von Palästinenser*innen im Zuge der israelischen Staatsgründung« müsse »als Folge des Nationalsozialismus diskutiert« und »betrauert« werden. Der Nationalsozialismus wird bei El Bulbeisi zu Israels einzigem Existenzgrund. So, als hätte der Völkerbund, als er Großbritannien 1920 das Mandat zur Schaffung einer nationalen Heimstätte für die Juden der Welt in Palästina gab, den Nationalsozialismus und Auschwitz schon voraussehen können. 

Diese Geschichtsklitterung dient mehreren Zwecken zugleich: 

  • Israel wird zum Teil einer Katastrophe erklärt, hätte also besser gar nicht erst gegründet werden sollen.
  • Als angebliche Folge des Verlaufs der europäischen Geschichte wird Israel zu einem europäischen Projekt, einem Fremdkörper in der Region stilisiert.
  • Wären die Palästinenser tatsächlich Opfer der europäischen Geschichte zwischen 1933 und 1945, wären Fragen nach der Schuld ihrer Führer von vornherein der Boden entzogen.
  • Der Holocaust wird entwertet, indem jeder Palästinenser, mag er auch in der Gegenwart in Deutschland oder der Schweiz leben oder womöglich noch nicht einmal geboren sein, in die Nähe von Opfern des Nationalsozialismus gerückt wird.

El Bulbeisi und der »Diskurs«

Würden sie nicht genügend »betrauert«, hätte dies »für Palästinenser*innen in Deutschland« Folgen, die »gravierend« seien, mahnt El Bulbeisi. Sie nennt als Beispiel palästinensische Flüchtlinge, die aus dem Libanon nach Deutschland geflohen waren und dort nur geduldet wurden, sodass sie jederzeit abgeschoben werden könnten: »Viele lebten jahrelang mit gepackten Koffern in ihrer Wohnung; zu jedem gegebenen Zeitpunkt hätte man sie zwingen können, Deutschland zu verlassen.«

Das ist offensichtlich nichts, was spezifisch für das Schicksal von Palästinensern in Deutschland wäre, also muss El Bulbeisi ein anderes Argument finden, warum diese angeblich darunter zu leiden hätten, nicht als Opfer des Nationalsozialismus »betrauert« zu werden. El Bulbeisi hat eine weitere Idee: Es gebe in Deutschland einen »Diskurs«, der ihnen »Gewalt« antue, weil er sie »unsichtbar« mache und »entmenschliche«. Was für ein »Diskurs« mag das sein?

Was sie stört, sind Meinungen, von denen sie schon einmal gehört haben will und die sie nicht goutiert. Da sei etwa »eine Opfer-Täter-Dichotomie, in der sie«, also die Palästinenser, »auf die Position des Täters fixiert« würden. In Wahrheit ist es freilich so, dass die deutschsprachigen Medien in der Regel Israel als Täter darstellen und dabei nicht selten Behauptungen der Hamas übernehmen

Natürlich hat El Bulbeisi ein Recht auf ihre eigene Weltsicht, doch genau dieses Recht spricht sie anderen ab. Wenn sie der »Diskurs« stört, meint sie damit, es wäre besser, würden alle Deutschen und Schweizer ihre Meinung teilen. Vieles von dem, was sie am »Diskurs« stört, ist dabei von ihr selbst frei erfunden. So behauptet sie etwa ohne Beleg, Palästinenser würden im deutschen »Diskurs« als »bedrohliche Wilde« dargestellt: »In immer neuen Variationen werden sie als bedrohliche ›Wilde‹, Terroristen, islamistische Extremisten und Antisemiten Israel als Teil der sogenannten christlich-jüdischen, abendländischen Kultur und Wertegemeinschaft gegenübergestellt. Die Figur des gewalttätigen Palästinensers verkörpert die moralische Devianz zur westlichen Zivilisation.«

Das Märchen von den »bedrohlichen Wilden« hat, wie man sieht, eine Funktion: Die Vorstellung, es könnte Palästinenser geben, die Terroristen, islamistische Extremisten und Antisemiten sind, wird als ähnlich lächerlich dargestellt wie das an das wilhelminische Kaiserreich erinnernde Reden von »bedrohlichen Wilden« – ein Topos, den El Bulbeisi selbst erfunden hat. Der Diskurs, den El Bulbeisi anstrebt, ist also einer, in dem über Antisemitismus und Terrorismus geschwiegen wird – zumindest, wenn Palästinenser im Spiel sind.

Deutschland schlimmer als Syrien

Palästinenser leiden, wenn man El Bulbeisi Glauben schenken darf, ganz furchtbar in Deutschland: »Für Palästinenser*innen in Deutschland verschwimmen die Grenzen des ›hier‹ wie ›dort‹ zusehends: sie fühlen sich – wie Palästinenser*innen im historischen Palästina – nicht als Menschen gesehen, ihres Bürgerstatus beraubt.«

Nicht in Syrien oder im Libanon also werden sie unmenschlich behandelt und ihrer Bürgerrechte beraubt, sondern in der Bundesrepublik Deutschland. Noch schlimmer ist nur die Schweiz: Dort werde »die koloniale Erfahrung im historischen Palästina – die Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft und Identität – auf einer symbolischen Ebene fortgesetzt und wiederholt«.

Nicht der Antisemitismus gehört nach El Bulbeisi bekämpft, sondern der »Antisemitismus-Vorwurf«. Um den zu exemplifizieren, hat sie sich ausgerechnet die Pogromstimmung vom Sommer 2014 zum Sujet gemacht. Nachstehend einige Presseberichte aus jener Zeit:

  • Zeit Online, 21. Juli 2014: »In Berlin bedrohten Pro-Palästina-Aktivisten … am Samstag ein israelisches Ehepaar. Der Kippa-tragende Mann und seine Frau kreuzten eine Demonstration der Aktivisten, daraufhin brüllte die Menge ›Nazimörder Israel!‹, ›Scheiß Juden, wir kriegen Euch!‹ und ›Wir bringen euch um!‹ Bei den Slogans blieb es nicht: Einige Teilnehmer versuchten, die Israelis anzugreifen, Polizeibeamte mussten das Paar abschirmen. Die beiden waren nach eigener Aussage nach Berlin gereist, um dem Gaza-Konflikt für ein paar Tage zu entfliehen.«
  • Spiegel Online, 23. Juli 2014: »De[r] Antisemitismus in diesen Tagen. In Berlin skandierten Demonstranten ›Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein‹. In Essen wird wegen der Vorbereitung eines Anschlags auf die Synagoge ermittelt. In Hannover und Hamburg wurden proisraelische Demonstranten mit Tritten und Schlägen angegriffen.«
  • Deutsche Welle, 30. Juli 2014: »Telefone stünden nicht still, Briefkästen und E-Mail-Postfächer seien voll: ›Wir werden beschimpft, beleidigt, bedroht und auch körperlich angegriffen‹, sagte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland [Charlotte Knobloch; Anm. Mena-Watch]. ›Wir Juden erleben in diesem, unserem Lande die bedrohlichste und kummervollste Zeit seit 1945.‹« 

Für El Bulbeisi ist klar, was hier der Missstand ist: der »Antisemitismus-Vorwurf« und »die Angst, des Antisemitismus bezichtigt zu werden«. In ihrem Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung schreibt sie über den Sommer 2014 in Deutschland: »Palästinenser*innen in Deutschland, die dagegen [gegen Israel; Anm. Mena-Watch] protestierten, verschwanden als Menschen in der Repräsentation eines antisemitischen palästinensischen Kollektivsubjekts. Dies verstärkte das Gefühl des Misstrauens gegenüber der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen waren, und das Gefühl, im Land ihrer Kindheit im Exil zu leben. Hatten viele Palästinenser*innen zweiter Generation davor mangelnde Empathie noch mit Unwissenheit entschuldigt, deuteten sie sie nun als anti-palästinensischen Rassismus.«

Wer damals den Antisemitismus thematisierte, der machte sich aus El Bulbeisis Sicht des »anti-palästinensischen Rassismus« schuldig. Unwissend und empathielos sei er obendrein. Sie will nicht, dass über Antisemitismus geredet wird, weil man damit den Antisemiten Unrecht tue. Im Januar sagte sie im österreichischen Radio: »Es ist auch nicht die Zeit jetzt, um über die Shoah nachzudenken und über Antisemitismus nachzudenken. Es ist jetzt die Zeit, über antipalästinensischen Rassismus nachzudenken.«

Über Palästinenser soll nur als Opfer gesprochen werden, über Juden nur als Täter. Das ist der Kern des publizistischen Werks von Sarah El Bulbeisi. Sie will nicht über die Shoah nachdenken. Den »Genozid an den europäischen Jüdinnen und Juden« dürfe man nicht »privilegieren«. Sie verbittet sich jegliche Kritik am palästinensischen Antisemitismus und Terrorismus, weil diese rassistisch sei. Orientalistisch und imperialistischsowieso. 

El Bulbeisis Masche lautet: Akzeptanz durch Larmoyanz. Die Palästinenser hätten lange genug darunter gelitten, dass die Deutschen ihnen die Juden aufgebürdet hätten. Es müsse nun Schluss sein mit sogenannten »Tabus«; den Staat Israel, angebliche Quelle des »Traumas« eines jeden als »Palästinenser« Geborenen, will sie mit »Trauer« bekämpfen. Es ist ein neues Codewort für den alten Hass. 

Heinrich-Böll-Stiftung verschämt?

Die Heinrich-Böll-Stiftung schämt sich offenbar ein klein wenig dafür, El Bulbeisi um einen Beitrag gebeten zu haben. Über ihrem Text ist folgender Warnhinweis zu lesen: »Der nachstehende Gastbeitrag sollte im Rahmen einer Artikelserie erscheinen, die verschiedene Stimmen zu den Debatten nach dem Terroranschlag auf Israel am 7. Oktober in Deutschland widerspiegelt. Der Beitrag sollte nicht zum jetzigen Zeitpunkt veröffentlicht werden, da die Artikelserie noch in Arbeit ist und die Endredaktion noch nicht abgeschlossen ist. Wie alle Beiträge des geplanten Dossiers gibt er nicht die Position der Heinrich-Böll-Stiftung wieder.«

Die Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht also ausschließlich Beiträge, deren Position sie nicht teilt. Ihre eigene ist eine andere, bleibt aber geheim. Die Stellungnahme ist wirr: Wenn El Bulbeisis Beitrag »nicht zum jetzigen Zeitpunkt veröffentlicht werden« sollte, warum hat die Heinrich-Böll-Stiftung ihn dann veröffentlicht? Will sie die Veröffentlichung wie einen Unfall aussehen lassen? Warum kann man El Bulbeisis Text nicht zurückziehen? Das hat wohl mit der für diese Institution typischen Äquidistanz zu tun; man will es beiden Seiten recht machen: den Juden und den Antisemiten.

Literatur:

Sarah El Bulbeisi: Tabu, Trauma und Identität. Subjektkonstruktionen von PalästinenserInnen in Deutschland und der Schweiz, 1960–2015. Bielefeld 2020.

Teil 1 des Artikels finden Sie hier.

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