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Die digitalen Brunnenvergifter: Wenn Antisemitismus Online geht

Antisemitische Karikatur der jüdischen ehemaligen französischen Gesundheitsministerin Agnes Buzyn
Antisemitische Karikatur der jüdischen ehemaligen französischen Gesundheitsministerin Agnes Buzyn (Quelle: Twitter Arnaud Mercier)

Im Zuge der Corona-Krise hat sich der Antisemitismus international zusätzlich verschärft. Die Cyberwelt mit ihren weitgefächerten Streufähigkeiten und ihren mannigfachen Schlupfwinkeln bietet, wie sich zeigt, das ideale Umfeld zur Verbreitung judenfeindlicher Hassparolen.

Man möchte meinen, die Menschheit hätte sich seit dem Mittelalter oder zumindest seit dem letzten Jahrhundert grundlegend verändert. Sie hätte aus den schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit gelernt, hätte Vorurteile und Aberglauben abgebaut. Und würde nun endlich in Krisenzeiten auf zielführenden und nachweislich auch wohltuenden Zusammenhalt statt auf Hass und Zwiespalt setzen.

Tja, das möchte man meinen. Allerdings hat uns die Corona-Krise auch hier eines Schlechteren belehrt. Grell und grimmig führt uns die Pandemie nun nämlich nicht nur die Mängel unserer medizinischen Kenntnisse, sondern auch jene unserer Zivilisationsentwicklung vor Augen.

Es gibt jede Menge wirrer Verschwörungstheorien über die Entstehung und Verbreitung des COVID-19-Virus. Eine besonders wirre Variante, allerdings, ist jene, die sich auf die Juden und Israel bezieht.

Klar, besonders originell ist sie nicht. So wurden bekanntlich die Juden für die Verbreitung der mittelalterlichen Pest verantwortlich gemacht. Jetzt wird ihnen eben Schuld am COVID 19-Virus gegeben. Neu sind lediglich die Medien, auf denen den üblen Diffamierungen Ausdruck verliehen wird. Die meisten findet man nämlich auf Social Media. Das jedenfalls belegt ein Studie des britischen Community Security Trusts (CST).

Fünf antisemitische Zugänge

Die Studie, die antisemitische Social Media Posts, Kommentare und Memes analysiert, hat im Bezug auf Corona fünf unterschiedliche anti-jüdische Zugänge ausgemacht:

Fake News

Der eine oder andere antisemitische Verschwörungstheoretiker beteuert, die Story sei einfach erlogen. Pandemie? Von wegen! Corona sei nichts weiter als ein von geldgierigen Juden in die Welt gesetztes Gerücht. In Wirklichkeit würden sie sich bloß an Impfungen und Insolvenzen zu bereichern suchen.

Böse Absicht

Andere virulente Antisemiten, räumen zwar ein, das Virus existiere, würde aber von Juden kreiert und verbreitet worden sein, um ihrer obskure, zionistische Agenda zu fördern. „Die Weisen von Zion“ lassen grüßen.

Jew Flu“

Wiederum andere, oder vielleicht sind es ja auch dieselben Judenhasser, die sich auf mehrfache Weise äußern, machen aus der „Wu Flu“ (in Anspielung an Wuhan) die „Jew Flu“ und versichern, Juden seien die Hauptträger der Krankheit.

Die Gründe für diese Aussage sind nicht nur unterschiedlich, sondern auch gegensätzlich. Denn hier wird Juden sowohl genetische Unter- als auch Überlegenheit unterstellt. Einerseits wird behauptet sie würden, aufgrund ihrer großen Nasen, eher krank werden als andere, anderseits wird der Verdacht gestreut, dass Juden die Krankheit zwar weitergeben, selbst aber gesund bleiben.

Jubel

Und weil interne Logik im antisemitischen Sumpf rasch untergeht, jubeln manche Hasser über die Nachricht, dass in vielen Ländern eine überproportionale Anzahl jüdischer Patienten an Corona sterben.

Holocough-Mordaufruf

Tja, und dann gibt es noch jene, die das Virus als praktische Waffe einsetzen wollen, um Juden zu töten. Je mehr, desto besser. Dafür haben sie dann auch einen schmucken kleinen Reim geschrieben und nutzen das sinnige Stichwort: Holocough.

Antisemitismus in diversen Geographien und Demographien

Leider sind diese Fundstücke der CST keine Einzelfälle, und leider lassen sich die antisemitischen Ausfälle weder auf eine bestimmte Geografie noch auf eine spezifische Demographie beschränken.

So berichtet beispielsweise Stefanie Schüler-Springorum im Spiegel von in Deutschland kursierenden Verschwörungstheorien mit deutlich antijüdischen Untertönen. Besonders bedenklich findet sie, dass eben diese Theorien nun auch bei der Mainstream-Bevölkerung offene Ohren finden.

Ähnliches beklagt auch Felix Klein. Der deutsche Regierungsbeauftragte zur Bekämpfung des Antisemitismus berichtet beispielsweise, dass online Behauptungen im Umlauf sind, wonach die Pandemie auf einen fehlgeschlagenen Biowaffentest des Mossad zurückzuführen sei.

In den USA beobachten die Behörden im Zuge der Pandemie ebenfalls eine bedenkliche Steigerung des Judenhasses.

So bringt beispielsweise David Clarke die „FLU Panic“ ausgerechnet mit George Soros in Verbindung. Dass es der Milwaukee County Sheriff, der mittlerweile stolze 914.000 Follower hat und als Liebling der rechtsextremen Szene gilt, auf den jüdischen Milliardär abgesehen hat, ist nicht weiter verwunderlich. Dass sein abstruser Tweet 1.600 Retweets und 4.500 Likes generieren konnte, wohl auch nicht.

Kopfzerbrechen macht Beobachtern unter anderem auch das „Zoombombing“ jüdischer Institutionen. So wurden beispielsweise die Sessions einer jüdischen Schule in Philadelphia gehackt. Ähnliche Angriffe auf Synagogen und andere jüdische Institutionen stehen ebenfalls auf der Tagesordnung.

Antisemitisches Gift wird online gestreut

Was all diese widrigen Hassangriffe gemeinsam haben? Sie streuen ihr antisemitisches Gift online. „In dieser neue Ära der ‚sozialen Isolation’, werden online Medien noch mächtiger“, meint Rita Katz, die Direktorin von SITE Intelligence. Rechtsextremisten wären bereits sehr geübt in der Nutzung der Online-Tools um Fehlinformation und Hetzparolen zu verbreiten. Die COVID-19 Krise böte ihnen nun eine noch nie dagewesene Chance, die wiederum eine „organisierte Antwort“ verdiene, so Katz weiter.

Tatsächlich gibt es hier bereits erste gezielte Antworten und Gegenmaßnahmen. Mehr dazu in einem nächsten Beitrag.

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