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Brandanschlag in Jaffa: Wenn die Tat interessiert, der Täter aber nicht ins Programm passt

Straße im Tel Aviver Stadtteil Jaffa
Straße im Tel Aviver Stadtteil Jaffa (© Imago Images / CTK Photo)

Nach dem Brandanschlag auf das Haus einer arabischen Familie in Jaffa waren viele sofort mit Anschuldigungen zur Stelle – und sind nach der Verhaftung des Tatverdächtigen verräterisch still.

Jaffa, im Mai 2021. Hundert Jahre nach dem antijüdischen Pogrom von 1921 brennen in der Stadt wieder Häuser. Am Sonntag, den 16. Mai, berichteten israelische Medien, dass ein 12-jähriger arabischer Junge aus Jaffa namens Muhammad schwere Verbrennungen erlitten hatte, nachdem ein zunächst unbekannter Täter in dem Viertel Ajami, wo Araber und Juden leben, auf das Haus der Familie des Jungen einen Brandanschlag mit Molotowcocktails verübt hatte.

Muhammads Schwester wurde leicht verletzt. Ein Video, das Muhammad zeigt, wie er kurz nach der Tat benommen und mit Brandverletzungen durch die Wohnung geht, geht im Internet viral.

Muhammad wurde von Ärzten des Sheba Medical Center in Ramat Gan, dem größten Krankenhaus Israels, operiert. Gegenüber einem Reporter der Nachrichtenwebsite Times of Israel sagte einer der Ärzte, Muhammad habe bei seinem Eintreffen im Krankenhaus Verbrennungen an „zwölf Prozent“ der Haut gehabt, zudem habe er eine Rauchvergiftung erlitten und musste in ein künstliches Koma versetzt und künstlich beatmet werden. Der Arzt äußerte sich zuversichtlich, dass Muhammad wieder vollständig gesund wird.

Tatverdächtiger festgenommen

Als dringend Tatverdächtigen nahm die Polizei einen Tag später – also am Montag – einen arabischen Mann „in den Zwanzigern“ fest, wie die Tageszeitung Haaretz und Ynet News, die englischsprachige Website der größten israelischen Tageszeitung Jedioth Ahronoth, berichteten. Aufnahmen einer Überwachungskamera hätten ihn überführt, nach einem Komplizen werde noch gefahndet, sagte Polizeisprecher Mickey Rosenfeld.

Den Zeitungsberichten zufolge will Muhammads Vater nicht glauben, dass ein Araber den Anschlag verübt hat:

„Ein Araber zündet keinen Araber an, und ein Jude zündet keinen Juden an. Wir hatten Eid [al-Fitr-] Lichter am Fenster, das ist ein Zeichen, dass wir Araber sind, und trotzdem haben sie den Molotowcocktail geworfen.“

Die Polizei hat allerdings laut Haaretz ermittelt, dass die Lichter wegen eines Defekts nicht geleuchtet hatten. Zudem seien zur Tatzeit in derselben Nachbarschaft noch weitere Molotowcocktails geworfen worden – auf die Häuser von Juden.

Schon am Sonntag, bevor die Polizei irgendeinen Tatverdächtigen ermittelt hatte, waren in den sozialen Medien Schlüsse gezogen und Juden des Kindermordes bezichtigt worden. „In Jaffa haben Siedler ein Kind bei lebendigem Leib verbrannt“, twitterte Carmen Joukhadar, eine Reporterin des arabischsprachigen Programms von Al-Jazeera und des staatlichen französischen Auslandssenders France 24 auf Arabisch. Der Tweet wurde Tausende Male weiterverbreitet.

Ähnlich äußerte sich auf Twitter die Journalistin und Romanschriftstellerin Rula Jebreal. Jebreal ist laut ihrem Verlag Random House „eine preisgekrönte italienisch-palästinensische Journalistin, ihre Spezialgebiete sind Außen- und Zuwanderungspolitik. Geboren in Haifa, in Italien viele Jahre als Nachrichtensprecherin tätig, lebt sie heute in New York.“ Genau genommen hat sie neben der italienischen die israelische Staatsbürgerschaft, aber die ist ihr wohl etwas peinlich.

Jebreal ist eine Berühmtheit: Sie ist, wie die Kolumnistin Petra Marquardt-Bigman einmal schrieb, eine „Medienpersönlichkeit“, die den „Status einer Prominenten beanspruchen kann“. Jebreal war schon Thema einer Fotostory in Vogue und auf der Modeseite der New York Times, die New York Post berichtete über ihre Hochzeit. Wenn Jebreal zu ihren 167.000 Followern auf Twitter spricht, wird das gehört. Über den Brandanschlag von Jaffa schrieb sie:

„Ein 12-jähriger palästinensischer Junge wurde in Jaffa von einer Brandbombe verbrannt. WARNUNG, diese Bilder sind herzzerreißend. Diese Menschenrechts-Gräueltat wurde von Mobs jüdischer Rassisten verübt, unterstützt von der Polizei. Ihr Ziel: Kinder in Brand zu stecken, wegen des Verbrechens, als Palästinenser geboren zu sein.“

Dieser Tweet und ähnlich lautende Geschichte über Siedler”, die ein Haus angezündet hätten, wurde über die sozialen Medien unzählige Male weiterverbreitet. Ein Twitter-Nutzer will erfahren haben, dass der Anschlag verübt worden sei, obwohl die örtliche Moschee extra die Araber aufgefordert habe, alles von ihrem Haus zu entfernen, was auf ihre arabische Identität hindeutet, wie etwa die Eid-al-Fitr-Dekoration – “damit die Siedler ihnen nichts antun”.

Das Video von dem verletzten Muhammad am Tatort wurde massenhaft auf Twitter gepostet, dazu setzten viele Nutzer die Hashtags #GenocideInGaza und #IsraelTerrorist sowie einen kettenbriefartig kopierten Text, der lautet:

„Wir werden uns nicht für den heiklen Inhalt entschuldigen. Die Welt muss sich dafür entschuldigen, dass sie einen neuen Holocaust in Palästina zulässt. Zwei Kinder wurden heute in ihrem Haus in Jaffa von israelischen Siedlern bei lebendigem Leib angezündet.”

Verräterisch still

Auf eine Anfrage von Mena-Watch, ob sie im Lichte der neuen Erkenntnisse ihre Behauptungen zurückziehen oder sich sogar entschuldigen werden, haben Carmen Joukhadar und Rula Jebreal bislang nicht geantwortet.

Auch sonst wird die Meldung, dass die Polizei einen arabischen Tatverdächtigen festgenommen hat, kaum wahrgenommen. Von denen, die in den sozialen Medien Hass auf Juden schüren wollen, ohnehin nicht: Immer noch wird das Video des Brandopfers mit dem begleitenden Text von dem „neuen Holocaust in Palästina” verbreitet.

Auch France 24, der Sender, für den Carmen Joukhadar arbeitet, ist noch nicht auf dem neuesten Nachrichtenstand. So berichtete France 24 am Montag zwar über die Verhaftung eines Tatverdächtigen, aber nicht, dass es sich um einen Araber handelt. Stattdessen lautet die Meldung – die innerhalb einer längeren Reportage über „arabisch-jüdische Unruhen“ in Jaffa steht:

„Ein 12-jähriger muslimischer Junge wurde ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem eine Brandbombe in seine Wohnung geworfen worden war, ein Anschlag, der am Montag zur Verhaftung einer nicht namentlich bekannten Person führte. Verängstigte muslimische Nachbarn beeilten sich, ihre Ramadan-Dekorationen zu entfernen.“

Auf tagesschau.de schrieb Benjamin Hammer, der Korrespondent des Bayerischen Rundfunks (BR) im ARD-Studio Tel Aviv, sogar noch am Mittwoch: „In Jaffa wurde ein arabischer Junge durch einen Brandsatz schwer verletzt.“ Hammer nannte, weil es zu der Botschaft seines Textes von den „Extremisten auf beiden Seiten“ passt, die Tat in einem Atemzug mit dem Brandanschlag auf eine Synagoge in Lod.

Dass ein Araber verdächtig ist, den Brandsatz geworfen zu haben, der den arabischen Jungen schwer verletzte, verschwiegen Hammer und die ARD, obwohl dies zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon zwei Tage lang bekannt war. Wie Mark Twain sagte: „Eine Lüge kann um die halbe Welt reisen, während die Wahrheit sich noch die Stiefel schnürt.”

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