Der Rückblick auf das Jahr 2024 schnürt Israelis wegen der Gefallenen des Gaza-Kriegs die Kehle zu. Darüber hinaus verzeichnet das Land ausgerechnet jetzt auch in anderen Bereichen viele Todesopfer.
Der Gedenktag für gefallene Soldaten und Terroropfer, den Israel im Mai 2024 beging, veranschaulichte erneut das Ausmaß des Hamas-Überfalls vom 7. Oktober 2023. Die Liste der Gefallenen und Terroropfer, die seit 1860 geführt wird, als die ersten jüdischen Jerusalemer die sichere Altstadt verließen, um außerhalb der Mauern neue Wohnviertel zu gründen, verzeichnete im vergangenen Frühjahr 25.034 Israelis, die in Ausübung ihres Dienstes oder wegen Terrorakten ums Leben kamen.
Die Zahl der von Mai 2023 bis Mai 2024 Gefallenen beläuft sich auf 760 Personen. Hinzu kamen 61 Veteranen, die wegen Komplikationen in Zusammenhang mit ihren Verletzungen verstorben waren. Für den Zeitraum von 7. Oktober 2023 bis Ende 2024 trauert Israel um insgesamt 891 Gefallene. Dieser Statistik müssen 834 ermordete israelische Zivilisten hinzugefügt werden, 822 im Zuge des Hamas-Pogroms vom Herbst 2023, durch das die Gesamtzahl der zivilen Terroropfer um präzedenzlose zwanzig Prozent in die Höhe schnellte.
Lesen oder hören Israelis in den Medien eine bestimmte Redewendung, wissen sie, dass darauf der Name eines toten Soldaten folgt. Israelis, die gegenwärtig mit großen Herausforderungen ringen – beispielsweise, dass in lediglich vier von 1.267 Städten, Dörfern und Kibbuzim des Landes im Jahr 2024 kein Luftalarm ausgelöst werden musste –, stöhnen spätestens bei den näheren Angaben auf: Wieder ein Leben zu früh beendet, entweder das eines jungen Mannes, der gerade erst dabei war, sich ein eigenes Leben aufzubauen, oder aber das eines Berufssoldaten bzw. Reservisten, der über trauende Eltern und Geschwister hinaus auch eine Witwe und Kinder hinterlässt.
Im Kalenderjahr 2024 musste Israel 363 gefallene Soldaten beklagen, von denen fast 300 bei militärischen Operationen und elf bei Terroranschlägen ihr Leben verloren. Hinzu kommen tote Armeeangehörige infolge von Unfällen, Krankheit und Suizid. Wie die Presseabteilung der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) betonte, ging die Zahl der Gefallenen gegenüber dem Vorjahr trotz der im Oktober eingeleiteten Bodenoperationen im Libanon zurück.
Relationen
Blickt man auf Israels Kriege, so handelt es sich bei zwei der bisherigen Konflikte um solche, die trotz ihrer begrenzten Dauer und Kriegshandlungen mehr Gefallene forderten als der 2024 geführte Krieg gegen Hamas und Hisbollah: der Sechs-Tage-Krieg von 1967 mit 1.077 und der neunzehn Tage dauernde Yom-Kippur-Krieg von 1973 mit 2.609 Gefallenen. Mit 891 Gefallenen seit Beginn der Kampfhandlungen durch das Hamas-Massaker im Oktober 2023 verzeichnet der gegenwärtige Krieg namens »Eiserne Schwerter« damit die höchste Zahl Gefallener seit dem Yom-Kippur-Krieg.
Nur der israelische Unabhängigkeitskrieg (Mai 1948 bis Juni 1949) hebt sich mit 4.416 Gefallenen ab. Diese Zahl bedeutete damals einen ungewöhnlichen Einschnitt, weil das junge Israel damit ein Prozent seiner Gesamtbevölkerung verlor. Zudem war der Unabhängigkeitskrieg bis zum gegenwärtigen die längste Kriegskonfrontation, die Israel jemals überstehen musste.
Heute nehmen sich die fünfzig Tage der Operation »Fels in der Brandung« vom Sommer 2014 dagegen fast ebenso nichtssagend aus wie die im Lauf des Jahres 2014 auf israelische Zivilisten abgefeuerten 4.562 Raketen. In den fast 460 Tagen seit dem 7. Oktober 2023 waren es nämlich rund 27.000 solcher Geschosse, die von der Hamas und der Hisbollah auf den jüdischen Staat abgefeuert wurden. – Wie gut, dass Israel fortwährend am Zivilschutz als auch an der Raketenabwehr gefeilt hat.
Auf den ersten Blick mag es eine verhältnismäßig gute Nachricht sein, dass trotz eines lang anhaltenden Konflikts weniger Soldaten fielen als 1967 und 1973, was in nicht geringem Umfang dem technologischen und medizinischen Fortschritt zu verdanken ist, zu dem der jüdische Staat selbst einen beachtlichen Beitrag beigesteuert hat. In Israel allerdings kommt über die Trauer um die verlorenen individuellen Menschenleben, die laut einem der wohl bekanntesten Sätze des Talmud »wie eine ganze Welt« sind, gerade wegen der langen Dauer des Konflikts ein zusätzlich belastendes Element hinzu: So setzen die Feinde Israels nicht nur auf Angriffe von einer Vielzahl von Fronten aus, sondern auch auf die Zersetzung des jüdischen Staates durch fortwährende Zermürbung.
Enorme Belastungen
In einem solchen Zustand der Zermürbung befand sich Israel schon Ende der 1960er Jahre, doch ist das Ausmaß dieses Mal ein anderes. Tatsächlich macht sich in Israel an allen Enden und Ecken bemerkbar, wie sehr die Menschen seit dem Herbst 2023 enormen Belastungen ausgesetzt sind. Für viele fühlt es sich wie ein einziger, unendlich langer Albtraum an: kaum ein Israeli, der infolgedessen nicht mit irgendeinem Trauma ringt. Dazu gehört längst auch, dass die Zahl der Selbstmorde unter Soldaten angestiegen ist und die militärische Disziplin bröckelt, was unter anderem zu mehr Unfällen bei den Einsätzen führt.
Zur Zermürbung gehört überdies, dass infolge der Kriegshandlungen vermehrt Zivilisten verletzt oder getötet werden. Wie viele Israelis das zusätzlich an den Rand des physischen und psychischen Abgrunds treibt, zeigte der Raketenabschuss der libanesischen Hisbollah, der im Juli 2024 in Majdal Shams auf den Golanhöhen zwölf drusische Kinder in den Tod riss. Ganze Großfamilien – Eltern, Dutzende Geschwister, Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen – gerieten in akute Notlagen. Dieses und andere Ereignisse führten vor Augen, dass von den Kettenreaktionen alle Bürger des Landes einerlei welcher Zugehörigkeit bzw. Identität betroffen sind.
Einer der Wege, solche Entkräftungserscheinungen hervorzurufen, ist der Terror. Als Israeli überall und jederzeit einem Überfall-, Entführungs- und Anschlagsrisiko ausgesetzt zu sein, zerrt am Nervenkostüm. Allein 2024 kamen dreißig Zivilisten durch terroristische Anschläge ums Leben. Nicht zu reden von sehr viel mehr Verletzten und mitunter lebenslangen Behinderungen. Und kaum war das Jahr 2025 eine Woche alt, gab es schon wieder neue Terroropfer.
Zusätzliche Belastung
Selten war Israel mit so viele Verwundeten konfrontiert. Bis zum 7. Oktober 2023 kümmerte sich die Reha-Abteilung des Verteidigungsministeriums um 62.000 Menschen, die während ihres Armeedienstes Verletzungen davongetragen hatten; nach dem Hamas-Überfall gab es 13.700 weitere. Bei fast der Hälfte handelt es sich um 18- bis 30-Jährige; annähernd siebzig Prozent davon Reservisten, oftmals Familienväter, die sich vor ihrem Einsatz bereits im Berufseben etabliert hatten.
Besucht man eines der Reha-Zentren, fällt vor allem die heillose Überbelegung auf, aber auch die zu spürende Lebensfreude. Viele der Verletzten möchten möglichst rasch zu ihren Einheiten zurück, denn: »Es geht um unsere Existenz.«
Israel weiß, dass, auch wenn die Kämpfe vorbei sind, weitere Todesopfer hinzukommen werden. Der am 7. Oktober 2023 durch mehrere Schüsse von der Hamas verletzte Soldat, der am 25. Dezember 2024 nach 417 Tagen Ringen um sein Leben diesen Kampf verlor, wird kein Einzelfall bleiben. Und doch war der Kommentar der trauernden Eltern in Richtung der IDF deutlich: »Gebt bloß nicht auf!«