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Berufungsgericht in Ägypten ordnet Freilassung der „TikTok-Girls“ an

Haneen Hossam und Mowada el-Adham werden wegen ihrer TikTok-Videos in Ägypten nun wegen Menschenhandels angeklagt
Haneen Hossam und Mowada el-Adham werden wegen ihrer TikTok-Videos nun wegen Menschenhandels angeklagt (Quelle: TikTok)

Um das zu verhindern, klagt Ägyptens Generalstaatsanwaltschaft die beiden Frauen nun mit dubiosen Vorwürfen des „Menschenhandels“ an.

Ein Berufungsgericht in Kairo hat die Freilassung von Haneen Hossam und Mowada el-Adham, zwei weltweit als Ägyptens „TikTok-Girls“ bekannt gewordenen jungen Frauen verfügt, die im vergangenen Jahr wegen abstrakter Vorwürfe zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Die Generalstaatsanwaltschaft aber will verhindern, dass die beiden auf freien Fuß kommen und hat sie nun wegen angeblichen „Menschenhandels“ angeklagt.

Was war geschehen? Im März und April vergangenen Jahres wurden mindestens neun junge Ägypterinnen verhaftet, die über soziale Medien im Internet wie TikTok und InstagramBekanntheit erlangt und teils mehrere Millionen Follower hatten.

Unterdrückung der Jugend

Dies geschah wohl nicht zufällig kurz nach der am 25. März verhängten nächtlichen Ausgangssperre, die dazu führte, dass Ägyptens Jugendliche – die einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen – ihre Freizeitgestaltung ins Internet verlegen mussten. Das machte es aus Sicht des Regimes noch wichtiger, das Internet zu zensieren.

Das im Oktober 2018 von Präsident Abdel Fattah al-Sisi unterzeichnete Gesetz Nr. 175 gegen „Verbrechen der Informationstechnologie“ gibt Staatsanwälten weitreichende Befugnisse, gegen jeden vorzugehen, dem unterstellt wird, „Technologie“ für angebliche Verstöße „gegen Familienwerte“, zur Verbreitung von „Falschnachrichten“ oder zur „Anstiftung zu Ausschweifung und Unmoral“ genutzt zu haben.

Oft handeln Staatsanwälte in Reaktion auf Strafanzeigen von aktivistischen Anwälten, die das Internet nach allem durchforsten, was ihnen ein Stein des Anstoßes sein könnte. Bürger, die im Internet ihre Meinung sagen, Bild- und Tondokumente verbreiten oder erkennen lassen, dass sie einer sexuellen Minderheit angehören, können leicht zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Der Vorwurf, gegen „Familienwerte“ verstoßen zu haben, wurde sogar schon gegen Vergewaltigungsopfer erhoben, die im Internet über ihr Schicksal berichtet hatten.

Unter den Verhafteten waren die damals 20-jährige Haneen Hossam und die damals 22-jährige Mowada el-Adham. Sie wurden am 27. Juli von einem Gericht in Kairo wegen „Verstoßes gegen Familienwerte“ und „Ausschweifung“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Darüber hinaus wurde gegen sie eine für ägyptische Verhältnisse extrem hohn Geldstrafe von 300.000 Ägyptischen Pfund verhängt, das sind umgerechnet rund 15.000 Euro.

Die Hälfte der ägyptischen Bevölkerung verdient weniger als 100.000 Pfund (5.000 Euro) pro Jahr. Es handelt sich also um eine Geldstrafe, die darauf zielt, die wirtschaftliche Existenz zu zerstören.

Grundrechte außer Kraft gesetzt

Haneen Hossam, eine Archäologiestudentin, wurde verhaftet, nachdem es einen Internetaufruhr wegen eines Videos gegeben hatte, in dem sie eine Internetplattform namens Likee bewirbt, die Nutzern Geld dafür zahlt, wenn sie andere dazu bringen, dieser ebenfalls beizutreten. Hossam sagte in dem dreiminütigen Video, sie wolle eine Gruppe für Mädchen im Alter von über 18 Jahren gründen, die auf diese Weise von zu Hause aus „Geld verdienen“ könnten. Daraufhin wurde sie der „Zuhälterei“ bezichtigt.

Die ägyptischen Staatsanwälte beschuldigten Hossam, die in ihren Videos meist ein Kopftuch trägt, junge Frauen angestiftet zu haben, über das Internet Sex anzubieten. Ihr Anwalt Ahmed Abdelnaby bestritt die Anklage. „Nichts, was sie in diesem Video sagte, verstieß gegen das Gesetz“, sagte er der New York Times. „Das Video ist ein Beweis für ihre Unschuld, nicht das Gegenteil.“

Bei Mowada el-Adham, die im Mai verhaftet wurde, konnte niemand einen exakten Anlass nennen, der zur Verhaftung führte – außer, dass sie berühmt und weiblich ist und für manchmal satirische Lippensynchronisationen und Tanzvideos bekannt. Der Nachrichtenblog Egyptian Streets fasste ihr Wirken in den sozialen Medien so zusammen:

„Die Inhalte ihrer letzten Tage auf Instagram zeigen, wie el-Adham um ägyptische Soldaten trauert, die im Sinai den Märtyrertod gestorben sind, wie sie die Menschen auffordert, zu Hause zu bleiben, und wie sie einen Ernährungsberater interviewt.

Auf TikTok zeigen aktuelle Videos, wie sie ein teures Auto fährt, in einem Hai-Strampler tanzt, den Menschen einen glücklichen Ramadan wünscht, ihre Lippen synchron zu einem arabischen Lied bewegt und vieles mehr.“

Nachdem ein Richter in Kairo am Dienstag vergangener Woche die beiden Frauen in einem Berufungsverfahren freigesprochen hatte, ordnete die Generalstaatsanwaltschaft schon zwei Tage später an, sie für mindestens 15 weitere Tage in Haft zu halten.

Laut Justizbeamten, die unter der Bedingung der Anonymität mit der Nachrichtenagentur AP sprachen, da sie nicht befugt sind, sich über den Fall zu äußern, beschuldigt die Staatsanwaltschaft sie nun, junge Frauen für „unanständige Jobs zu rekrutieren, die gegen die Grundsätze und Werte der ägyptischen Gesellschaft verstoßen“.

In Ägypten gilt seit 1981 der Ausnahmezustand, der Grundrechte außer Kraft setzt. Im Zuge der Covid-19-Pandemie hat das ägyptische Parlament im April vergangenen Jahres die Befugnisse von Präsident al-Sisi noch einmal erweitert. Derzeit steht Ägypten vor allem deshalb im Blickpunkt der Welt, weil in dem Land bis zum 31. Januar die Handball-WM der Männer stattfindet.

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