Nach fast einem Jahrzehnt in der Knesset gab Naftali Bennett 2022 mit dem Scheitern der Koalition, der er als Premierminister vorstand, seinen Rückzug aus der Politik bekannt. Nun plant er sein Comeback.
Der renommierte Kommentator Amit Segal machte Ende August 2025 öffentlich, dass einige Abgeordnete der Regierungspartei Likud munkeln, es könnte bereits im Frühjahr 2026 zur Knesset-Wahl kommen, die turnusgemäß eigentlich erst im Herbst desselben Jahres anstünde. Dabei spielt nicht nur das Tauziehen um das Gesetz zur Wehrpflichtbefreiung ultraorthodoxer Männer, sondern auch die Verabschiedung des Staatshaushalts 2026 eine Rolle. Schon im heurigen März gelang es der Koalition erst im letzten Augenblick, einen Etat auf den Weg zu bringen. Geschieht das nicht termingerecht, wird die Regierung automatisch aufgelöst und eine Knesset-Wahl ausgerufen.
Doch nun glauben einige, diese könnte sogar noch früher anstehen. Vor diesem Hintergrund interessiert schon jetzt, wie es aktuell um die jahrelange Pattsituation zwischen den »Bibi-Ja«- und den »Bibi-Nein«-Blöcken bestellt ist, schließlich wuchs nach dem 7. Oktober 2023 die Kritik an der Regierung. Für neue Konstellationen könnte ein mit Paukenschlag – so die Umfragen – in die Politik zurückkehrender Naftali Bennett sorgen.
Gegenwärtige (verfahrene) Lage
Seit Bildung der aktuellen Koalition nach der Wahl im November 2022 drängten die Partner der Likud-Regierungspartei Premier Benjamin Netanjahu immer wieder in die Enge. Die mit einer deutlichen Mehrheit ausgestattete und von den Wahlsiegern als »vollwertig rechtsnational« zelebrierte Koalition stellte sich quasi vom ersten Tag an als Achterbahnfahrt für Israels Alt-Neu-Premier heraus. Immer wieder stellen seine Koalitionspartner, ohne die Netanjahu nicht regieren kann, Ansprüche, um etwas für ihre Agenden herauszuholen.
Nicht nur die Religiösen Zionisten unter Bezalel Smotrich und die Partei Jüdische Stärke mit ihrem Vorsitzenden Itamar Ben-Gvir erschütterten die Regierung wiederholt mit Rücktrittsdrohungen wie zum Beispiel im Januar 2024 wegen eines möglichen Geisel-Deals mit der Hamas. Auch die ultraorthodoxen Koalitionspartner, die Parteien Vereinigtes Thora-Judentum und Shas drohten mehrmals mit einem Koalitionsaustritt.
Für sie sind die Steine des Anstoßes die unerfüllten finanziellen Forderungen zugunsten ihrer Wählerschaft sowie die anstehende Regelung des Wehrdienstes von ultraorthodoxen Männern. Im vergangenen Juli machten die beiden Parteien Ernst: Die Abgeordneten des Vereinigten Thora-Judentums traten aus der Regierung als auch aus der Koalition aus, die Shas-Abgeordneten legten Minister- und Regierungsposten nieder, verblieben aber in der Koalition. Das Bündnis unter Netanjahu stand damit zwar nicht vor dem Aus, ist aber geschwächt.
Bennetts Rückkehr
Der 53-jährige Naftali Bennett, der 2021/2022 im Verbund mit dem der Zukunftspartei vorstehenden Yair Lapid als Premier amtierte, zog sich nach dem frühzeitigen Ende dieser in Israels Geschichte aufsehenerregenden Regierungskoalition aus der Politik zurück. Zunächst wurde es still um ihn, doch vor allem seit dem 7. Oktober 2023 meldet sich Bennett, der 2022 durch politische Schachzüge Netanjahus als Premier scheiterte, immer wieder mit Kritik an der gegenwärtigen Regierung zu Wort. Mehrfach forderte er Netanjahus Rücktritt.
Schon 2024 kursierten Gerüchte, der Hightech-Millionär, der im Lauf seiner politischen Karriere mehreren Parteien des rechts-zionistischen Spektrums vorstand, wolle in die Politik zurückkehren. Tatsächlich ließ Bennett, der 2013 erstmals in die Knesset gewählt wurde, im heurigen Frühjahr eine neue Partei unter dem vorläufigen Namen Bennett 2026 registrieren.
Erste Weichen
Wenn Naftali Bennett sich zu Wort meldet, hört ihm momentan das gesamte Land zu. Da ihm Umfragen prophezeien, bei den nächsten Wahlen eine wichtige Rolle spielen zu können, interessiert gerade alle, in welche Richtung Bennett Israel lenken würde.
Als er kürzlich meinte, Israel solle sich weniger an Europa, sondern vielmehr in Richtung USA und Asien orientieren, wurden in Israel alte Bennett-Statements von vor fast einem Jahrzehnt hervorgekramt. Schon 2016 hatte er Israel als eine Art Frühwarnsystem für Europa bezeichnet und begründete dies mit der hohen Zuwanderung von Muslimen, einhergehend mit der europäischen Verschlafenheit bezüglich der Implikationen dieser Migration. Damals schlussfolgerte er zudem, diese Entwicklung werde dem Antisemitismus Vorschub leisten und quälende Fragen der Sicherheit von Juden in Europa aufkommen lassen – ein Thema, das inzwischen brandaktuell geworden ist.
Außenpolitisch ist auch seine bereits 2013 geäußerte Meinung zu einer palästinensischen Staatlichkeit aktuell, die für ihn ein absolutes No-Go ist, und zwar schon vor dem 7. Oktober 2023 – und erst recht danach. Bezüglich einer Annexion des Westjordanlands votierte Bennett, noch bevor er 2010 Vorsitzender des Rats der Siedlungen in den biblischen Regionen Judäa und Samaria wurde, dafür, revidierte diese Haltung aber während seiner Knesset-Zeit.
Der religiöse Politiker mit rechtsnationaler Weltanschauung vertritt durchaus eine eigenständige, nicht unbedingt in Schubladen zu pressende Haltung. In einem Interview sagte er einmal, er stehe sehr viel weiter rechts als Netanjahu, setze aber keine Instrumente des Hasses ein. Man muss Bennett zugestehen, dass er dies als Ministerpräsident erfolgreich unter Beweis gestellt hatte. Er trat nicht mehr als Parteipolitiker mit Agenda auf, sondern als Ministerpräsident, der versuchte, für alle Israelis da zu sein.
Dementsprechend interessiert sind die Israelis, wie Bennett sich innenpolitisch aufstellen wird. Obwohl er in der Vergangenheit seine Bereitschaft bewiesen hatte, eine arabische Partei – noch dazu die sich mit der Islamischen Bewegung identifizierende Partei Ra´am – als koalierenden Partner an Bord zu holen, machte er als an der Spitze einer zionistischen Partei Stehendem bereits vor der Registrierung seiner neuen Partei deutlich, arabische Partner nicht noch einmal an der Regierung zu beteiligen.
Und noch etwas stellte Bennett frühzeitig klar: Trotz seiner rechtsnationalen Ausrichtung wird man ihn unter keinen Umständen zusammen mit Benjamin Netanjahu in einer Regierung finden.
Shootingstar-Qualitäten
Von Anfang an zeigten Umfragen, dass Naftali Bennett die Rückkehr in die Politik mit einem Paukenschlag gelingen würde. Was könnte das für die Anti- und Pro-Netanjahu-Blöcke bedeuten, welche die israelische Innenpolitik in den letzten Jahren so stark geprägt haben? Wäre es möglich, dass Bennett nicht nur Bewegung in die Pattsituation bringt, sondern auch Langzeitpremier Netanjahu das Amt (erneut) abringt?
Verschiedene Studien legen nahe, dass die Israelis infolge des 7. Oktober 2023 ein noch ausgeprägteres Sicherheitsbedürfnis haben, was bei Wahlen einen Rechtsrutsch bedeuten würden. Umfragen zeigen auch, dass die Israelis tatsächlich stärker nach rechts blicken als früher, zugleich jedoch großes Misstrauen gegenüber den gegenwärtig die Regierungsgeschäfte führenden Parteien hegen. Außerdem ist Netanjahu nach dem Überfall der Hamas auf Israel nicht mehr schlechthin Israels »Mr. Security«.
Bezüglich der Verteilung der Knesset-Mandate kommen die Umfragen zu leicht variierenden Ergebnissen (Ma´ariv, N12, Channel 13), doch die Tendenz ist eindeutig: Netanjahus Likud bliebe zwar die sitzstärkste Partei (24 Mandate), Bennett würde ihm mit 19 Sitzen auf Platz zwei folgen und der ehemalige IDF-Stabschef Gadi Eizenkot von der neu gegründeten Partei Jaschar mit zwölf Sitzen auf Platz drei kommen. Die Demokraten von Yair Golan, dessen Partei in dieser Riege als einzige zum Linksspektrum gehört, käme auf Platz vier, gemeinsam mit Avigdor Libermans Yisrael Beteinu (jeweils elf Sitze).
Diese vier Netanjahu-Kontrahenten brächten es zusammen mit dem Schlusslicht von Yair Lapids Partei Jesch Atid (sieben Sitze) auf mehr Sitze als die gegenwärtigen Regierungsparteien. Dabei spielt ebenfalls eine Rolle, dass sowohl Benny Gantz’ Partei der Nationalen Einheit als auch Smotrich mit seinen Religiösen Zionisten an der Sperrklausel zu scheitern drohen.
Das grundlegende Bild würde also folgendermaßen ausschauen: Die jetzige Opposition hätte 60/61 Sitze, die Parteien der aktuell regierenden Koalition nur 50/49 Mandate. Die arabischen Parteien blieben bei ihrer üblichen Stärke von rund zehn Abgeordneten. Das bedeutet: Fänden jetzt Wahlen statt, würde Netanjahu zwar nicht gewinnen, doch zugleich könnte man ihn nicht als Verlierer bezeichnen.
Wen wollen die Bürger?
Es mag bereits nach Wahlkampf ausschauen, aber noch steht eine Knesset-Wahl nicht an. Zu bedenken ist auch, dass Naftali Bennett seine Partei zwar registrieren ließ, bis dato aber keine weiteren Pläne kundtat.
Die Umfragen zeigen Tendenzen auf, doch gibt es auch viel Spielraum: So könnte Bennett überlegen, sich den Anstrich einer Partei des Zentrums zu geben, indem er Bündnisse mit anderen Parteien eingeht oder sie sogar überzeugt, geschlossen mit ihm als eine Fraktion anzutreten. Doch zeigen die Umfragen, dass gerade ein solcher Schulterschluss bei der Wählerschaft weniger gut ankommt. Gemeinsam würden die infrage kommenden Kandidaten (Bennet 2026, Yisrael Beteinu und Jaschar) weniger Mandate erringen denn als Einzelparteien; sie würden im Verbund die Opposition also schwächen.
Wenn Bennett zwar die Parteienlandschaft neugestalten, aber der Opposition nicht unbedingt zu einem überragenden Sieg verhelfen kann, wäre er laut Umfragen Sieger, gäbe es in Israel eine Direktwahl des Premiers. Ganz im Gegensatz zu Netanjahu kann er in dieser Hinsicht bei den Umfragen schon seit Monaten auf ein Glanzergebnis zählen. Zurzeit setzt er sich mit 38 Prozent der Wähler, die ihn im Amt des Premierministers sehen wollen, an die Spitze, während Netanjahu diesbezüglich nur 34 Prozent auf sich vereinigt.Kurzum: Auch innenpolitisch wird es in Israel spannend bleiben.






