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Bekennt sich Israel unter Netanjahu zur Ukraine?

Benjamin Netanjahu zu Besuch bei Präsident Selenskyj in der Ukraine im Jahr 2019
Benjamin Netanjahu zu Besuch bei Präsident Selenskyj in der Ukraine im Jahr 2019 (© Imago Images / Ukrinform)

Noch auf der Oppositionsbank sitzend, hüllte sich Benjamin Netanjahu zum israelischen Jonglierakt zwischen der Ukraine und Russland in Schweigen. Doch dies könnte sich jetzt ändern.

Unmittelbar nach Einsetzen der russischen Angriffe auf die Ukraine war Israel mit humanitären Hilfsleistungen zur Stelle. In dieser Hinsicht zeigte sich das Land solidarisch mit den kriegsgeprüften ukrainischen Bürgern. Ansonsten war die Regierung unter Premier Naftali Bennett (Jamina) und Außenminister Jair Lapid (Jesch Atid) bis zur Abwahl im November 2022 auf einen Zickzack-Kurs bedacht: Lapid verurteilte wiederholt die russische Invasion, Bennett ruderte jedes Mal zurück, um Moskau nicht zu sehr zu verärgern. Für diese Politik hagelte es Kritik in Israel als auch auf der internationalen Bühne.

Auf Kurs bleibend

Als im Herbst 2022 der Iran an der russischen Front gegen die Ukraine auftauchte, schreckte Israel auf. Dass Russland iranische Drohnen in der Ukraine zum Einsatz brachte, wertete Israel als bedeutende Veränderung nicht nur an diesem Kriegsschauplatz. Dieser weitere Vorstoß des Erzfeindes Iran, der dem jüdischen Staat die Auslöschung seiner Existenz androht, erachtete es als grundlegende Verschiebung geopolitischer Konstellationen.

Dennoch blieben Bennett und Lapid bei den Prinzipien des von ihnen eingeschlagenen Kurses: Israel wird keine Waffen an die Ukraine schicken, ist aber bereit, die Lieferung von Verteidigungssystemen zu erwägen. Stillschweigend half Israel dennoch, aber lediglich mit nachrichtendienstlichen Informationen zur Abwehr der Angriffe von iranischen Drohnen.

Während dieser Monate schwieg der an der Spitze der parlamentarischen Opposition stehende Ex-Premier Benjamin Netanjahu (Likud) beharrlich in Sachen Ukraine-Russland. Auch zum Bennett-Lapid-Kurs wahrte er Schweigen. Das war ungewöhnlich, weil er ansonsten fast jede Aussage und Entscheidung der Veränderungskoalition unter Leitung dieser beiden Politiker negativ kommentierte. Im Wahlkampf meldete sich Netanjahu erstmals zum Thema zu Wort. Er kritisierte den Bennett-Lapid-Kurs, hielt sich aber in Sachen Waffenlieferungen bedeckt, obschon er sie nicht kategorisch ausschloss.

Als das Wahlergebnis in Aussicht stellte, dass Netanjahu wieder Israels Premier wird, kamen positive Reaktionen sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war mit Forderungen zur Stelle, denen er jetzt bessere Chancen einräumte. Die Russen hingegen schien nicht zu interessieren, dass Israel sich in dem Konflikt auf die ukrainische Seite schlagen könnte. Vielmehr drang aus dem russischen Ausschuss für Außenpolitik Wohlgefallen, dass in Israel wieder ein Mann an die Macht komme, der »Russlands Weltanschauung« teile und genau wie Moskau unbeirrt ausschließlich die eigenen Interessen verfolge.

Überraschungsbesuch

Die erste Reise eines israelischen Regierungsvertreters in die Ukraine nach Kriegsausbruch wurde nicht wegen politischer Erwägungen zum Überraschungsbesuch. Der Reiseplan von Israels neuem Außenminister Eli Cohen (Likud) wurde aus Sicherheitsgründen geheim gehalten, war aber ein deutliches Zeichen. Die Offerten, die er der Ukraine machte, untermauern dies zusätzlich. Cohen sicherte zu, »dass Israel das Niveau der Unterstützung ausweiten wird«.

In seiner Antrittsrede Ende Dezember 2022 hatte er angekündigt, unter seiner Leitung werde »weniger über den Krieg geredet«. Viele deuteten dies als Ankündigung einer Annäherung an die Ukraine. Cohen bekundete allerdings kurz darauf, zuerst den Kontakt zum russischen und erst danach zu seinem ukrainischen Amtskollegen zu suchen. Sein erster Auslandsbesuch zeigt, dass in dieser Sache nicht er, sondern Premier Netanjahu die Richtung vorgibt.

Zu diesem Zeitpunkt schien Netanjahu allerdings selbst noch nicht über die bevorzugte Richtung sicher gewesen zu sein. Er betonte seine Bereitschaft, »unter den richtigen Bedingungen« als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland zu fungieren, sprach zeitgleich aber von möglichen Waffenlieferungen an die Ukraine.

Inzwischen scheint er darauf bedacht zu sein, nicht nur deutliche, sondern überdies handfeste Signale zu senden. Von der Erwägung einer Lieferung eines Frühwarnsystems ist keine Rede mehr, da Israel durch seinen Außenminister zugesichert hat, ein solches System, zugeschnitten auf ukrainische Bedürfnisse, zu entwickeln. Das ist zwar eine Stellungnahme, für Israel allerdings mehr als eine Positionierung in einem Konflikt zwischen zwei Parteien. Doch zunächst brachte der dennoch seichte israelische Vorstoß Konsequenzen an einer ganz anderen Front.

Russland zieht die Daumenschrauben an

Kaum war Cohen auf der Heimreise, brachte Moskau seine Verärgerung auf subtile, aber dennoch unverhohlene Weise zum Ausdruck. Schon im August 2022 verstand es der Kreml, an ungeahnten Fronten Daumenschrauben anzusetzen, an denen nach Cohens Ukraine-Besuch plötzlich heftig gedreht wurde, wie zum Beispiel an der Stellung der staatlichen israelischen Jewish Agency for Israel in Russland: Wenige Monate nach Beginn der russischen Offensive leitete Moskau aus heiterem Himmel ein Gerichtsverfahren gegen die bei der Abwickelung der Einwanderung von Juden nach Israel tätige Agency ein.

Während dieser Zeit gab es hektische Aktivitäten wegen der wachsenden Zahl von Einwanderungsanträgen russischer Juden. Nach dreißig Jahren Tätigkeit in Russland wurde der Agency vorgeworfen, gegen geltendes russisches Recht zu verstoßen, weil Daten über russische Staatsbürger gesammelt und nach Israel weitergeleitet werden. Israel bereitete dies große Sorgen, doch der Verhandlungsprozess in Moskau wurde von den Russen in keiner Weise vorangetrieben. Somit schien weniger brenzlig, dass schon in naher Zukunft für Russlands Juden erneut der Eiserne Vorhang fallen könnte.

Am Tag nach Cohens Ukraine-Besuch wurde beim Gerichtsverfahren gegen die Agency erstmals ein anderer Ton angeschlagen. Plötzlich ging es nicht mehr um technische Aspekte, die klageführende Seite ging unvermittelt zur Verhandlung von bedeutsamen inhaltlichen Aspekten über. Und anstatt wie bisher Sitzungen in größeren zeitlichen Abständen anzusetzen, gab die Prozessleitung einen weiteren Verhandlungstermin innerhalb weniger Tage bekannt. Richter und Kläger scheinen sich einig: Den Verteidigern der vor Gericht gezerrten Jewish Agency soll möglichst wenig Vorbereitungszeit bleiben.

Tektonische Bewegungen mit Schmetterlingseffekt

Noch bevor der Prozess fortgesetzt wurde, führte Israel einen Angriff gegen iranische Ziele in Syrien durch. Das Wohlwollen der Russen in dieser Angelegenheit war einer der wichtigen Beweggründe für das israelische Leisetreten in Sachen Ukraine-Konflikt. Doch schlichtweg alles rund um diesen jüngsten Angriff Israels auf syrisches Hoheitsgebiet, der zweifelsfrei grundlegend mit Russland koordiniert wurde, war ungewöhnlich. Selten riskiert Israel, dass Menschen, erst recht unbeteiligte Zivilisten, zu Schaden kommen. Laut syrischen Angaben kamen dieses Mal fünf Menschen ums Leben, fünfzehn wurden verletzt.

Ungewöhnlich war auch, dass sich Syrien ausführlich zum Angriff äußerte und mit Beschreibungen ins kleinste Detail ging, was es bislang im Zusammenhang mit israelischen Angriffen nicht gegeben hat. Israelische Experten stellten in den Raum, Syrien wollte die Hebelwirkung, die ihm der Ukraine-Besuch von Cohen verschaffte, gezielt verstärken, um sich vor Israels Haustür die russische Rückendeckung zu sichern. Dies ereignete sich nur kurz nach Abschluss der Münchner Sicherheitskonferenz, auf der im Westen Ernüchterung über die Haltung Chinas im Ukraine-Konflikt eingekehrt war. Für Israel war das abzusehen, schließlich besuchte der höchste Repräsentant des neuen Bündnispartners an Russlands Seite, der iranische Präsident Ibrahim Raisi, eine Woche vorher China.

Ein erfahrener Politiker, der etwas wagt

Israels Premier Netanjahu wird sich in nächster Zeit kaum mit seinem »guten Freund« Wladimir Putin rühmen, so wie er es 2019 im Rahmen eines Wahlkampfposters getan hat. Dafür ist Putin viel zu nah an den Iran herangerückt. Netanjahu gilt auf der internationalen Bühne nicht nur als erfahrender Politiker, sondern auch als Mann, der etwas wagt.

In Israel gab es keine Begeisterungsausbrüche, als er sich in Zeiten, in denen das Land mit einer innenpolitisch unruhigen Phase rang, um Israels Beziehungen zu Saudi-Arabien kümmerte. Dennoch ließ er es sich am Vorabend weiterer Anti-Regierungsproteste nicht nehmen, von einem »diplomatischen Quantensprung« bei den israelisch-saudischen Beziehungen zu reden. Natürlich fügte er hinzu, dies sei umso bedeutender, als der »Quantensprung« mit dem Kampf gegen den Iran in Verbindung stehe.

Bedenkt man, dass fast zeitgleich Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde bekanntgaben, im Iran 84 Prozent angereichertes Uran entdeckt zu haben, könnte eine deutlichere Positionierung Israels an der Seite der Ukraine nur ein weiterer schlichtweg anstehender Schritt infolge von geopolitischen Verschiebungen sein; ganz abgesehen davon, dass sich Israel schon früher mit Russland – im Zeitalter der UdSSR – entzweit hatte und den Blockwechsel, der damit letztlich in Gang gesetzt wurde, bislang immer gepriesen hat.

Der Artikel erschien zuerst bei Israelnetz.

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